Ich will das alles so gerne können. Alles unter einen Hut bekommen. Für unsere Kinder da sein, im Job wach und stets professionell auftreten. Im Haushalt erlaube ich mir Abstriche, auch wenn der Hype um Marie Kondo zusätzlich Druck erzeugt. Aber blitzeblank und clean ist hier nicht. Immerhin: während ich hier gerade am Rechner sitze, zieht der fleißige Staubsaugerroboter seine Runden. Seit ich Kinder habe muss ich ein ums andere Mal feststellen: perfekt gibt es nicht. Aber wenn doch nur der Tag ein paar mehr Stunden übrig hätte….

Meine Liebeserklärung ans Büro

Meine Arbeit findet primär im Büro statt. Für den Blog und einzelne Aufträge habe ich aber kein Büro, das mache ich abends wenn die Kinder schlafen von zuhause aus, am Küchentisch. Ab und zu denke ich, es wäre vielleicht praktisch auch meinen anderen Job tageweise von zuhause aus zu bestreiten, dann würde ich mir die Fahrtzeit sparen. Zeit die ich wieder nutzen könnte, für die vielen, nie enden wollenden To Dos. Dann verwerfe ich den Gedanken wieder: Ich liebe die Arbeit im Büro mit dem Team. Ich sehe nicht das Chaos, die Wäsche, das Geschirr zuhause, sondern kann mich ganz und gar aufs Wesentliche konzentrieren. Ich mag auch das schnelle, spontane zwischendurch mal schnacken und Infos austauschen mit den Kolleg*innen. Ganz ehrlich: Im Home Office telefoniert man nur wegen wichtigen, zu klärenden Punkten mit dem Team. Den Rest macht man mit sich selbst und dem Mailfach aus. Ging mir jedenfalls immer so, wenn ich von zuhause aus gearbeitet habe. Damit nicht genug: Ich mag sogar auch den Arbeitsweg sehr gerne – 30 Minuten nur für Musik im Ohr, Gedanken schweifen lassen, Instagram, Träumereien.

Aber man soll ja über seinen Horizont hinaus denken und es gibt bestimmt viele Fälle, in denen flexibles Arbeiten und Home Office total Sinn machen. Wenn der Arbeitsplatz etwa räumlich echt weit weg ist. Oder wenn der Arbeitgeber – wie in manchen Unternehmen – Kosten einsparen will und daher nur noch für 2/3 der Belegschaft Schreibtische parat hält, die diese dann im Wechsel nutzen können. Auch aus der Wirtschaft, mit der ich beruflich momentan viel zu tun habe, tönt der Lobesruf lauter denn je: Flexible Arbeitszeiten, Wochenarbeitszeit, Home Office – juhe! Das klingt ein bisschen so, als ob plötzlich viel mehr Zeit zum Leben, für die Freizeit übrig bliebe. Fakt ist jedoch: das Gegenteil ist der Fall.

Mehrarbeit unterm Radar

 

Die Hans-Böckler-Stiftung hat jetzt festgestellt:

Mütter, die im Home Office arbeiten, kommen demnach in der Woche auf drei Stunden mehr Betreuungszeit für die Kinder als Mütter, die nicht von Zuhause arbeiten können. Zugleich machen sie eine zusätzliche Überstunde im Job.

Moment mal.

Das heißt, Home Office schenkt uns nicht mehr Zeit, sondern im Gegenteil, lässt noch mehr Arbeit auf uns lasten? Laut der Studie der Hans-Böckler-Stiftung gibt es zumindest durch flexibles Arbeiten keine Entlastung:

„Zusätzliche Erholungszeit, also etwa für mehr Schlaf, individuell gestaltete Freizeit oder Sport, haben Beschäftigte mit Kindern im Haushalt durch flexible Arbeitszeiten generell nicht.“

Was mich aber am meisten überrascht (im negativen Sinn) hat: Es macht geradezu den Anschein, als ob Home Office dazu beitragen würde, die althergebrachten Rollenmuster zwischen Frau und Mann noch zu festigen. Während Männer im Home Office Überstunden für ihren Job schieben, sich aber deshalb noch lange nicht mehr um die Kids kümmern, wird von der Mama in so einem flexiblen Arbeitsmodell erst recht Einsatz zuhause erwartet.

