claudia baldauf haie

‚Definitiv‘ kann ich da nur sagen! Wir freuen uns über Claudia Baldauf, die unseren dritten Gastbeitrag liefert und sehr ehrliche Worte für hochbrisante Themen findet. Sie schreibt über Muttergefühle, Baby-Blues bis hin zum Burn-Out und über die vielen Erwartungen die an Mütter heutzutage gestellt werden sowie deren Umsetzungen, die leider nicht immer unkommentiert bleiben. Sie nennt es ‚Haifischbecken Muttersein‘!

Eine Mutter wird nicht krank. Schwangerschaft ist keine Krankheit….aber das Lächeln entschädigt für alles, z.B. durchwachte Nächte, vollgekotzte Kleidung, Tränen aus Erschöpfung – die Liste ist beliebig fortzusetzen. Ich werde schon aggressiv, wenn ich diese Floskeln höre. Ganz leicht kann ich sie auch widerlegen. Aber es gibt kaum ein größeres Tabu als eine Mutter, die offen über ihre Probleme mit dem Muttersein spricht. 

Ich habe zu viel erlebt, bin an zu viele Grenzen gestoßen, um die Gefühle zu ignorieren. Was für viele Mütter ein absolutes No-Go ist, nämlich sich einzugestehen, dass auch das niedlichste Babylächeln nicht alles wieder richten kann, war meine Heilung. Ich rede über das, was mir passiert ist, ich schreibe es auf und hinterfrage immer wieder, welche Überzeugungen aus mir selbst heraus geboren wurden und welche ich mir aus gesellschaftlichen Gründen zu eigen gemacht habe.

Als junge Mutter ist das ganz schwer. Ich stamme aus dem Erzgebirge, bin als typisches DDR – Kind aufgewachsen. Um mich herum waren immer Familien mit mindestens zwei Kindern. Das war normal. Genau das habe ich übernommen. Kinder gehören dazu. Als Erwachsene galt das für mich immer noch. Ich habe nie wirklich überlegt, ob ich Kinder möchte oder nicht, ich empfand das als normalen Lauf der Dinge. Die Freude war riesig, als vor meinem 30. Geburtstag das erste Kind kam. Die Schwangerschaft war soweit in Ordnung, obwohl ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hatte, besonders schön zu sein. Im Gegenteil, die körperlichen Veränderungen haben mich enorm verunsichert. Die Geburt hat sich über 24 Stunden hingezogen und als mir die Hebamme meinen Sohn auf den Bauch gelegt hat, war da – NICHTS. Ich habe nichts gefühlt, wo ich doch hätte glücklich sein müssen. Es war eine schwere Geburt und ich dachte nur: kann mir mal einer das Kind wegnehmen, ich bin müde. Am zweiten Tag erwischte mich der Baby Blues. Das ist nicht schön, aber irgendwie machbar. Aber es war auch nur der Auftakt einer mehrjährigen Odyssee. Schon nach wenigen Wochen manifestierte sich eine postnatale Depression. Keiner konnte verstehen, dass ich heillos überfordert war, darunter litt, meinem Kind gegenüber nichts zu empfinden. Das Interessante war, dass mein Kind kaum darunter gelitten hat: ich habe geknuddelt, gelacht, gefüttert, gewindelt, gekümmert. Aber nichts davon hat sich natürlich angefühlt. Ich habe meinen Job gemacht. Ich habe zwar gemerkt, dass etwas nicht stimmt, aber mehr unter den Blicken anderer Mütter (und mancher Väter) gelitten, als unter meiner Erschöpfung und Gefühllosigkeit. Ein einschneidendes Erlebnis war der Ausspruch einer Mutter, die mir nahe legte, dass mein Sohn nicht so schwer krank geworden, wenn ich gestillt hätte. Mein Sohn war gerade zweieinhalb Monate und erkrankte an einem Virus. Er musste ins Krankenhaus, bekam eine Infusionsnadel in den Kopf, Sauerstoff in die Nase und am Fuß hing auch noch ein Kabel. Eine Woche lang war ich ohne Pause im Krankenhaus bei meinem Kind, habe auf einem Klappbett geschlafen und habe mein Kind leiden sehen. Und das als junge, unsichere Mutter. Ich frage mich: warum denken manche Mütter, sie müssen sich immer noch ein Quäntchen über andere Mütter erheben? Warum kann man in solch einer Situation nicht trösten, sondern kriegt noch eins rein gewürgt? Was bedeutet das der anderen Mutter? Warum ist Muttersein ein Haifischbecken?

