Bindungsanalyse Mummy Mag Mutter mit Kind

Was denkt das Baby eigentlich in meinem Bauch? Diese Frage hat Madeleine sich zum Ende ihrer zweiten Schwangerschaft gestellt, bzw. sie wurde ihr gestellt. Madeleine fand daraufhin folgende Antwort: „Ein ungeborenes Kind nimmt mit seinen Sinnen auf und speichert. Es spürt, wenn die Eltern in Verbindung mit ihm stehen. Gefühlserfahrungen während der Schwangerschaft, sowohl positive wie auch negative, werden im Gehirn als emotionale Muster abgelegt. Das ungeborene Kind möchte anerkannt werden. Es ist hilflos, wenn sich die Mutter oder der Vater seelisch verschliessen.“ Das bedeutet es ist wichtig und sinnvoll, sich täglich mit dem Baby zu beschäftigen – nicht erst wenn es bereits geboren ist, auch schon wenn es noch im Bauch ist.

Manche Eltern schwören auf klassische Musik oder Walgesänge, anderen reicht es, gute Gedanken in den Bauch zu schicken. Doch es geht noch intensiver! Janine, die Eso-affinste unter uns, ist jetzt auf etwas gestoßen, das sie euch nicht vorenthalten möchte, auch wenn wir im Team unterschiedliche Einstellungen dazu haben: einen vorgeburtlichen Dialog zwischen Mutter und Kind in einer geführten Tiefenentspannung, die Positives fördern und Ängste nehmen kann. Sowohl der Mutter, als somit auch dem Kind!

Liebe Petra Paul, du bist Hebamme, Stillberaterin und bietest Bindungsanalyse an. Letzteres sind Sitzungen, die die vorgeburtliche Bindung zwischen Mutter und Kind stärken sollen. Warum sollte ich bereits zu meinem ungeborenen Baby Kontakt aufnehmen?
Bindungsanalyse eignet sich für alle Schwangeren, die Freude und Interesse haben, schon vorgeburtlich mit ihrem Kind in intensiven Kontakt zu sein. Dadurch kann sie Schwangerschaft und Geburt deutlich unbelasteter erleben. 

Gibt es bestimmte Indikationen, aus denen heraus Bindungsanalyse empfehlenswert ist?
Bindungsanalyse ist besonders wertvoll für die Frauen, deren Schwangerschaft belastet ist durch starke Ängste. Ängste vor der Schwangerschaft, der Geburt oder auch der ersten Zeit danach. Sprich Frauen die Fehlgeburten, Frühgeburten oder vorausgegangene traumatische Geburten erlebt haben, sowie Frauen, die unter postpartaler Depression, also Wochenbettdepressionen, gelitten haben. Während der Bindungsanalyse entsteht ein geschützter Raum, um schwierige Erfahrungen zu verarbeiten und zu integrieren. Genauso geeignet ist Bindungsanalyse aber auch für die Frauen, deren Probleme sich aus ihrer eigenen Familiengeschichte ergeben oder die an sich und ihrer persönlichen Beziehungsthematik arbeiten möchten. Die erste Beziehung im Leben eines Menschen ist sehr prägend für die Gestaltung weiterer Beziehungen und hat automatisch Einfluss auf die Beziehung zum eigenen noch ungeborenen Kind und natürlich die Zeit danach. Also zum Beispiel eine Frau, die aus welchen Gründen auch immer schwierige Beziehung zu ihrer Mutter hatte, wird sich selbst schwer tun, eine unbelastete Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen.

