Trennung Familie Umzug

Dipl. Psychologin Anja Tamima Braun, arbeitet seit 2013 als niedergelassene Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche in Berlin-Wedding. Sie lebt selbst in einer Patchworkfamilie. Und weil sie damit quasi prädestiniert ist, hat sie uns anlässlich des MUMMY MAG Paper 8 mit dem Themenschwerpunkt “Familie abseits des klassischen Modells” einige Fragen beantwortet…

Liebe Anja, du arbeitest seit 4 Jahren in deiner Praxis mit „Scheidungskindern“. Was bedeutet Trennung für ein Kind grundsätzlich erst einmal? Welche psychischen Folgen kann eine unverdaute Trennung, ein Rosenkrieg beim Kind auslösen?

Wenn die Eltern sich trennen, bedeutet das für die betroffenen Kinder in der Regel eine Erschütterung ihrer bisherigen Lebenswelt. Das führt wie bei anderen Lebensveränderungen zu einer mehr oder weniger ausgeprägte Verunsicherung des Kindes im Sinne von: „etwas worauf ich mich bisher verlassen habe, verändert sich“.  Wie stark und nachhaltig diese Verunsicherung ist hängt dann von den Umständen der Trennung ab und vor allem davon, wie die Eltern das Kind durch diese schwierige Zeit durchnavigieren.

Wie Kinder reagieren, ist sehr stark vom Alter und der psychischen Reife abhängig. Kleine Kinder, für die durchgängig gut gesorgt ist und wo Mama und Papa trotz Trennung emotional verfügbar bleiben und für seine emotionalen – und anderen Bedürfnisse weiter gut sorgen, können am besten adaptieren. Je älter die Kinder werden, desto mehr werden sie realisieren, was die Trennungssituation bedeutet und desto stärker reagieren sie meist auch. Grundsätzlich gilt: wenn die Eltern trotz veränderter Paarsituation weiter emotional und zeitlich verfügbar bleiben, sich Zeit nehmen für die Kinder, für sie sorgen und für sie da sind und die Kinder aus ihren Streitigkeiten heraushalten, desto besser für die Kinder.

Kinder können ganz unterschiedlich reagieren: es kann zu sogenannten Anpassungsstörungen kommen, die sich in depressivem, ängstlichem aber auch aggressivem Verhalten äussern können. Manche Kinder machen Entwicklungsrückschritte, fangen zum Beispiel an, wieder einzunässen oder entwickeln Schlafstörungen, können sich nicht mehr gut konzentrieren. Solche Symptome können ein Hinweis für eine Überforderung des Kindes mit der Trennungssituation sein, da ist es empfehlenswert, sich professionelle Hilfe in Form von einer Familienberatungsstelle oder einer kinderpychotherapeutischen Praxis zu holen.

Ist denn bei einer Trennung grundsätzlich eine Therapie zum empfehlen?

Therapie ist sicherlich nicht immer notwendig, z.b. wenn das Kind nur vorübergehend Symptome zeigt, als erste Reaktion auf die Trennung, dann ist das ja auch normal und man sollte ihm Zeit geben sich zu „akklimatisieren“. Man sollte sich auf jeden Fall Hilfe (erstmal in Form von Beratung) suchen, wenn man sich als Eltern überfordert fühlt von der Situation und nicht weiss, wie z.B. eine gute Lösung bezüglich des Aufenthaltsortes des Kindes aussehen soll. Bei Erziehungs- und Familienberatungsstellen (z.B. zif-online.de) sitzen Fachleute, die die Familie gut beraten können. 
Wenn das Kind anhaltend Verhaltensauffälligkeiten zeigt, über die man sich Sorgen macht, sollte man sich einen Termin zur Abklärung bei einem Kinder -und Jugendpsychotherapeuten holen, der dann eine fachliche Einschätzung zur weiteren Vorgehensweise und Therapieindikation vornimmt.

Ich habe leider auch viele schlecht gelöste Trennungen in meiner Praxis gesehen: Eltern, die sich jahrelang in ungelösten Trennungsprozessen befinden, in denen das Kind immer wieder Streitigkeiten ausgesetzt ist  – solche Kinder entwickeln dann oft massive Selbstwertprobleme, fühlen sich verantwortlich für die Streitigkeiten, da sie alles tun wollen, damit der Streit aufhört, aber erleben, dass sie machtlos sind – je länger solche familiären Verstrickungen andauern, desto mehr Schaden wird das beim Kind anrichten.

