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Unsere heutige Gast-Mummy Angelica erzählt die Geschichte einer internationalen Geburtsplanung, denn natürlich sollte auch Angelicas Familie aus Kolumbien zur Geburt in Deutschland sein. Doch wie so oft kommt alles dann doch anders, als man es plant. In Angelicas Fall volle drei Tage Wehen und quasi eine Live-Ticker-Geburt nach Kolumbien… 

The day that Nico was born war nicht ein Tag sondern fast eine ganze Woche! Für Euer besseres Verständnis meiner Gefühle und dieser Geschichte müsst Ihr wissen, dass dies alles nicht nur komplett neu, spannend und teilweise stressig für mich war, weil ich zum ersten Mal Mutter wurde, sondern auch weil ich aus einem anderen Land mit einer anderen „Geburtskultur“ stamme. Dies und die Tatsasche, dass ich und mein Mann alleine in Berlin leben, brachte die Achterbahn der Gefühle in der Schwangerschaft to a whole new level! 

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Eine internationale Geburtsplanung
Nach langem Ausfragen meiner Frauenärztin über das genaue Empfängnisdatum, über den ich mir überhaupt nicht sicher war, obwohl mein Sohn Nicolás ein total gewünschtes Kind war, hat sie den 10. Juni 2014 als Geburtstermin errechnet. 

Ich komme aus Kolumbien und lebe seit gefühlt eine Ewigkeit in Deutschland. Als meine Eltern und der Rest meiner Familie in Kolumbien über die Schwangerschaft erfuhren, waren sie ekstatisch, denn das wäre der erste Enkelkind meiner Eltern. Es war klar, wie es bei uns immer so ist, wenn ein Kind geboren wird, dass meine Mutter, samt Vater und kleiner Bruder zu uns kommen würden, um mich und meinem Mann in den ersten Wochen mit Baby zu begleiten und zu helfen. 

Sobald sie konnten, haben sie den Flug nach Deutschland gebucht. Am 7. Juni sollten sie in Berlin ankommen. Und wie gern hätte ich meine Eltern auch in meiner Nähe in den Tagen vor und nach Nicos Geburt gehabt. Sie sind Ärzte, und zusammen mit meinem Mann, meine absoluten Helden. Wir haben alle gehofft, dass Nico eher nach dem errechneten Termin geboren wäre. Ich wünschte mir, das meine Eltern noch dazu kommen könnten, den Babybauch live zu sehen und zu streicheln, und ich sah mich sogar mit ihnen und den dicken Bauch am Karneval der Kulturen kurz vor der Geburt schlendern.

Das temperamentvolle Kind
Ende Mai fing ich an, täglich mit Nico zu sprechen und ihm davon zu überzeugen, auf die Großeltern zu warten. Aber wie Kinder so sind, hatte er seinen eigenen störrischen Plan. 
Mein Mann hat am zweiten Juni Geburtstag. Er ist nicht unbedingt der Begeisterter-Geburtstagsfeierer. An diesem Montag wollten wir nur ganz gemütlich beim leckeren Österreicher im Bergmannkiez mit einem Wienerschnitzel-Feast zu zweit feiern. Mein schwangerer Körper hatte aber etwas Anderes vor… Eine Geburtstagsüberraschung für Papi vielleicht? Wie jeden Morgen ging Tom zur Arbeit und ließ mich ausschlafen. Aber sobald er die Wohnung verließ, habe ich das dringende Bedürfnis aufs Klo zu gehen. Wartet mal, ich bin da unten feucht! Ich stand auf, und da floss etwas aus. Und die Unterhose hatte nicht mehr ihre Originalfarbe. Ich konnte das alles nicht einschätzen und rief bei meiner Frauenärztin an, die mich wiederum zum Krankenhaus schickte, weil ihre Praxis zu weit weg war.

