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Sakura Fischer hat deutsch-japanische Wurzeln und ist irgendwie fast überall zuhause. Sie hat in Berlin Weißensee Design studiert, arbeitet als Fotografin, Stylistin und Art Direktorin auf der ganzen Welt. Kein Wunder, dass sie ihren französischen Mann in Istanbul kennengelernt hat, ihn in Marokko heiratete, ihren Sohn in Paris bekam und nun mit ihrer Familie seit einem Jahr in Peking lebt  – aus Neugier auf die im Wandel steckende Metropole. In der nächsten Ausgabe des MUMMY-MAG Papers haben wir eine Homestory mit ihr, aber natürlich mussten wir mit dieser umwerfenden Frau auch ein langes Mummy-Interview führen.

 

Liebe Saki, Du hast deutsche und japanische Wurzeln, lebst schon lange in Paris, nachdem Du in Deutschland groß geworden bist und lebst seit nun bald einem Jahr mit Deinem französischen Mann und dem gemeinsamen Sohn (3) in Beijing, China. Was bedeutetet Kultur und Tradition für Dich? Welchen Einfluss hat sie auf Dich, was gefällt Dir besonders und vor allem – wie fühlst Du Dich?
Kultur und Tradition sind schon immer ein wichtiger Bestandteile in meinem Leben gewesen, wenn auch komplett durchmischt. Durch meine eignen Wurzeln, die sich aus süddeutschen und japanischen zusammenstellen plus die meines Mannes, der da noch dreiviertel französische und ein Viertel chinesische mit ins Spiel bringt.

Ich könnte gar nicht sagen, welche Kultur den meisten Einfluss auf mich hat, es ist irgendwie genau richtig, wie es ist! Ich habe mich in Deutschland nie so richtig „deutsch“ gefühlt und ich glaube der „Kulturmix“ in meiner Familie heute, ist genau das, mit dem ich mich am wohlsten fühle.

War es mit so viel Hintergrundwissen eine bewusste Wahl in Frankreich ein Kind zu bekommen?
Ehrlich gesagt hatte ich gar nicht so viel Hintergrundwissen übers Kinderkriegen in Frankreich und hatte mir bis dahin auch nie  so viele Gedanken darüber gemacht.
Schwupps, war ich dann schwanger und dann hatte ich keine Wahl mehr! Die medizinische Betreuung während einer Schwangerschaft und die Vorbereitung ist in Frankreich ziemlich gut strukturiert und ich war sogar manches Mal positiv überrascht, wie viele Vorsorgeuntersuchungen von den Kassen übernommen werden. Die Enttäuschung kam eher nach der Geburt, die mit Komplikationen verbunden war. Ich hätte mich sehr über eine  Hebammenbetreuung zu Hause gefreut und auch nötig gehabt. Ich hab mir dann zwar selbst eine organisiert und hätte auch in eine sogenannte PMI-Stelle gehen können, die es in jedem Bezirk gibt, um mir dort Beratung und Hilfe zu holen, aber nach einer komplizierten Geburt ist man noch so benommen, dass man gerne zu Hause bleiben möchte und alles andere  einfach zu anstrengend ist. Gut dazu muss man auch sagen, dass mein Mann zu dem Zeitpunkt nach der Geburt beruflich sehr eingebunden war und nicht zu Hause sein konnte und klar, ich hätte ja auch meine Mutter fragen können, ob sie zu mir zu kommt (was ich nicht getan habe und im Nachhinein sehr bereut habe), aber irgendwie bin ich davon ausgegangen, dass nach der Geburt alles rosig und happy ist, ich gemütlich mit meinem Kind zu Hause eingekuschelt das neue Elternsein genieße… haha Pustekuchen! Jetzt bin ich aber schlauer und für’s nächste Mal besser vorbereitet! 