Du selbst hast einen Sohn mit Asperger-Syndrom. Hast du Bindungsanalyse gemacht? Kann man Besonderheiten spüren?
Leider gab es damals als mein Sohn zur Welt kam noch keine Bindungsanalyse. Als er 1998 geboren wurde, das war genau die Zeit in der Jenö Raffai sie mit seinem Kollegen Hidas entwickelte. Jenö hatte ursprünglich in der Klinischen Kinderpsychatrie gearbeitet. Bei seiner Arbeit mir den Kinder hatte er festgestellt das viele Probleme der Kinder nicht aus deren bisher kurzen Lebenszeit resultieren. So ist er mit seinen kleinen Patienten zeitlich immer weiter zurück bis er in die Zeit der Schwangerschaft und Geburt gekommen ist. Einige der erkennbaren Probleme waren Generationen übergreifend an die Kinder weitergegeben. Er hatte sich dann gedacht, es ist doch viel sinniger die Kinder zu schützen und präventiv zu arbeiten und daraus ist die Bindungsanalyse so in dieser Form entstanden. Erst um etwa 2005 kam er mit seiner Ausbildung nach Deutschland und dann wurde sie erst langsam bekannter. 

Der Entwickler der Bindungsanalyse, der Ungare Jenö Raffai, fand einen Mangel an persönlichen inneren Grenzen zwischen den Patienten und ihrer Mutter in der frühen Entwicklung? Was genau bedeutet das?
Das Kind erlebt sich als eine Einheit mit der Mutter während der Schwangerschaft. Durch die Bindungsanalyse entsteht für das Kind die Möglichkeit, sich schon früh in der Schwangerschaft als eigene Persönlichkeit wahrgenommen und geachtet zu fühlen. Durch das Reagieren der Mutter auf die Gefühle des Kindes erfährt es sich als bedeutsam und kann daraus ein Gefühl von Selbstbewußtsein und Selbstwirksamkeit entwickeln. Ein Beispiel für das nicht Gelingen dieser inneren Grenzen wäre, wenn jetzt eine Frau, deren erstes Kind verstorben ist, ihre Schwangerschaft in ständiger Angst und Panik vor einem erneuten Verlust, erlebt. Das noch unabgegrenzte Kind bezieht diese Ängste auf sich und kann im weiteren Verlauf sich zu einer ängstlichen Persönlichkeit, die sich nichts zutraut, entwickeln. Um jetzt nicht gleich alle betroffenen Mütter zu verunsichern: Es müssen in der späteren Entwicklung noch zusätzliche Faktoren hinzukommen. Aber das Grundgefühl wäre schon mal gelegt.

Aus deiner Erfahrung als Hebamme, gibt es Frauen, zu denen Bindungsanalyse nicht passt (geplanter Kaiserschnitt?), denen du sogar davon abrätst? Oder kann das prinzipiell jede machen? Leute die keine spirituellen Interessen haben, können die die Verbindung überhaupt erleben?Gerade für Frauen, bei denen ein Kaiserschnitt geplant ist, macht es Sinn, über eine Bindungsanalyse nachzudenken. Die Frau hat dann die Möglichkeit, ihre Ängste zu sortieren und neue, positive Gefühle zu entwickeln. Es müssen keine spirituellen Kenntnisse oder Vorwissen gegeben sein. Die Bereitschaft, an seiner Persönlichkeit zu arbeiten und für die eigene Gefühlswelt (später natürlich auch die vom Kind) offen zu sein, genügt schon. Eigentlich gibt es kaum Frauen, für die eine Bindungsanalyse nicht geeignet wäre, eine akute Psychose würde ich jetzt ausschließen. Aber dies sind in der Regel dann Frauen, die auch nicht den Weg zu mir finden. Bindungsanalyse ist keine Psychotherapie im engeren Sinne, enthält aber durchaus einige Elemente.