Ich rief Tom an, wir trafen uns im Krankenhaus, davor hatte er noch schnell den Krankenhauskoffer geholt. Man wisse ja nie… Nach kurzem warten und einer Untersuchung wurde festgestellt, dass der Schleimpfropf sich gelöst hatte. Sonst war da kein anderes Anzeichen einer möglichen Geburt. Bis dahin könnte es Stunden, Tagen und sogar Wochen dauern. Ich atmete durch und bat Nico, er sollte bitte zumindest bis Samstag warten. An diesem Abend trauten Tom und ich uns nicht mehr, das Haus zu verlassen. 

Drei-Tage-Wehen
Am Mittwoch hatte ich eine normale Kontrolle bei meiner Frauenärztin. Ihre Praxis ist in Pankow (nach einer ewigen Suche nach einer Ärztin meines Vertrauens, bin ich bei Ihr geblieben). Ich bestellte mir ein Taxi als Folge von Pfropf-gate. Alles lief blendend. Ich war entspannt. Aus diesem Grund entschied ich, mit der U-Bahn nach Hause zu fahren. Auf dem Weg wollte ich noch die letzten Besorgungen für den Besuch meiner Eltern und Mittagessen holen. Als ich im Drogeriemarkt nach den schrecklichen Windeleinlagen für den Wochenfluss suchte, haben sich die ersten Wehen gemeldet. Noch weit weg von meiner Wohnung dachte ich mir, wenn die so leicht sind, dann ist das ganze ja wie ein Spaziergang! Von wegen! Endlich zu Hause habe ich mich auf der Couch eingenistet, Sex and the City zum Entspannen angeguckt und die noch leichten Wehen, die alle fünfzehn Minuten kamen, ausgeatmet. Und so verging auch der Abend. 

Plötzlich, gegen drei Uhr in der Nacht, haben die echten Wehen angefangen. Alle zehn Minuten. Da schlief keiner mehr.  Dann alle fünf Minuten! Wir sind aus dem Bett gesprungen, haben uns irgendwie angezogen und fuhren zum Krankenhaus. Als wir ankamen waren wir erstmal schockiert. Es sah aus, als ob an diesem Donnerstag ganz Berlin dort entbinden wollte. Wir hatten uns dort früh genug angemeldet und sogar ein Familienzimmer reserviert. Aber an diesem Tag sah es nicht danach aus. Sie wollten uns sogar in ein anderes Krankenhaus einweisen. Für mich kam das nicht in Frage!

Die Wehen waren schrecklich aber plötzlich nicht mehr so regelmäßig. Ich wurde zum Laufen geschickt. Ich wurde insgesamt fünf Mal untersucht. Ich hatte so sehr rumgefleht mich nicht nach Hause zu schicken, dass wir es sogar in einen Kreissaal schafften. Der Muttermund erreichte vier Zentimeter, zuletzt plötzlich nur noch zwei. Und ich musste an der Theorie meiner Hebamme über das Fluchtreflex des Babys denken. Nico hatte Lampenfieber! Wir wurden mit den Starken Wehen zwölf Stunden nach unserer Ankunft nach Hause geschickt. Ich solle zur Entspannung einen Kuchen backen. Kuchen backen my ass! Ich hasse backen, kann es auch nicht! 

Meine Eltern haben dabei alles im Live-Ticker mitbekommen. Sie machten sich sehr viele Sorgen. In Kolumbien wird niemand in der Situation nach Hause geschickt, sondern im Krankenhaus gelassen. Und die Figur der Hebamme existiert bei uns überhaupt nicht. Der eigene Frauenarzt führt die gesamte Schwangerschaftsvorsorge und er betreut auch die Entbindung. Meine Eltern konnten das deutsche System nicht verstehen. Ich fand es auch ziemlich unangenehm und unpersönlich. Vor allem die Suche nach einer völlig unbekannten Person für die Vorsorge, nachdem ich schon so lange nach einer guten Frauenärztin gesucht hatte! Und ich hätte mir eher eine medizinische Handhabung statt die viel zu sehr naturverbundene Art der Hebammen. Ich hatte zu wenig vertrauen auf das Ganze. 