Welche Möglichkeiten für  “sanfte Trennungen” gibt es?

Eine Trennung ist, wie schon gesagt, in den meisten Fällen ein heftiger Einschnitt für ein Kind, aber auch für die Eltern, die diese Entscheidung treffen. Das ist traurig und meistens sehr schmerzhaft. Ich denke, da muss man durch, das ist erstmal nichts „sanftes“. Man kann nur schauen, wie man es möglichst wenig traumatisch für seine Kinder gestaltet: das hängt zum einen davon ab,  wie sehr man sich selbst zurücknehmen kann, wie kompromissbereit man bleibt, und wie ernst man im Prozess der Trennung die gemeinsame Elternverantwortung nimmt. Das muss man sich ja eigentlich sowieso klar machen, sobald man Kinder in die Welt setzt: dieser Mensch, mit dem ich das vorhabe, wird dadurch für sehr lange Zeit mit mir verbunden bleiben, wir gehen mit der Elternschaft eine gemeinsame Verantwortung für einen anderen Menschen ein, die  womöglich unsere eigene Liebesbeziehung überdauert!

Wichtig ist vor allem, dass man das Kind im Fokus hat und es aus den Streitigkeiten vor und nach der Trennung heraushält. Dass man Absprachen über Umgang, Besuchszeiten, Ferien, Erziehungsthemen immer zuerst mit dem Ex-Partner macht – wenn nötig über Email, wenn man nicht mehr reden kann – und nicht das Kind als Botschafter benutzt. Das erlebe ich leider in der Praxis sehr oft.

Wie erklärt man es dem Kind am besten? Gemeinsam?

Wenn man das schafft, ist das auf jeden Fall empfehlenswert, wichtiger ist jedoch erstmal, einzusehen, dass man sich möglichst auf eine gemeinsame „Sprache“ gegenüber dem Kind einigt, was vielen Eltern schon schwer fällt. Man sollte gemeinsam überlegen, was passieren wird, bevor man mit den Kindern spricht. Kinder brauchen vor allem eine klare Perspektive: was wird jetzt anders? Wo wohnt dann Papa/Mama? Worauf kann ich mich weiter verlassen? In all diesen Punkten benötigen Kinder konkrete Fakten und Informationen, an denen sie sich orientieren können. Das wird ihnen Sicherheit geben.

Welche Dinge sollten man besonders beachten – im Hinblick auf die Kinder? Und was auf jeden Fall vermeiden? Wir haben mal gehört, das Wort “Trennung” sollten Eltern gegenüber der Kinder nicht benutzen – stimmt das?

Ich denke, wichtiger als künstlich bestimmte Begriffe zu vermeiden sollte man darüber nachdenken, wie man sie den Kindern erklärt. Wenn sie schon nicht von den Eltern das Wort Trennung hören, so werden sie ja wahrscheinlich es doch von anderen hören („sind deine Eltern getrennt??!“)
Also: wir trennen uns: was bedeutet das? was bleibt, was wird anders werden? Konkret und anschaulich, damit sich das Kind vorstellen kann, was passieren wird. Kinder – je nach Alte – haben noch völlig andere Konzepte von der Welt als wir Erwachsenen – ein vierjähriges Kind versteht noch nicht, dass man sich „nicht mehr liebt“, weil es dies in seiner Welt noch nicht gibt. Sie können sich nicht in uns Eltern einfühlen – je jünger, desto weniger. Ich denke frühestens ab der Pubertät ist das mehr und mehr möglich – weil sich da ja auch die Beziehung zu den Eltern verändert: Jugendliche sind weniger emotional abhängig, können aufgrund eigener Erlebnisse besser verstehen, dass Beziehungen kompliziert und schwierig sein können. Jüngeren fehlt hier einfach die Erfahrung.