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Was hältst Du von der viel beschworenen französische Erziehung? Gibt es die überhaupt und wenn ja, erzieht Ihr Euren gemeinsamen Sohn typisch französisch?
Also mir ist die so viel beschworene französische Erziehung nicht so stark aufgefallen, allerdings habe ich meist mit komplett international durchmischten Familien zu tun gehabt und mein Kind auch nicht, wie es in Frankreich meist üblich ist, nach drei Monaten schon in die Ganztagesbetreuung oder an die Nanny abgegeben. Die „Erziehung“ findet bei uns relativ intuitiv statt. Klar gibt es bestimmte Spielregeln, aber wir halten uns jetzt nicht an ein festes „Erziehungskonzept“, dem wir folgen. Ich fühle mich selber noch in einem täglichen Lernprozess. Eins ist jedoch absolut klar und das Wichtigste für uns: nämlich, dass unsere Kids ein starkes Selbstbewusstsein entwickeln, grosse Offenheit der Welt, Ländern, Kulturen gegenüber entwickeln und keine Angst vor Neuem und Unbekanntem haben. Sie sollen lernen möglichst früh selbstständig und unabhängig zu werden. Darum reisen wir viel! Vom chronischen Fernweh und Abenteuerlust mal abgesehen! hehe Ich habe Noa-Jun von Kleinauf überall mithin genommen! Europa, Afrika, Asien….da war alles schon mit dabei. Jetzt leben wir seit fast einem Jahr in Peking und mein Sohn spricht bald besser chinesisch, als ich… 

Du arbeitest als Künstlerin, Stylistin, Art Direction und Fotografin. Hat Dich Dein vielseitig kultureller Hintergrund geprägt oder vielleicht sogar Berlin-Kreuzberg, wo Du besonders lange gelebt hast? 
Ich glaube am meisten haben mich klar meine eigenen kulturellen Hintergründe geprägt, gefolgt von besonderen Menschen und Begegnungen, die enorm wichtig waren und natürlich die jeweiligen Wohnortwechsel von kleinauf: ein Jahr in Japan als Kleinkind, danach mehrere Städte in Deutschland (am längsten natürlich in Berlin!), Lyon, Paris und jetzt Beijing….

China war bis zum Ende der Ein-Kind-Politik lange eines der/das Geburtenstärksten Länder der Welt. Und auch wenn das jetzt anders aussieht und sich inzwischen auch chinesische Paare die Frage stellen, ob sie genug Geld für das zweite Kind haben, was ist Dein Eindruck, warum die Geburtenrate solange so hoch war? Was machen die Chinesen komplett anders als die Europäer in Bezug auf Kinderplanung, und Erziehung?
Was die Kinderplanung betrifft, sieht es bei den Chinesen noch lange nicht so entspannt aus, wie bei uns Europäern! Für die meisten Familien stellt sich die Frage nach mehreren Kindern gar nicht erst. Die Familienpolitik hat sich zwar etwas geändert, aber nach wie vor ist es so, dass die meisten Familien nur ein Kind bekommen dürfen. Sie dürfen „offiziell“ ein zweites Kind bekommen, wenn in der vorhergehenden Generation das Kind ein Einzelkind war. Auf dem Land darf man mehrere Kinder bekommen, da sonst die Versorgung der Höfe nicht gewährleistet werden kann. Um welches Geschlecht es sich jedoch handelt, wird in China vor der Geburt des Kindes nicht von den Ärzten freigegeben. Es gab zu viele Probleme mit Kindestötungen im Falle eines Mädchen, da die Familien vor allen Dingen auf dem Land, wenn sie schon nur ein Kind bekommen durften, dann zumindest einen Jungen wollten, der sich dann um den Hof kümmern konnte. Um diese Kindestötungen und Abtreibungen einzuschränken, gab es dieses Gesetz, welches noch bis heute strengstens gilt.