Ich fühlte mich oft zum Brain-washing gezwungen und versuchte mich immer dagegen zu wehren. Vieles wurde von meiner Vorsorgehebamme und von mancher Krankenhauspersonal verteufelt, als Tom und ich uns nach einer Klinik für die Entbindung umschauten: ja keinen Kaiserschnitt zulassen, ja keine PDA nehmen, Dammschnitt? Über solche unangenehme werde nicht gesprochen. Wo blieb unsere Entscheidungsfreiheit als Gebärende? Ich weiß sehr genau, dass eine Geburt die natürlichste Sache der Welt ist. Aber man darf sich sicher fühlen, – your own way – oder nicht? Am liebsten hätte ich meine Frauenärztin aus der Praxis oder dem Bett ins Krankenhaus gezehrt. Wir waren machtlos und das Herz meines Vaters drohte, die Reise nach Deutschland am nächsten Tag zu vermasseln. Wir könnten aber nichts mehr machen außer abwarten. Ich atmete Wehen die ganze Nacht auf Freitag aus. Zum Schlafen kam ich dabei so gut wie gar nicht.

Der Tag der endgültigen Erlösung
Am nächsten Morgen blieb Tom zu Hause und kümmerte sich während des Homeoffice liebevoll um mich. Inzwischen war es mir egal, ob meine Eltern es rechtzeitig zu uns schaffen. Ich wollte dieses Kind so schnell wie nur möglich rauspressen. Ich war so müde vom Schlafentzug. Carrie Bradshaw & co. waren weiterhin eine willkommene Ablenkung. 

Um die Mittagzeit kochte Tom das Mittagessen. Es war ein leichtes Gericht, nur Hähnchenfilet und gebratene Kartoffel. Ich hatte ja Angst, mich während der Entbindung wegen so viel Essen übergeben zu müssen. Kaum saß ich am Tisch wurden die Wehen unerträglich stark und regelmäßig. Ich rief meine Hebamme an, die nur an meinem Ton erkennen konnte, dass es endlich soweit war. Wir fuhren sofort zum Krankenhaus. Wir kamen dort um etwa fünfzehn Uhr an. 

Anders als der Vortag, war es himmlisch ruhig. Ich wurde sofort ins Kreissaal eingewiesen. Sobald ich ihn betrat, hatte ich einen Blasensprung. Zwei Hebammen kümmerten sich sehr aufmerksam um uns drei. Ich bat sie mich in die Badewanne zu lassen. Das warme Wasser tat extrem gut. Sie schlossen mich an den CTG an und gaben mir Buscapin für die Schmerzen intravenös. Wenig später war der Muttermund komplett geöffnet. Eine Hebamme fragte mich, ob ich eine Wassergeburt habe möchte und natürlich wollte ich die! Mein Plan war so lange im Wasser wie möglich zu bleiben, um ein Dammriss so gut wie möglich zu vermeiden. Ich fing an zu pressen. Aber es passierte nichts. Nach langem versuchen musste ich raus. 

Ich probierte alle möglichen Stellungen und Geburtsgegenstände aber Nico wollte irgendwie nicht raus. Ihm ging es zu gut da drinnen. Ich war körperlich erschöpft, von den langen Wehen, vom Schlafentzug. Und das hielt mich davon ab, richtig zu pressen. Die Hebammen empfahlen mir eine PDA. Ich lehnte ab, weil ich Angst hatte, dass sie die Dauer der Entbindung verlängern würde. Aber ich hatte auch einen weiteren Plan: ich hatte mich für dieses Krankenhaus entschieden, weil Sie im Vergleich zu vielen anderen in Berlin komplett ausgestattet waren und weil sie Lachgas zur Schmerzlinderung der Wehen anboten. Ab dem Zeitpunkt und bis zum Nico rauskam, inhalierte ich Lachgas bei jeder Wehe. Und es hat super geholfen, ich kann es nur empfehlen!