Wie oft hast du schon Kritikerinnen überzeugen können? Was sind deren Einwände bzw. Bedenken? Und welche Argumente gibt es, um Kritikerinnen zu überzeugen, dass Bindungsanalyse kein völliger Quatsch ist!?
Bisher hatte ich es nur mit wenigen Kritikerinnen zu tun, da die Bindungsanalyse noch nicht sehr bekannt und verbreitet ist. Eher mal Nachfragen aus dem eigenen Kollegenkreis wenn trotz Bindungsanalyse die problemlose Wunschgeburt nicht ganz gelungen ist. Dazu muss ich dann sagen, ich kann nicht mit allen Frauen in der kurzen Zeit der Schwangerschaft  das ganze Leben aufarbeiten, da schleppen viele doch ganz schön was mit sich herum. Es ist jedoch ein guter Weg, die Kinder vor einem großen Teil zu schützen. Da bekomme ich häufig sehr positives Feedback. Zu einem Teil von den Frauen, die ihre Kinder als sehr ruhig und ausgeglichen erleben, die mir immer wieder schildern wie wenig die Kinder schreien und viel besser schlafen als erwartet. Zum anderen aber auch von Kolleginnen, die diese Aussagen bestätigen und überrascht sind von der guten Selbstregulation der Kinder und der Zugewandtheit und dem intuitiven Verhalten der Mütter. Das schönste Kompliment machte eine Kollegin die meinte, wenn die Mütter bei mir zur Bindungsanalyse waren, hätte sie deutlich weniger Arbeit im Wochenbett. Mutter und Kind würden sich schon richtig gut kennen und sind intuitiv aufeinander eingestimmt. Beide haben schon eine feste Beziehung zueinander aufgebaut und verstehen sich ohne Worte. Sie fühle sich da außen vor. Sie müsse da keine Übersetzungsarbeit und nicht so viel Hilfestellung leisten und könne sich dann auf ihre eigentliche Hebammentätigkeit konzentrieren wie Nabel, Gewicht und Verlaufskontrollen, Stillberatung etc. ….

Schafft es jede Frau, eine Verbindung aufzubauen? Und was hört, sieht, fühlt sie dann?
In der Regel schaffen es die meisten Frauen, wenn sie früh genug anfangen, in einen festen Kontakt mit dem Kind zu kommen. In einer geführten Tiefenentspannung bekommt die werdende Mutter Gefühle, Körperreaktionen und Bilder, die sie zu ihrem Kind führen. Manchmal in Farben und Phantasien oft jedoch auch in Bildern. Viele Frauen sind anfangs etwas unsicher, ob sie diese Eindrücke auch als echte Wahrnehmung von den Kinder deuten sollen. Diese Unsicherheit verfliegt meist jedoch sehr schnell und es zeigt sich großes Erstaunen und Respekt darüber, sein Kind schon so früh in der Art wahrzunehmen. Freude und Ehrfurcht vor der Kompetenz des Ungeborenen entsteht. Einige Mütter führen quasi Dialoge mit dem Kind. Und nicht selten habe ich auch erlebt, dass Mutter und Kind regelrecht verhandelt haben. Zum Beispiel bei Streß in der Schwangerschaft wenn die Frau noch voll beruflich eingespannt war, dem Kind es aber zu viel wurde. Im Sinne von „ich mache mich auf den Weg, wenn du hier nicht langsamer machst und diese Unruhe abstellst“  oder bei Kinder in Steißlage „ich drehe mich schon noch rechtzeitig, lass mir noch Zeit und mach mir keinen Druck“.

Was können die Auswirkungen dieser Dialoge sein? Stellt man sich dann auf ein gewisses Persönchen ein? Und was, wenn die “Erwartungen” nach der Geburt nicht erfüllt werden…
Die größte Auswirkung von Bindungsanalyse ist, dass Mutter und Kind nach der Geburt schon einen intuitiven Umgang miteinander haben. Einige Frauen beschreiben es als ein “gegenseitiges Kennen auf einer Ebene, das sich nur noch in unsere Welt verlagern muss”. Oder andere meinten, das Kind sei genau so wie sie es vorher gesehen hätten,  nur sei es jetzt greifbar. Die Frauen bestätigen, dass sich das Kind im Prinzip auch als die Persönlichkeit zeigt, die die Mutter schon vor der Geburt wahrgenommen hat. Dadurch dass die Ungeborenen am Ende der Schwangerschaft auf diesen Weltenwechsel vorbereitet werden wie zB. Hunger, das Gefühl von Schwerkraft, Kälte, Licht oder fremde Personen, sind die Kinder schon innerlich gefestigter und nicht so gestresst. Sie sind auf die Geburt vorbereitet und kommen emotional stabiler bei uns an. Da schon eine feste Bindung besteht, kann die Mutter dem Kind unter der Geburt somit mehr Halt und Sicherheit vermitteln, im Sinne von “durch die Geburt führen”.

