„Wenn es einer Mama plötzlich nicht mehr gut geht, hat sie zwei Optionen: Aufgeben oder kämpfen. Soweit die Theorie. Praktisch kennen WIR aber keine Mami da draussen, die nicht für sich und ihr Kind kämpfen würde. Egal wie müde sie ist.“
Diese Worte stammen von Christianes Homepage momilabel.de. Christiane selbst ist Anfang 30, Mutter und eine unglaublich starke Frau. Mehr noch, sie ist eine SuperMom; und sie ist psychisch krank. Christiane kämpfte lange Zeit gegen Panikattacken und erlitt nach der Geburt ihres Sohnes im Mai 2018 einen schlimmen Rückfall. Körperlich ging es ihr gut, doch psychisch… ging nichts mehr. Plötzlich stand sie selbst vor dieser Entscheidung: Aufgeben oder kämpfen. Und sie entschied sich, zu kämpfen. Mehr noch, sie beschloss, dies nicht im stillen Kämmerlein zu tun, sondern mit ihrer Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen. Damit kämpft sie nicht nur für sich, sondern auch für all die anderen Mamas, denen es genauso geht oder ging wie ihr. Dieses Interview führte Janine Dudenhöffer. Liebe Christiane, du leidest an Panikattacken und machst dies auch öffentlich. Dafür erhältst du super viel Feedback. Was war der Moment, in dem du dachtest, ich kann und mag es nicht länger für mich behalten? Ich leide an einer Angststörung seit 2011. Das bezieht sich aber eigentlich „nur“ aufs Autofahren. Dabei die Kontrolle zu verlieren, bewusstlos zu werden. In der Schwangerschaft ging es mir dann viel, viel besser damit. Ich war sogar in der Therapie, um an mir zu arbeiten und fühlte mich zeitweise wahnsinnig stark! Nur um dann wenige Tage nach der Geburt unseres Kindes völlig zusammenzubrechen. Wann war für dich der Zeitpunkt gekommen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen?
Als mich immer mehr Insta-Freunde (und ja, ich meine das ernst! Insta ist seit der Schwangerschaft ein wichtiger Teil meines Lebens und ich habe dort echte Freunde gefunden) fragten, ob alles okay sei, da wusste ich, ich muss was tun. Erst habe ich einzelnen anderen Mamas „gebeichtet“ was mit mir ist.. und siehe da: 2/3 der Frauen konnten zumindest in Teilen total nachvollziehen was mit mir passierte. Wirklich viele dieser nach außen so toughen, fröhlichen Frauen haben auch zu kämpfen! Da wusste ich, es geht hier nicht nur um mich. Ich muss das laut sagen. Wahnsinn, das zeigt doch, wie sehr wir Realität und Offenheit brauchen. Was glaubst du, warum sich dennoch so viele schwer damit tun, mit „Unbequemlichkeiten“ an die Öffentlichkeit zu gehen. Und das obwohl es heute so viele (Beispiele für) positive Reaktionen gibt? Sich selbst einzugestehen, dass man nicht perfekt ist in dieser scheinbar perfekten Insta-Welt ist hart. Allen anderen geht es ja (scheinbar!) so gut. Da will man nicht aus der Reihe tanzen. Und ja, es gibt unter 100 positiven halt auch eine negative Reaktion. Gerade gestern wurde ich öffentlich dafür kritisiert, dass ich „mein verheultes Gesicht in die Kamera halte“ und mir wurde gesagt „ich sei ja gar nicht richtig krank“. Das zieht einem erst mal den Boden unter den Füßen weg. Aber dann bekomme ich wieder 10 Nachrichten in denen steht, wie sehr ich mit meiner Offenheit helfe. Dann konzentriere ich mich einfach darauf.
Wie kam es zu deiner Angststörung bezüglich Auto fahren? Und was ist während bzw. nach der Geburt vorgefallen, dass alles wieder hochkam? Diese Frage habe ich auch heute noch nicht genau klären können. Als ich 17 war verunglückten 2 Freunde tödlich auf dem Heimweg von unserem Lieblingsclub. Der Fahrer war nüchtern, aber übermüdet. Er schlief einfach ein, sie prallten frontal in einen Bus und waren sofort tot. Das Bild geht mir auch heute noch nicht aus dem Kopf. Ob das aber der wirkliche Auslöser ist, weiß ich nicht. Ich hatte als Kind schlimme Kreislaufprobleme, kippte ständig um. Das war peinlich, ich war hilflos, ich habe es gehasst! Die plötzliche Aufmerksamkeit, im Mittelpunkt stehen für etwas, das ich nicht kontrollieren kann – das hat mich so gequält! Die körperlichen Probleme verschwanden mit der Volljährigkeit plötzlich, aber die Angst vor der Bewusstlosigkeit blieb. Und der Führerschein kam! Die Kombination daraus hat sich einfach als Angststörung manifestiert glaube ich heute zu wissen. Sicher bin ich aber nicht. Während der Geburt (die 3 Tage dauerte und mit einem Kaiserschnitt endete) war ich wieder völlig hilflos, schutzlos, ausgeliefert. Keine Kontrolle zu haben war schrecklich, die Schmerzen waren trotz PDA unerträglich. Ich dachte wir sterben – beide. Nach der Geburt konnte ich mich aufgrund der Schmerzen nicht um mein Baby kümmern, aufgrund meiner Ängste nicht einschlafen und aufgrund des zu hohen Blutverlust nicht aufstehen. Das war zu viel, denke ich.