Währenddessen stand Tom jede Sekunde bei mir und gab mir Wasser. Ich stellte mir die Szene wie auf dem Boxring vor. Er wie der Trainer und ich war der Boxer. Inzwischen waren meine Eltern schon auf dem Weg nach Deutschland. Tom hielt sie ständig per WhatsApp auf dem Laufenden, obwohl sich da eigentlich wenig tat, außer dass ich wie eine Verrückte vor Schmerzen schrie und mir innerlich peinlich war, dass das ganze Krankenhaus mich hört, weil an diesem heißen Freitag alle Fenster im Kreissaal offen waren. Aber irgendwie gab mir das Schreien auch ein bisschen Kraft. 

Willkommen á la Familia!
Irgendwann vor Mitternacht gab es Schichtwechsel mit zwei neuen, jungen, liebevollen Hebammen. Kurz darauf kam die Frauenärztin im Dienst und sagte uns, dass das Ganze einfach viel zu lang dauert und ich offensichtlich keine Kraft mehr habe, weshalb sie das Baby mithilfe der Saugglocke rausholen müssen. Ich war verzweifelt, hatte Angst und versuchte mich zu wehren. Ich wollte keinen Fremdkörper an meinem Baby! Bis sie mich irgendwie überredete. Innerlich flehte ich Nico an, sofort aus mir rauszukommen. Eine Hebamme brachte die geschlossene Packung mit der Saugglocke. Sie riss sie auf und plötzlich musste ich am lautesten schreien, ich spürte ein krasses Brennen, das so genannte „Ring of fire“ und ohne zu pressen, flutschte Nico um 23.50 des noch 6. Juni aus mir raus. Jedes Mal, wenn ich daran denke, fühle ich eine unglaubliche Erleichterung! Dieses Kind wusste was er wollte!

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Danach war ich so entspannt und extrem berührt, als ich Toms Freudetränen sah. Ich dankte dem lieben Gott so sehr, dass am Ende alles gut lief! Nico war ein kleiner Mini-me und hat geweint und geweint. Und das Schöne war, dass die ganze Familie an diesem Tag so gut miteinander verbunden und das Timing so perfekt war, dass meine Mutter Nicos erstes Weinen während ihrem Umsteigeaufenthalt in Panama am Telefon hörte und meinem besorgten Vater die gute Nachricht gleich danach geben konnte. Weniger schön war, dass die Station so voll war, dass Tom um zwei Uhr nachts nach Hause geschickt wurde, weil ich erstmal in ein Doppelzimmer eingewiesen wurde. Dafür waren wir alle, Papi, Mami, Nico, Abuelita, Abuelito und Tío am nächsten Tag im Familienzimmer wieder vereint und der Stress der letzten Tage waren vergessen!     

Rückblickend bin ich sehr, sehr dankbar mit dem lieben Gott und dem Leben, dass bei uns alles im Nachhinein gut lief und dass wir ein sehr gesundes und wunderschönes binationales Kind willkommen heißen konnten. Nach langem Bedenken und vielen Zweifeln habe ich die natürliche Geburt akzeptiert und ihre Vorteile genossen. Ich zweifle aber noch daran, ein zweites Kind hier auf die Welt zu bringen. Ich wünschte mir, dass man mehr entscheiden kann, dass vieles um die Entbindung nicht tabuisiert wird, dass es weniger Angst oder Apathie gegenüber der medizinischen Betreuung gibt und vor Allem dass Frau während der Schwangerschaft und Entbindung durch eng vertrauten professionellen Betreuer begleitet wird.

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Vielen Dank liebe Angelica für Deine Geschichte. Wir stimmen Dir zu, dass man eine Geburt sehr viel besser ist, wenn man jemanden an seiner Seite hat, dem man vertraut. Vielleicht ist eine Beleghebamme in solchen Momenten das Beste, was einem passieren kann… 

Übrigens schreibt Angelica seit Anfang des Jahres auch einen Blog, auf dem Ihr mal vorbeischauen könnt 😉

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Für unsere Serie “The Day that…” freuen wir uns über jede Mummy unter Euch, die einen Gastbeitrag schreiben und ihre Erlebnisse mit uns teilen möchte – Bei Interesse schreibt uns eine Nachricht an: info@mummy-mag.de