Patchwork Family

Im ersten Teil dieses Interviews ging es um Trennungen. Da Dipl. Psychologin Anja Tamima Braun – sie ist Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche in Berlin-Wedding – selbst in einer Patchworkfamilie lebt, hat sie auch eine Neu-Zusammenführung erlebt. Wer wäre also besser geeignet, um sein Wissen anlässlich des MUMMY MAG Paper 8 mit dem Themenschwerpunkt “Familie abseits des klassischen Modells” dazu mit uns zu teilen…

Liebe Anja, du hast uns in diesem Interviews ja schon nahegelegt, wie wichtig es ist, individuell auf die Bedürfnisse von Kindern in Trennungssituationen einzugehen. Wenn nun neue Partner ins Spiel kommen, gibt es dazu allgemeingültige Tipps, wie und wann man diesen am besten dem Kind vorstellt?

Das ist sicherlich altersabhängig – ich denke, man fährt am besten damit, wenn man das langsam angehen lässt. Man sollte eine tragfähige Beziehung miteinander haben, bevor man die Kinder miteinbezieht. Dann kann man – ebenfalls schrittweise – weitergehen: man verbringt immer wieder Zeit gemeinsam mit den Kindern, unternimmt immer mal wieder etwas zusammen. Dabei sollten die Kinder selbstverständlich ausreichend Aufmerksamkeit bekommen, damit sie langsam eine Beziehung zum dem neuen Freund/der neuen Freundin aufbauen können und sich nicht aussen vorgelassen fühlen.

Welche Position sollte der neuen Partner bekommen? Welche Rechte in der Erziehung? Oder sollte man sich als Stiefvater, -mutter aus der Erziehung raushalten? Wie würde das gehen, wenn man zusammen lebt?

Jesper Juul hat mal sinngemäß gesagt „Beziehung ist die Grundlage für Erziehung“. Das bedeutet auch für werdende Stiefmütter und Väter: erstmal sollte man die Beziehung zum Kind des neuen Partners ausreichend festigen, bevor man sich erzieherisch einbringt. Das wird oft vergessen. Wichtig ist auch, dass die Kinder mitbekommen, dass sich beispielsweise Mutter und ihr neuer Partner abstimmen. Ich finde es auch empfehlenswert, wenn der biologische Elternteil dann mit dem Kind spricht und sagt: „Hör mal, ich habe mit … besprochen, dass er heute nachmittag für dich zuständig ist und er darf dir dann auch sagen, wo du noch mithelfen sollst…“ Dann weiss das Kind, dass beide an einem Strang ziehen.

Insgesamt würde ich dazu raten, dass der neue Partner sich – wenn er oder sie ein Interesse an einer  langfristigen Beziehung hat- erstmal auf die Beziehung zum Kind des Partners konzentriert. Er oder sie sollte einen langen Atem haben, immer wieder Beziehungsangebote machen (über Spiele, Sport, Hobbies etc.), sich allgemein für das Kind interessieren, Gesprächsbereitschaft zeigen, und sich zurückhalten, was Erziehungsfragen angeht.

Letzlich wächst man als neue Familie immer über gemeinsam verbrachte Zeit und Erlebnisse zusammen. Man sollte sich gegenseitig auf jeden Fall ausreichend Zeit geben, um zusammenzuwachsen. Man braucht ca. 5 Jahre (!), um wirklich eine Familie zu werden. Aus meiner Erfahrung weiss ich, dass viele diese Zeit total unterschätzen, was durch überzogene Ansprüche an das Zusammenleben zu Überforderung und Enttäuschung führen kann.

Wenn das Kind den neuen Partner ablehnt – wie sollte man damit umgehen? Was ist das beste für das Kind?

Meist ist Eifersucht auf den neuen Partner der Hintergrund für Ablehnung, meist aus Angst, dass er / sie vielleicht die Mama oder den Papa „wegnimmt“. Die Erwachsenen sollten hierfür Verständnis haben und es langsam angehen lassen. Die Kinder sollten in angemessenem Ausmaß einbezogen werden. Auch wenn man als Frischverliebte eigentlich nur herumturteln will, sollte man so feinfühlig sein und das in den kinderfreien Zeiten machen. Wenn man Zeit mit den Kinder verbringt, ist es wichtiger, als Gemeinschaft etwas zusammen zu unternehmen, wo neuer Partner und Kinder eine Beziehung zueinander aufbauen können.

Die leiblichen Eltern sollten auch besonders darauf achten, ausreichend Zeit mit ihren Kindern – auch alleine – zu verbringen, so dass vieles von dem Leben, an das sich die Kinder gewöhnt haben, weitergeht mit seinen liebgewonnenen Ritualen (ins Bett bringen, gemeinsame Spielzeiten etc.).

Wie groß ist in der Realität das Problem, dass (Stief-)Eltern zwischen eigenen und Stiefkindern unterscheiden? Insbesondere in Stresssituationen? Oder können auch gerade die Unterschiede, die von Eltern bei “eigenen” und “Stiefkindern” gemacht werden, dazu führen, dass sich die Kinder bevor- oder noch eher benachteiligt führen und folglich den neuen Partner des Elternteil noch mehr ablehnen?