A semicolon is used when a sentence could have been ended. But it wasn’t.

"the semicolon project" via Christiane, mom;

Welche Hilfe hattest du in der Zeit nach der Geburt? Konnten dein Freund, deine Mutter, deine Hebamme etwas tun, das dir durch die Zeit geholfen hat? Wie geht es dir heute? Ich hatte jede Hilfe die man sich wünschen kann – und trotzdem kann einem niemand helfen. Man muss dazu wissen, dass wir kurz vor der Schwangerschaft in die Schweiz gezogen sind. Ich war also die ganze Zeit der Schwangerschaft quasi alleine. Keine Mama, keine beste Freundin vor Ort. Nach der Geburt waren unsere Familien zwar kurz zu Besuch, ab dem Tag der Entlassung waren wir aber auf uns gestellt. Weil ich das genau so wollte! Ich wollte unbedingt alles alleine schaffen. Das war nicht die beste Idee, könnte man sagen.. Zum Glück hatte ich in dieser Zeit eine Hebamme, die jeden Tag zu uns kam. Als ich einige Tage nach der Geburt „etwas weinerlich“ wurde, fühlte ich mich trotzdem gut aufgehoben. Aber es hörte nicht auf, wurde schlimmer, unerträglich. Es war eine meiner Hebammen die mich Freitagnacht überzeugte zurück ins Spital zu gehen. Die größte Stütze war aber mit Sicherheit mein Partner. Er war wirklich die gesamte Zeit an meiner Seite. Man muss sich mal vorstellen: Ende April 2018 war ich das erste mal zur Einleitung im Krankenhaus. Drei Tage, zwei Nächte. Am dritten Abend brach ich den Versuch ab und entließ mich auf eigene Verantwortung. Eine Woche später startete der nächste Versuch, 3 Tage später kam unser Sohn zur Welt. All die Zeit schlief mein Freund auf einem Klappbett! Und dann, eine Woche nach der Geburt – schon wieder ins Krankenhaus, wieder Klappbett, trösten, auffangen, Papa sein. Er hat das super weggesteckt, mich belastet es bis heute. Einfach weil ich mich wie eine Belastung für ihn fühle. Meine Mama habe ich erst „eingeweiht“ als es mir schon etwas besser ging. Sie ließ alles stehen und liegen und kam am nächsten Tag die 350km zu uns und blieb eine Woche. Erst als meine Mama da war, konnte ich wieder essen. Heute geht es mir gut, wenn auch nicht jeden Tag. Ich gehe regelmäßig zur Therapie und nehme Medikamente. Und ich gehe offen mit meiner Erkrankung um, habe sogar ein kleinen Label für SuperMom;s gegründet! Das Gefühl anderen Mamas zu helfen, hilft mir.
Ist das „etwas weinerlich“ eine Wortwahl von dir oder hat das jemand zu dir gesagt? Beides. Ich wurde vor den Heultagen gewarnt. Gefühlt JEDER hat mir gesagt, dass das passieren wird. Es wäre völlig normal „rumzuheulen“.. ob das die richtige Wortwahl ist, bleibt fraglich! Wie würdest du diese Stimmungslage beschreiben? Anfangs war es einfach das pure Glück und die Erleichterung über unser gesundes Kind, die mich zum Heulen brachten. Die Angst, dass irgendetwas mit unserem Sohn „nicht stimmen“ könnte hat mich fast erdrückt. Und dann war er da und er war gesund ♥  