Ist man in allen Fällen näher an seinem Baby dran, entstehen da also schon “Freundschaften”? Oder kann auch das Gegenteil passieren?
Ich würde den Kontakt, den Mutter und Kind schon vorgeburtlich knüpfen nicht als Freundschaft bezeichnen, sondern als tiefes intuitives, gegenseitiges Erkennen der Persönlichkeiten mit einer daraus resultierenden festen Bindung miteinander. Ich finde es wichtig, dass die Frau schon dem Ungeborenen gegenüber ihre Mutterrolle übernimmt. Dies vermittelt dem Kind Stärke und den nötigen Halt, den das Ungeborene braucht, um sich auf das „Wagnis” der Geburt einzulassen und mit all den neuen Anpassungsanforderungen diesseits zurecht zu kommen. Was sich weiter im Leben fortsetzt. Insofern sind auch die Erwartungen nach der Geburt ganz andere als an eine Freundschaft. Ich denke die Kinder wollen an ihren Eltern wachsen und Grenzen testen. Sie zeigen ihnen ihre Themen auf, an denen sie noch nacharbeiten und sich weiterentwickeln können, beide Seiten, jeder in seinem eigenen Tempo.

Ich bin interessiert: Wer verschreibt/empfiehlt sowas? Also wo erfahren werdende Mütter davon? Wer bietet Bindungsanalyse an? Wo finde ich jemanden in meiner Nähe? Welche Kosten kommen auf mich zu?
Bindungsanalyse ist nicht verschreibungspflichtig. Hier in der Südpfalz hat es sich schon unter einigen Frauen herum gesprochen, dass es diese Form der Schwangerenbegleitung gibt. Oft empfehlen Kolleginnen dies den Frauen auch, wenn sie spüren, dass da mehr als nur die „üblichen” Ängste und Sorgen einer Schwangerschaft bestehen oder die Schwangerschaft von vornherein so belastet ist, dass die Frau kein Gespür für ihr Kind entwickeln kann. Manche Hebammen empfehlen weiter und können darüber sehr gut Auskunft geben. Eine Liste mit Kontaktadressen findet man aber auch unter Bindungsanalyse.de.
Leider ist Bindungsanalyse keine Leistung der Krankenkassen. Da sie sowohl von Psychotherapeuten als auch von Hebammen angeboten wird gibt es unterschiedliche Arten, das abzurechnen. Üblicherweise kann frau um die 20. SSW mit der Bindungsanalyse beginnen und ca. 2 Wochen vor der Geburt enden.

Über Petra Paul
Petra ist seit 30 Jahren Hebamme und Still-und Laktationsberaterin nach IBCLC und hat zusätzlich zur Bindungsanalyse nach Jenö Raffai noch eine Ausbildung in Systemischer Beratung/Therapie. In Germersheim ist Petra als Beleghebamme in einem Team tätig und somit direkt in der praktischen Geburtshilfe. Ehrenamtlich leitet sie mit 3 Kolleginnen in Landau/Pfalz zudem die Stillgruppe “Mama Toto”. Bindungsanalysen bietet Petra ganz unabhängig in eigenen Räumlichkeiten in Landau/Pfalz an. Ihre Ausbildung zur Bindungsanalytikerin hat sie direkt bei Ludwig Janus, der Pränatalpsychologe Deutschlands und Autor mehrerer Bücher, und Jenö Raffai gemacht. Jenö kam dabei zu jedem Seminar von Budapest nach Heidelberg angeflogen. Sie selbst ist Mutter eines Sohnes mit Asperger Syndrom und einer 13-jährigen Tochter. Das Thema Bindung und Bindungsaufbau ist darüber ein Herzensthema von ihr geworden.