Dr. Yvonne Lott, die die besagte Studie herausgebracht hat, warnt:

 „Der Abstand bei den Zeiten, die Mütter und Väter jeweils mit Erwerbstätigkeit und mit Kinderbetreuung verbringen, wächst mit der Flexibilität der Arbeit. Flexibles Arbeiten, das als wichtige Hilfe bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gilt, hat damit durchaus eine Schattenseite. Ohne bessere Leitplanken als es sie heute in vielen Unternehmen gibt, kann es die traditionelle Rollenverteilung befördern.“

Be careful what you wish for…

Gerade erst kündigte die SPD aus dem Arbeitsministerium heraus an, sie wolle ein Recht auf Home Office durchsetzen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßte das Vorhaben grundsätzlich, warnte aber auch vor einer Entgrenzung der Arbeit. Es müsse möglich sein, eine Zeiterfassung auch von zuhause aus zu machen und es müsse auch ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit geben.

Auch ich sehe, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt mehr Flexibilität bringt. Wertvolle Flexibilität auch und gerade für Familien. Arbeitszeit und –ort sind eben nicht mehr festgefahren. Ich glaube aber auch, dass es ein schmaler Grat ist, den die Politik gerade beschreitet. Nicht alles, was unter dem Deckmantel der digitalen Arbeitswelt verkauft wird, bringt auch wirklich mehr Lebensqualität.

Aus Nordrhein-Westfalten etwa kam von der Schwarz-Gelben Landesregierung im Bundesrat gerade ein Vorstoß, es solle eine Wochenarbeitszeit geben und die Ruhezeit zwischen den Arbeitstagen müsse gelockert werden. Dabei sind flexible Arrangements zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen schon heute möglich, wenn die Tarifparteien sich entsprechend einigen. Hier geht es also eher darum, dass Arbeitgeber*innen von ihren Angestellten Mehrarbeit verlangen können, wenn es die Auftragslage gerade erfordert – der Arbeitsschutz und die Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit würden so total ausgehöhlt werden. Auch die DGB-Chefin von NRW, Anja Weber, warnt in einem Interview:

Die Mehrheit der Menschen hat das Problem, dass sie sich nicht gegen Entgrenzung der Arbeit wehren kann. Psychische Krankheiten nehmen zu. 43 Prozent der Erwerbsminderungsrenten werden mit ihnen begründet.

Man mag ja Fan sein, vom zuhause-aus-arbeiten. Für manche Jobs, Selbstständige sowieso, und für manche Lebensphasen mag das perfekt sein. Aber eines zeigt die Studie von Dr. Yvonne Lott ganz deutlich: Wir müssen genau hinschauen, ob uns die Flexibilisierung wirklich mehr Freiheit bringt. Und ob wir uns mit dem bequem klingenden Label „Home Office“ nicht am Ende vieles aufbürden, anstatt uns Entlastung und Zeit zu verschaffen – gerade auch was unsere Geschlechterrollen angeht. Ich für meinen Teil schalte jetzt den Staubsaugerroboter ab, klappe den Laptop zu und mache jetzt einmal ganz bewusst: nichts.

Home Office, ja aber…

Dr. Yvonne Lott zeigt sich aufgeschlossen gegenüber einem Recht auf Home Office. Dann aber müssten erst die politischen Rahmenbedingungen gesetzt werden, um die tradierte Rollenverteilung zwischen Mann und Frau nicht noch zusätzlich zu verfestigen. Sie schlägt vor:

  • die Zahl der Partner-Monate beim Elterngeld von zwei auf sechs zu erhöhen, um Anreize für Väter zu schaffen, sich stärker in der Kinderbetreuung zu arrangieren.
  • ein Recht auf Familienarbeitszeit einzuführen, das Männern die Teilzeitarbeit schmackhaft macht.
  • das Ehegattensplitting abzuschaffen, da es eine ungleiche Verteilung zwischen den Partnern fördert.
  • klarere Regeln für Home Office und selbstbestimmte Arbeitszeiten zu schaffen, um Selbstausbeutung zu verhindern.

Quellenangabe: Titelbild von StartupStockPhotos auf Pixabay.

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