Für die meisten Chinesen ist nach wie vor die Hochzeit sehr wichtig und das Kind sollte dann im Idealfall ziemlich schnell danach kommen. Soweit ich etwas zur Erziehung sagen kann, finde ich, dass die Erziehung immernoch sehr stark leistungsorientiert ist, während ich denke, dass die Europäer da etwas entspannter herangehen. Auch wenn das Bewusstsein sich hier langsam immer mehr öffnet, haben die meisten jungen Eltern gar keine grosse Auswahl. Die Kinder verbringen die meiste Zeit in der Schule, die extrem gruppenorientiert ist, es gibt keinen Platz für Individualität und keine Zeit, sich auf den jeweiligen Entwicklungsrythmus eines Kindes zu konzentrieren. Alles ist auch in der Erziehung und schulischen Erziehung eher eingeschränkt und kontrolliert. Die Förderung zu selbstständigem, lösungsorientiertem Handeln und kreativen Denken, kommt leider absolut zu kurz! 

Wie ist der Umgang mit Kindern in China? – Alter erzeugt in Asien ja sehr starken Respekt, wie ist das mit den Kids?

Der Umgang mit Kindern ist in China ausserordentlich herzlich. Kinder werden hier überall mit grosser Wäerme und Offenheit empfangen. Erst recht, wenn es ausländische Kinder sind und noch mehr, wenn es kleine Blondschöpfe sind. Ich muss aufpassen, dass mein Sohn hier nicht zu sehr verwöhnt wird, da er sich Blödsinn erlauben kann, für den man uns in Deutschland oder Frankreich schon längst aus dem Restaurant geschmissen hätte. Überall in Asien sind Kinder kleine Stars.

 Wie ist die Wertschätzung der Gesellschaft gegenüber Familien in China? In Frankreich? In Deutschland? 

Wie bereits erwähnt, ist die Wertschätzung von Kindern und Familien in China sehr hoch. Nicht nur bedingt durch die Ein-Kind-Politik. Ich finde, dass man in Asien generell mit Kindern immer gerne gesehen wird. Je mehr, desto besser und die Menschen begegnen einem mit großem Lächeln und offenen Armen.

In Deutschland gibts oft böse Blicke sobald dein Kind aus der Reihe tanzt oder seinen Tobsuchtsanfall nicht mehr einkriegt. In Frankreich wird’s besonders brenzlig, wenn dies beispielsweise in einem Restaurant passiert…

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Wie ist Euer Alltag in China? Arbeitet Ihr beide? Nutzt Ihr eine staatliche Kinderbetreuung? Oder habt Ihr andere Unterstützung?

Unser Alltag in China ist ziemlich bunt. Kein Tag ist wie ein anderer, das liegt vor allen Dingen auch daran, dass wir keine festen Arbeitszeiten haben. Fred ist Photograph/Journalist und ich arbeite als Stylistin und Art Director.

Die Kinderbetreuung ist hier ein noch etwas kompliziertes Thema. Generell fängt diese in den staatlichen Einrichtungen erst ab drei Jahren an. Vorher gibt es auch gar keine Ausbildungsmöglichkeit für die Erzieher, die jeweils ein komplettes Studium dafür absolvieren müssen. In China leben die Familien daher meist unweit von ihren Eltern und die Kinder werden bis zum dritten Lebensjahr von ihren Großeltern betreut, oder, wenn es keine gibt, dann werden sie von der sog.“Ayi“ betreut. „Ayi“ heisst übersetzt soviel wie „Tante“ und ist in den meisten Fällen für Kinder und den kompletten Haushalt zuständig. Sonst gibt es noch private oder internationale Einrichtungen, die jedoch sehr, sehr teuer sind. Wir haben für Noa-Jun glücklicherweise eine kleine süsse Montessori-Schule gefunden, die er mit anderen Kindern aus aller Welt besucht. Dafür beiße ich in den sauren Apfel und bezahle leider eine ordentliche Summe an Schulgebühr, aber das ist es mir wert!