Hier kommt es wie immer auf den Einzelfall an – wer wohnt wie zusammen? Welche Kinder kommen zum Wochenendbesuch? Wie viel gemeinsame Erziehungszeit wird man noch miteinander verbringen? Natürlich treffen im Fall, dass bei einem neuen Paar beide Partner ein Kind oder mehrere Kinder in die Beziehung mitbringen, auch unterschiedliche Erziehungskonzepte aufeinander. Da sollte man sich mit viel gegenseitigem Respekt und auch Toleranz entgegentreten und – wenn man zusammen bleiben will – an gemeinsamen Grundpfeilern schmieden. Je mehr man miteinander teilt, desto mehr sollten auch gleiche Regeln für die Kinder gelten, damit die Eltern an einem Strang ziehen. Sinnvoll ist hier der „Familienrat“, bei dem man sich regelmässig (oder nach Bedarf) trifft und bestimmte konfliktträchtige Themen konstruktiv bespricht.

Ob viele Eltern sehr zwischen eigenen und Stiefkindern unterscheiden – ich denke, das kommt auch auf das Alter an, in dem man die Stiefkinder kennengelernt hat – je früher, desto wahrscheinlicher, dass auch eine tiefe Bindung zum Stiefelternteil entsteht. Aber auch die Verfügbarkeit von anderen Bezugspersonen spielt eine Rolle. Ich denke, emotional sind einem die eigenen Kinder schon näher, manche Eltern haben sogar ein schlechtes Gewissen deswegen und bevorzugen dann unbewusst das Stiefkind um „fair zu sein“. Ich finde, es ist wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein und sich das ruhig einzugestehen, dass man sich tiefer mit dem eigenen Kind verbunden fühlt. Das ist auch in Ordnung, wenn man sich gleichzeitig auch bemühe, für das Stiefkind da zu sein und versucht, eine gute Beziehung zu ihm aufzubauen. Ich kenne aus meiner Arbeit viele Eltern, die sich sehr darum bemühen, fair gegenüber ihren Stiefkindern zu sein und auf gleiche Regeln für alle achten.

Kinder reagieren jedoch sehr feinsinnig auf Unterschiede, wie ihre Stiefgeschwister und sie selbst behandelt werden. Sie sind ja verunsichert: wie wird mein Leben in dieser neuen Familie sein? Bin ich noch genauso wichtig für meinen Papa oder mag der vielleicht meine Stiefschwester mittlerweile mehr, die er die ganze Woche sieht und mich nur jedes zweite Wochenende?

Da sind vor allem auch die leiblichen Eltern gefragt: auf jeden Fall darauf achten, regelmässig mit dem eigenen Kind alleine Zeit verbringen, und sei es exklusive Zeit beim Vorlesen oder ein gemeinsamer  Spaziergang zum Bäcker als Sonntagmorgenritual.

Wie wichtig ist, dass alle (vielleicht sogar vier) Elternteilparteien an einem Strang ziehen, sprich dass die gleichen Erziehungsregeln gelten? Ist das überhaupt umsetzbar?

Das ist auf jeden Fall wünschenswert, dass alle an einem Strang ziehen – der kleinste gemeinsame Nenner sollte immer sein, dass es den Kindern gut geht und möglichst nicht an der von den Erwachsenen geschaffenen Situation leiden.

Natürlich ist es besser, wenn einigermaßen gleiche Regeln bei allen Beteiligten gelten, aber in der Realität muss man die anderen auch einfach machen lassen und ihnen zutrauen, dass sie ihrer Erziehungsverantwortung gerecht werden, auch wenn die Umsetzung unterschiedlich ist. Ich denke, Kinder können ganz gut damit zurecht kommen, wenn z.B. bei Papa jedes Besuchswochenende zwei Filme geguckt werden dürfen und sie abends viel später im Bett sind, und das bei Mama im Alltag nicht geht. Das wichtigste ist, dass die Beziehung zwischen beiden Eltern und Kind stimmt, beide Eltern zeitlich und emotional verfügbar sind und die Kinder sich geborgen fühlen.

Wenn ein neues Baby kommt, wie erklärt man das am besten dem Kind? Worauf sollte man auf jeden Fall achten, damit das Kind sich nicht “ausgegrenzt” oder “ersetzt” fühlt?

Es ist vor allem wichtig, dass sich das Kind in der neuen Familie wohl und geborgen fühlt, seinen Platz findet und eine tragfähige Beziehung zum neuen Partner entsteht. Ich denke, Eltern sollten insoweit sensibel beim Mitteilen der Nachricht sein, dass sie nicht erwarten, dass das Kind sich genauso freut wie sie selbst. Je nach Alter ist das ja relativ abstrakt, dass da ein neuer Mensch unterwegs ist.  

Man sollte vor allem darauf achten, dass die älteren Geschwisterkinder auch weiter gesehen werden mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen. Ich finde es sehr wichtig – auch in Nicht-Patchworkfamilien!- dass man regelmässig etwas alleine mit seinem Kind macht (und sei es 10 min. an der Bettkante sitzen und Füsse massieren), weil man es da ganz anders erlebt. Kinder wollen nicht immer nur im Rudel  sein und manchmal fordern sie auch ganz energisch (gerade durch störendes Verhalten) Aufmerksamkeit für sich ein, auf die sie auch ein Recht haben.

 

Dipl. Psychologin Anja Tamima Braun Kinderpsychologin Mummy Mag

Vielen Dank, liebe Anja Tamima Braun, für all deine Antworten. Zum Thema Trennung und auch der Neu-Zusammenführung. Denn selbst wenn es uns nicht in erster Linie betrifft, kennen wir doch alle mindestens eine Familie, Freundin, der es so geht, oder?

Für alle die Hilfe suchen: Der Familienwegweiser des Familienministeriums gibt einen guten Überblick – ihr findet hier Infos zu Trennung, Rechtliches und regionale Beratungsstellen