Es gibt so Abende, an denen geht bei mir gar nichts mehr. Körperlich und seelisch. Der ganze Tag ist ein Gerenne gewesen. Ein Kind immer auf dem Arm, wie sehr das schlaucht merkt man erst dann, wenn das Gewicht im Bettchen liegt und mein Rücken sich meldet. Hausarbeit wird im Eiltempo erledigt, immer darum bemüht, nicht von einem der Kleinen unterbrochen zu werden und einmal – nur einmal – eine Aufgabe in Ruhe zu Ende bringen zu können.

Familienverantwortung als Gesundheitsrisiko

Das, was am meisten zehrt ist aber nicht die körperliche Arbeit. Es ist der volle Kopf. Mein Kopf, der nicht nur den ganzen Tag über kindliche Emotionen spiegeln und auffangen muss. Sondern der das ganze Familiengerüst stabil hält. Klar, es sind Kleinigkeiten. Ich muss noch Milch kaufen. Der Große braucht endlich neue Socken. Übermorgen hat die Köchin der Kita Geburtstag und ich muss Pralinen besorgen. Aber erstmal muss ich den neuen Gebrauchten zulassen. Achja und nächste Woche ist Termin im Bürgeramt, vorher also noch Babyfotos für den Kinderreisepass machen. So Sachen. In der Masse aber ein Wirrwarr aus „Achja nicht vergessen“ und „Denk dran morgen das zu machen“. Eine Freundin erzählte mir, sie wache nachts auf und könne vor Gedankenchaos nur schwer wieder einschlafen. Sie sei so müde, der Kopf zu voll. Mental Load nennt sich der volle Kopf, das Management der Familie neuerdings.

Mit ihrem „feministischen Comic“ schlug die Französin Emma bei Müttern voll ein und brachte den Fachterminus Mental Load, der zuvor aus dem Bereich (Erwerbs-) Arbeitsgesundheit bekannt war vom Büro an den Familientisch. Kaum eine Frau, die sich nicht damit identifizieren konnte. Kaum ein namhafter Familienblog, der sich nicht auf die eine oder andere Weise damit befasste. Den besten Beitrag zur mentalen Belastung lieferte Mareice Kaiser: „Es tut mir leid, ich schaffe gerade gar nichts, außer überleben“, schrieb sie und traf damit den Nerv unzähliger Gleichgesinnter.

„Es tut mir leid, ich schaffe gerade gar nichts, außer überleben.“

Mareice Kaiser

Das volle Gewicht der Verantwortung ist in einer Paarbeziehung bei den meisten gleichmäßig aufgeteilt. Die Einseitigkeit kommt mit der Geburt eines Kindes. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) erfährt ein Drittel aller Frauen in den sieben Jahren nach der Geburt eines Kindes eine extreme Verschlechterung des mentalen Wohlbefindens. Bis hin zu psychischen Krankheiten, Depressionen und Burn Out.

Mental Load wurzelt in der mangelhaften Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie

Das ist Privatsache? Ja. Nein. Eigentlich ist es ein hochpolitisches Thema. Der hkk Gesundheitsreport 2017 „Mutter-/ Vater-Kind-Kuren“ bestätigt, dass 60 Prozent derjenigen, die entsprechende Kuren in Anspruch nahmen, die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Belastung sahen. Der Report berichtet außerdem, dass „die Datenauswertungen zeigen, dass die Übernahme von Familienverantwortung für Frauen ein hohes Gesundheitsrisiko birgt.“

Mit Blick auf die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf zeigen sich klare Stellschrauben, an denen gedreht werden muss.

Verlässliche, qualitativ hochwertige Betreuungsstrukturen

Dass in Sachen Kitaplatz Angebot vieles im Argen liegt, hat die Große Koalition mittlerweile erkannt. Mit einer einmaligen Finanzspritze an die Länder sollen zum Beispiel mehr Kita Plätze geschaffen werden, ein „guter“ Fachkraft-Kind-Schlüssel etabliert werden oder die Qualifizierung von Fachkräften unterstützt werden. Zwar kritisieren die Länder schon jetzt, dass die einmalige Zahlung nicht für einen langfristigen Ausbau ausreichen wird, aber immerhin ist ein erster Schritt getan.

Betreuung ist aber nicht nur Kita Sache – auch Ganztagsschulen müssen neu diskutiert werden. Dabei darf es nicht darum gehen, die Kinder möglichst lange zu verwahren, sondern Druck aus den vollen Stundenplänen zu nehmen und Gestaltungsspielräume zu schaffen. Laut einer Studie zur Entwicklung der Ganztagsschule bleiben an einer Ganztagsschule weniger Kinder sitzen und in Ansätzen lassen sich bessere Schulleistungen nachweisen.

Damit immer noch nicht genug: gerade Alleinerziehende benötigen in Krankheitsfällen schnelle und unbürokratische Familienhilfe, eine Art SOS Soforthilfe. Der momentane Antragsprozess ist für viele Betroffene zu träge und umständlich.