Das erste Jahr mit meinem Sohn war sehr anstrengend, da er wegen dieser Erkrankung ständig krank war, immer hohes Fieber, Asthmaanfälle usw. Ich habe nur noch funktioniert, aber nicht besonders gut. Ich weiß nicht mehr genau warum, aber wir haben uns trotzdem schnell für ein zweites Kind entschieden. Nach einem Jahr war ich wieder schwanger. Eine einzige Katastrophe. Die ersten Wochen habe ich im Krankenhaus verbracht. Die Schwangerschaftsübelkeit war so schlimm, dass ich Infusionen bekam und Medikamente nehmen musste. Hyperemesis gravidarum ist der Fachbegriff für extreme Schwangerschaftsübelkeit. Und jede Frau, die einmal darunter gelitten hat, weiß wie unsagbar schlimm das ist. In diesem Zusammenhang zu hören, dass Schwangerschaft keine Krankheit sei, zeugt von einem Maß an Ignoranz und Unsensibilität, dass ich jetzt noch wütend werde. Auch hier: warum tut man das einer werdenden Mutter an? Warum wird eher vermutet, dass man sich anstellt? Ich verstehe es nicht. Der zweite Teil der Schwangerschaft befreite mich zwar von Übelkeit, aber ließ mich konstant essen, weil mein Blutzuckerspiegel immer sehr niedrig war. Im Nachhinein weiß ich, dass der ganze Stress meine Bauchspeicheldrüse und den Hormonhaushalt völlig durcheinander gebracht hat. Die Ärzte waren nicht sehr hilfreich, ich bin oft belächelt worden. Die Geburt des zweiten Kindes war nicht einfacher als die erste. Es war Hochsommer, ich habe über 90 Kilo gewogen und viel Wasser gehabt. Das Kind kam einfach nicht. Irgendwann musste auch medizinischen Gründen ein Kaiserschnitt gemacht werden, natürlich gab es eine PDA. Ich danke der medizinischen Forschung von Herzen für die Möglichkeit! Und bitte auch hier alle Mütter nicht per se Schmerzmittel zu verdammen. Wer ohne kann, wunderbar. Für alle anderen ist es ein Segen. Selbst eine gute Freundin kam vor ihrer eigenen ersten Geburt recht großspurig daher, sie verzichte auf alles. Frau, Du weißt doch gar nicht, was alles passieren kann,(ver-) urteile nicht vorschnell.

Was danach kam, habe ich nur noch sehr verschwommen in Erinnerung. Ich hatte einen Säugling, ein kränkliches Kind und war entweder noch in der einen Depression drin oder brütete eine neue aus. Ich war körperlich so am Ende und nervlich am Boden. Aber selbst da gab es Gegenwind. Unverständnis. Eine Mutter wird nicht krank. Selbstaufgabe liegt doch im Mutterblut. Ich solle mich nicht so haben. Als das zweite Kind ein Jahr wurde, ging auch er zur Tagesmutter. Ich hatte große Hoffnung, dass ich mit meiner neuen Arbeit in Teilzeit wieder ins Leben zurückfinden würde, wieder für mich etwas erreiche, nicht nur Baby-Kosmos. Und was soll ich sagen? Mütter aus den alten Bundesländern schüttelten den Kopf, weil ich die armen Kinder so früh in die Betreuung gegeben habe. Der ehemalige Osten vermittelte mir, dass ich doch Vollzeit gehen könne. War doch immer so. Sagt mal, hackt´s bei Euch allen?

Die Idee mit der Arbeit war gut gedacht, aber ging nicht lange gut. Ein Familien-unfreundlicher Vorgesetzter, ständig kranke Kinder und eine manifestierte Depression führten unwillkürlich zum, Trommelwirbel: Burnout. Oder auch Erschöpfungsdepression. Die Details erspare ich, aber ich hatte auch das Glück, erstmals an eine Frau, meine Allgemeinärztin zu geraten, die alles richtig einzuordnen wusste. Ich erzählte von den letzten Monaten und die Frage, die sie mir stellte, warf mich etwas aus den Latschen: „Und wo sind Sie?“. Ich konnte nicht antworten, weil ich es vergessen hatte. Sie meinte auch, dass uns der Feminismus gehörig auf die Füße fällt, was bei manchen Leserinnen sicher jetzt Unmut auslöst. Aber seien wir ehrlich. Wir erfüllen so unglaublich viele Rollen. Jeder kennt das: Karriere, Mutter, Geliebte, Hausfrau, Sportlerin, Spaßbombe, Model. DAS GEHT NICHT! Zum ersten Mal begann ich mein eigenes Wertesystem zu hinterfragen. Ich wurde für sehr lange Zeit krank geschrieben, habe eine Therapie begonnen, die jetzt, nach über zwei Jahren ihrem Ende entgegengeht. Ich habe soviel geschlafen, wie ich nur konnte, bin kleine Runden spazieren gegangen, habe geweint und gezweifelt, warum mir das passieren musste. Aber ich wurde auch zunehmend für meinen Mut „gelobt“, auszusteigen, gesund werden zu wollen, nicht mehr dem Müssen hinterher zu hecheln. Ich bin auf einem guten Weg, habe meinen eigenen Stil gefunden, dank einiger großartiger Menschen an meiner Seite. Ich weiß jetzt auch, dass es okay ist, sein eigenes Maß an Muttergefühl zu haben. Dass das alles normal ist und passieren kann! Ich bin nicht schuld daran. Und niemand hat das Recht, mich oder eine andere Mutter zu verurteilen, weil wir einen anderen Weg gehen mussten. Wir jammern nicht, wir kämpfen.

Und bevor sich manche erheben und sagen: und was mache ich, wenn ich alleinerziehend bin, wenn ich das Geld brauche usw. Ganz ehrlich, keine Ahnung. Ich möchte auch nicht in deren Haut stecken. Ich konnte mich so entscheiden, habe zwar Geld, Karriere und ein hohes Maß an geistiger Spontaneität eingebüßt, muss immer achtsam sein und auf mich aufpassen. Was ich jedoch gewonnen habe, ist unbezahlbar. Ich kann wieder genießen. Und auf mich selbst vertrauen. Die Stimmen ignorieren, die unken und kriteln. Wie meine liebe Bekannte Katrin sagt: Das Thema langweilt mich, soll bitte jeder machen, wie es persönlich passt. Mütter dieser Welt, seid nachsichtig miteinander.

Vielen Dank Claudia für diese persönlichen und ehrlichen Worte!