Ich denke, man sollte sich darauf einstellen, dass das Thema Trennung immer wieder hochkommen kann – das ist auch ein gutes Zeichen, wenn Kinder sich trauen, da später noch nachzufragen, ist aber nicht unbedingt selbstverständlich. Man kann auch selbst immer wieder Gesprächsbereitschaft darüber signalisieren (jedenfalls ab Schulalter), zB: „wie ist das für dich gerade, dass wir uns nur am Wochenende sehen? Fehlt dir etwas?“ Manchmal kommt dann nicht gleich was, das ist dann auch in Ordnung. Vielleicht aber zwei, drei Tage später…

Ich finde es auch wichtig zu erwähnen, dass Eltern keine perfekte Fassade wahren müssen, wenn sie selbst eine schwere Zeit durchmachen. Diesen Anspruch haben viele, in der Realität ist das schrecklich anstrengend und wirkt auf Kinder auch nicht authentisch. Kinder merken genau, wie es uns geht und beziehen das dann eher auf sich, oder machen sich Sorgen, wenn sie nicht wissen, woran sie sind. Eltern sollten natürlich ihren Kindern nicht alles erzählen, was sie bewegt und weshalb sie wütend oder traurig sind, aber wenn es einem gerade schlecht geht, ist es besser zu sagen: „ich bin grade total fertig und brauch mal zehn Minuten für mich alleine im Bad“, als krampfhaft fröhlich zu sein. Kinder merken dann: „ok meine Mama sorgt für sich, wenn´s ihr nicht gut geht“ – dann verkraften sie das auch.

Auf jeden Fall muss alles vermieden werden, was die Kinder in einen sogenannten Loyalitätskonflikt (Loyalitätskonflikt: das Kind hat das Gefühl, sich für und gegen einen Elternteil entscheiden zu müssen) bringt: also offene oder versteckte Schuldzuweisungen („der Papa/die Mama will nicht mehr mit uns zusammenleben“); hier versuchen die Eltern (oft unbewusst) das Kind auf ihre Seite zu ziehen – meist aufgrund der eigenen Verletzung, oder aus der Angst heraus, das Kind könnte sich für den anderen „entscheiden“. Das richtet in der Praxis oft dramatische Folgen an: Kinder fühlen sich hin- und hergerissen, wissen nicht wem sie glauben sollen, sind verwirrt und trauen sich nicht mehr, ihre eigenen Gefühle zu äußern.

Geben sich Kinder automatisch Schuld für die Trennung der Eltern? Warum?

Das ist alters- und entwicklungsabhängig und kann vor allem passieren, wenn es im Vorfeld der Trennung viel Streit gab, dessen emotionale Auswirkungen das Kind mitbekommen hat – der Erwachsene ist vielleicht oft angespannt, genervt, lässt vielleicht seinen Ärger am Kind aus – das Kind hat also das Gefühl, es selbst mache etwas falsch und sieht sich als Grund für die angespannte Stimmung. Es gibt auch einige Eltern, die das Kind immer wieder in Auseinandersetzungen mit reinziehen – es wird (vor dem Kind) um Abholzeiten und Erziehungsthemen gestritten. Vor allem dann, wenn das Kind nicht erlebt, dass solche Auseinandersetzungen (die ja zum Alltag dazugehören) konstruktiv gelöst werden, wird es glauben, dass es Schuld am Streit der Eltern hat, da sie ja um Themen streiten, die es selbst betreffen.

Bei Trennungen geht es ja immer um die Bedürfnisse und Wünsche der Eltern, folglich ist es auch wohnlich in der Regel so, dass das Kind zwischen Vater- und Mutterwohnung mit Sack und Pack hin- und herpendelt. Das eine richtige Zuhause wird also aufgelöst. Wie schwierig ist diese Tatsache wirklich für das Kind? Können Wohnungsmodell in der die Eltern in der Wohnung mit den Kinder wechselnd wohnen helfen? Welches Erziehungsmodell ist zu Beginn am besten für die Kinder? Hauptsächlich ein Elternteil oder das Wechselmodell? Oder ist das stark abhängig vom Alter des Kindes?