Du Liebe, du hast mir ja am Telefon auch erzählt, dass sich andere öffnen, sobald du über dein Päckchen sprichst. Magst du nochmal sagen, was du da Überraschendes erlebt hast? Ja, das ist so. Sobald ich den Mund aufmache und ganz konkret von meiner Erfahrung nach der Geburt, oder aber meiner Erkrankung im allgemeinen spreche, höre ich fast immer ein „ich (wahlweise auch Freunde, Familie, Kollegen,..) kenne da jemanden“ oder sogar „ich bin selbst betroffen“. Das bisher Erstaunlichste, oder zumindest Überraschendste, war, dass sich eine alte Schulfreundin aus Bayern per Instagram bei mir gemeldet hat. Jetzt muss man zum einen sagen, dass der Account „geheim“ ist und sie zudem nicht unbedingt eine Freundin von mir war. Wir fanden uns furchtbar doof! Gegenseitig! 😅 Wenn wir uns 1x im Jahr zufällig in der Heimat getroffen haben, haben wir uns mit schweigen und bösen Blicken begnügt. Und plötzlich schreibt sie mir, wie toll sie meine Ehrlichkeit findet und dass es ihr auch so ging. Das hat mich wahnsinnig berührt. Mittlerweile haben wir Handynummern getauscht, schreiben gerne miteinander und ein SuperMom; Shirt hat sie neuerdings auch im Schrank 💪🏼 Und was rätst du anderen Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind, nach der Geburt des Babies unglücklich sind bzw. Trauer, Unsicherheit oder Ängste empfinden? Was ich andere Mamas raten kann ist: Redet! Sprecht es aus, wenn etwas nicht stimmt. Ganz egal was. Hört auf euer Gefühl – immer. Und nehmt Hilfe in Anspruch. Ein wichtiger Punkt ist vielleicht auch noch, dass Hilfe in Anspruch nehmen nie als Schwäche gesehen wird. Niemand nimmt euch euer Kind weg, weil ihr euch Hilfe genommen habt. Davor haben tatsächlich viele Frauen Angst.

Die Sache ist – man darf nicht aufgeben! Ich habe keinen Punkt gemacht, meinem Leben kein Ende gesetzt.

Bitte glaubt mir: Ihr seid nicht allein! Und ihr rockt gewaltig.

Christiane, mom;

Liebe Christiane, danke für dein Vertrauen, deine Offenheit und dafür, dass du uns Einblick in deine Welt gewährst. Wir wünschen dir für die Zukunft nur das Beste. You rock!
Wer mehr von Christiane lesen möchte, kann das auf ihrem Blog tun. Hier erzählt sie beispielsweise, wie es zu ihren Panikattacken kam. Außerdem kann man in ihrem Shop ihre tollen und mutmachenden Shirts kaufen.
Angaben zum Copyright: Alle Bilder wurden uns von Christiane von momilabel zur Verfügung gestellt

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