Last but not least: Auch in der Pflege muss sich etwas tun. Denn mit Familienarbeit ist nicht nur Kinderbetreuung gemeint. Auch wenn man sich um die Eltern kümmern möchte, ist das einerseits erfüllend, aber auch extrem belastend. Zwar gibt es die Instrumente der Pflegezeit und Familienpflegezeit – aber sie werden viel zu wenig in Anspruch genommen. Laut einer Studie sind die Programme zu wenig bekannt. Und wenn sie bekannt sind, sind die finanziellen und organisatorischen Nachteile scheinbar zu groß.

Mehr Flexibilität am Arbeitsplatz hinsichtlich Arbeitsort und –zeit

Hilfreich wäre es auch, weg vom starren Stechuhr-Prinzip zu kommen. Unternehmen müssen darin bestärkt werden, Homeoffice und flexible Arbeitszeiten zuzulassen. Und – warum nicht laut über eine 30-Stunden Woche nachdenken? Ich kenne viele Väter, die ebenfalls gerne weniger arbeiten würden um Zeit mit der Familie zu verbringen. Die klassische Teilzeit aber ist für die meisten Familien in der Konstellation leider kein Thema. Vielleicht wäre die 30-Stunden Woche ein weiterer Schritt, um zementierte Rollenverhältnisse aufzubrechen.

Echte Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern

Um mal nicht nur zu mäkeln: Das Elterngeld in Deutschland sucht seinesgleichen. Nur in wenigen anderen Ländern können sich Eltern nach der Geburt eines Kindes so viel Zeit für die Familie nehmen. Fakt ist aber: Noch ist die Elternzeit vor allem Frauensache. Männer nehmen sich vor allem den berüchtigten „Urlaubsmonat“. Da gibt es noch deutlich Luft nach oben!

Fakt ist aber auch: Solange Frauen weiterhin weniger verdienen als Männer, liegt es nahe, dass eher sie sich eine Auszeit vom Job nehmen. Frauen verdienen aber nicht nur faktisch weniger, sondern auch indirekt – Pflege- und Erziehungsberufe, in denen vor allem Frauen arbeiten, werden finanziell in unserem System geringer geschätzt, als „typische Männerjobs“.

Womit wir beim Punkt wären. Es geht um Wertschätzung.

Zurück zu Mental Load. In der oben genannten hkk Studie nannten Teilnehmerinnen von Kurmaßnahmen ständigen Zeitdruck, hohe berufliche Anforderungen und mangelnde Anerkennung als stärkste Belastungsfaktoren. Ich selbst habe mich dazu entschieden, die Elternzeit alleine zu nehmen und danach erst in Teilzeit wieder einzusteigen. Es gibt Abende, da will ich am liebsten den Kopf in den Sand stecken, weil das Chaos um mich herum und in meinen Gedanken so groß ist und ich die Hauptverantwortung dafür trage.

Aber.

Ich kriege Respekt für das was ich mache, jeden Tag. Es fühlt sich für mich nie so an, als sei der Bürojob meines Partners wichtiger oder schwieriger als das, was ich stemme. Das motiviert extrem. Denn ich habe meine Vollzeitarbeit, in der ich viel Feedback und Motivation erfahren habe, für die Kinderzeit temporär aufgegeben. Meine Care Arbeit wird nicht als selbstverständliches Beiwerk genommen, sondern erfährt große Wertschätzung. Und: Ich kann sagen, wenn ich Support brauche, bekomme ich ihn so gut es geht von meinem Partner, von der Familie. Für mich fühlt sich Familienarbeit nicht wie eine dauernde Belastung an. Es ist manchmal fucking anstrengend. Es ist extrem fordernd, physisch und psychisch. Aber welcher Job ist das nicht?

Ich fände es so wichtig, dass alle Frauen diese Wertschätzung erhalten würden. Dass ihre harte Arbeit gesehen wird – ich meine wirklich und wahrhaftig gesehen. Dass sie Unterstützung bekämen, wenn die Kinder gerade eine schwere Phase durchmachen, jemand krank ist, oder auch so, wenn mal alles zu viel wird. Dass Care Arbeit den Respekt eines 70 Stunden Beraterjobs oder Ähnlichem erhielte.

Wertschätzung und Respekt in Kombination mit politischen Stellschrauben könnten wirksam mentaler Überbelastung zuvorkommen. Dazu fände ich es extrem wichtig, Emotionsarbeit und Familienarbeit im Zusammenhang mit Stress wissenschaftlich weiter zu erforschen – sowie es im Bereich der Erwerbsarbeit längst üblich ist.

Eltern SOS

Wenn mal gar nichts mehr geht, könnt ihr euch kostenfrei beim Mutter-Kind-Hilfswerk e.V. oder dem Müttergenesungswerk beraten lassen. Weitere kostenfreie Beratungsangebote sind hier aufgeführt.

Vielleicht bleibt dann trotz aller Anstrengungen mehr Raum für die Sonnenseiten von Familienarbeit. Gestern Abend zum Beispiel, da war ich erschöpft. Ich legte mich zu meinen beiden Jungs. Höre ihr leises Schnaufen, spüre die Wärme ihrer Haut. Mein Kopf, der war auf einmal ganz leicht.

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