Das Wechselmodell hat sich weitgehend durchgesetzt – es wird von vielen Eltern heutzutage favorisiert, da keiner der Eltern auf Zeit mit dem Kind / den Kindern verzichten will. Ich denke aber, dass es hier keine Lösung gibt, die für alle Beteiligten gleich gut passt – grundsätzlich muss man sich den Einzelfall anschauen, welches Modell geeignet ist. Da spielen Wohnortnähe, Arbeitszeiten der Eltern sowie das Alter der Kinder ein wichtige Rolle. Das Ziel sollte ein Modell sein, das gut zur individuellen Familie passt. Das Thema Betreuungsmodell ist eines der schwierigsten Themen bei der Trennung: beide Eltern haben oft Angst, zu kurz zu kommen. Ich denke, man sollte sich nicht scheuen, professionelle Beratung zu suchen, wenn man sich von der Entscheidung überfordert fühlt. Man sollte sich ehrlich fragen: wie viel Betreuung kann ich tatsächlich leisten? Es wird auch geraten, sich erstmal vorzustellen, man wäre nicht der Hauptbetreuer: wie würde mein Leben aussehen, wie würde ich die Kontaktzeiten gestalten? Das hilft auch, sich in den anderen hineinzuversetzen. Ausserdem sollte man sich ehrlich fragen, wie viel Nähe man zum Ex-Partner will – Thema gemeinsame Wohnung, in der die Kinder leben und die Erwachsenen pendeln – man sollte sich da nicht überfordern – Trennung bedeutet ja, dass man sich emotional vom anderen distanzieren will und muss. Da sollte man gut auf sich aufpassen.

Einen Punkt, den ich ganz wichtig finde, und der erstmal Druck rausnehmen kann, ist, eine Abmachung zu treffen, zunächst nur für den nächsten absehbaren Zeitabschnitt (bis zum Schuleintritt, bis zum Ende der Grundschulzeit, etc,) zu planen und dann bei Bedarf neu zu verhandeln.

Stichwort Regeln – wie wichtig ist es gemeinsame Regeln für den Alltag zu haben?

Natürlich ist es sinnvoll, möglichst übereinstimmende Regeln für den Alltag zu haben (beispielsweise betreffend Medienkonsum, Hausaufgaben, Bettgeh-Zeiten), damit das Kind eine klare Orientierung hat. Wenn man sich darauf einigen kann, ist das toll. Ich denke aber, dass es nicht prinzipiell schädlich ist, wenn es Abweichungen gibt (was wahrscheinlich realistischer ist). Wichtiger ist, sich nicht gegenseitig vor dem Kind auszuspielen, sondern Alltagsregeln mit dem Expartner zu klären und im Zweifelsfall auch mal Fünfe grade sein lassen, wenn beim Expartner manche Dinge anders laufen als man es selbst gerne hätte. Zunächst einmal ist jeder für seine Erziehung verantwortlich, das sollte man auch dem Expartner zutrauen! Grundsätzlich gilt auch hier: je mehr geregelte Kommunikation zwischen den Eltern stattfindet, auch nach der Trennung, wo man sich abstimmt über Schwierigkeiten und den Umgang damit, desto besser.

Dipl. Psychologin Anja Tamima Braun Kinderpsychologin Mummy Mag

Vielen Dank, liebe Anja Tamima Braun, dass du all die Fragen zum Thema Trennung so ausführlich beantwortet hast, die uns und sicher auch einigen Lesern unter den Nägeln brannten. Wir hoffen, wir haben nichts vergessen?

Anlaufadressen in Berlin für Eltern, die sich in Erziehungsfragen beraten lassen möchten, auch im Falle einer Trennung: www.efb-berlin.de oder zif-online.de (letzteres steht für Zusammenwirken im Familienkonflikt) eine Arbeitsgemeinschaft, die Familien beratend zur Seite steht und auch Kindergruppen in verschiedenen Altersstufen anbietet…
Literaturtips für Interessierte und Betroffene: Remo H. Largo, Monika Czernin „Glückliche Scheidungskinder“, Piper Verlag 3. Auflage

Vielleicht fragt ihr euch, warum wir hier nur über das auseinander, nicht über Patchwork sprechen? Weil dieses Thema mindestens ebenso komplex ist, findet ihr hier bald einen weiteren Beitrag dazu…

https://mummy-mag.de/2016/05/22/erziehungs-ansichten-wenn-eltern-nicht-immer-einer-meinung-sind/