Wie ist in China die Versorgung rund um eine Geburt? Gibt es Beleg- oder Nachsorgehebammen, wie bekommt man diese? Und wie unterstützen sie Mütter, z.B. beim Thema Stillen? Ist Stillen „in“?

In China gibt es verschiedene Standards was die Krankenhäuser betrifft und das kommt darauf an, was man sich leisten kann. In den normalen Krankenhäusern gibt es keinen extra Service rund um die Geburt. Man geht hin und wird untersucht, aber für alle Fragen und Sorgen drumherum, auch was das Thema „Stillen“ betrifft, sind die Mütter und Schwiegermütter zuständig. Hebammen gibt es in diesem Sinne nicht und erst recht niemanden, der einen zu Hause besucht.

Eine alte Tradition aus der chinesischen Medizin ist die sogenannte Suppe aus Schweinefüssen und Erdnüssen, die man als Stillende Frau zu jeder Mahlzeit trinken muss, damit der Milchfluss in Schuss bleibt. Es gibt noch heute viele junge Frauen, die sich daran halten! Ich würde nicht sagen, dass stillen „In“ ist, aber das Bewusstsein dafür öffnet sich langsam immer mehr.

Die Firma Johnson&Johnson hat dazu mal ein Commercial gestartet und Sticker mit der Aufschrift:“temporarly breastfeeding room“ an arbeitende junge Mütter verteilt, die diese dann an die Tür kleben konnten, um etwas Privatsphäre und Ruhe zu genießen. Dazu gab es auch ein Milchabpumpset, welches mit zur Arbeit genommen werden konnte. Für alle diejenigen, die es sich leisten können, gibt es natürlich verbesserte Standards und Services in den internationalen Krankenhäusern und ich denke, dass es dort zum Stillen auch mehr Hilfestellung gibt. 

Wie gestalten chinesische Mütter ihren Alltag mit Job & Kind?

 Die meisten chinesischen Mütter arbeiten und wenn sie keine Großeltern haben, die sich um die Kinder kümmern, haben sie meist eine Ayi, oder die, die es sich nicht leisten können und ihr eigenes kleines Buissiness haben, wie zum Beispiel in kleineren Geschäften oder auf Märkten, nehmen ihre Kinder zur Arbeit mit.

Was ist Dein Eindruck, wo bekommen Mütter und Familien am meisten Support? China, Frankreich, Deutschland?

Den meisten Support bekommen die Mütter und Familien ganz klar in Deutschland! In China gibt es weder Elternzeit, Kindergeld oder andere finanzielle Unterstützung. In Frankreich gibt es zwar Elternzeit, das Elterngeld beschränkt sich jedoch auf maximal sechs Monate und auf maximal 600€ . Das Kindergeld gibt es nur bis zum dritten Geburtstag des Kindes. Liebe Mütter in Deutschland: geniesst daher, was ihr an Standard habt! Das ist wirklich Luxus!

Durch Deine künstlerische Ader hast Du auch immer ein besonderes Händchen für Interieur. Im Mummy Mag Paper Issue 3 ist deshalb eine Homestory von Dir und Eurer Wohnung in Peking abgedruckt. Was ist Dir bei der Einrichtung immer besonders wichtig – vielleicht sogar in allen Deinen Wohnung immer gleich oder ähnlich gewesen?

Was mir immer und überall wichtig ist, ist Helligkeit, Pflanzen, meine liebsten Fundstücke aus aller Welt, die mich immer begleiten! Auch muss ich mein Arbeitsmaterial dabei haben und ohne meine Bücher geht gar nix! Ich lasse gerne Möbel zurück, aber meine wichtigsten Bücher mussten bisher immer mit umziehen…egal wie weit weg!

 

Vielen Dank für das nette und offene Interview liebe Sakura!

 

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Mehr Bilder aus ihrer Wohnung in Beijing zeigen wir im Paper Issue 3 (erscheint noch im September!) 

Mehr von Sakura Fischer gibt es hier:

https://instagram.com/aru_kas/