Zwei Wochen vor dem Tod unserer Tochter war mein Mann bei der Verleihung des Ehrenamt Preises in Berlin. Dort hat der Verein „Dein Sternenkind“ den Preis gewonnen. Damals sagte mein Mann mir, wie unfassbar berührend es war und wie schrecklich, wenn Eltern so etwas bräuchten. Zwei Wochen später riefen wir selbst an.

Aber wir wussten nur durch diese Verleihung von dem Verein und dachten deshalb auch an Fotos. Diese Fotos sind unbezahlbar und die Fotografen ganz besondere Menschen. Einer dieser ganz besonderen Menschen ist Nora Tabel. Nora ist eine Power Frau. Sie ist alleinerziehende Mama eines 8 jährigen Sohnes, Fotografin in Berlin und lichtet vor allem die starken Frauen der Start-Up Szene ab. Zudem hat sie vor zwei Jahren den Female Photo Club gegründet, der Fotografinnen Unterstützung in unterschiedlichen Bereichen bietet. Und als ob das nicht alles schon viel wäre, ist Nora eben auch noch ehrenamtlich als Sternenfotografin tätig.

Liebe Nora, ich freue mich riesig heute mit Dir sprechen zu können. Wir kamen in Kontakt, weil Du damals das Bild von mir und Greta kommentiertest. Da ich selbst diese Organisation und das, was ihr macht unglaublich wichtig und bewundernswert finde, wollte ich sofort gerne ein Interview mit Dir machen.

Die wenigsten Leute, mit denen ich spreche, kennen Sternenfotografie. Was machen Sternenfotografen und wie kamst Du zur Sternenfotografie?

Die Sternenkind Fotograf*innen fotografieren ehrenamtlich Familien inklusive deren sterbenden oder bereits verstorbenen Babies. Je nach Wissensstand um das baldige Sternenkind, findet manchmal nur ein Bauchshooting statt, aber auch die dokumentarische Begleitung eines Sterbeprozesses und Abschiednehmens im Krankenhaus ist dabei, oder eben das kurze fotografische festhalten des bereits verstorbenen Kindes. Wir schaffen damit ein Andenken an ein Kind, dass immer ein Teil im Herzen der Familien sein wird, auch wenn es nicht mehr ein physischer Teil sein kann. Von Erzählungen der Familien weiß ich, dass diese Begleitung und die Fotos als Erinnerungen einen positiven Beitrag dazu leistet, den Trauerprozess zu unterstützen. Gerade dieser Tabubruch, sich über den Tod eines Kindes in völliger Verwundbarkeit offen zu zeigen und unvoreingenommene Unterstützung zu erhalten unter eigentlich fremden Menschen, ist irre befreiend für die Familien.

Ich selbst hatte vor meinem Sohn eine Schwangerschaft verloren und bin durch alle Phasen, die damit einhergehen, alleine gegangen. Das fand ich so furchtbar, dass ich im Internet nach Gleichgesinnten suchte. Ich blieb lange an dem Thema dran und teilte irgendwann mit einer Freundin gemeinsam den Wunsch, die Situation für Sterneneltern zu verbessern. Irgendwann erzählte sie mir von der Sternenkindfotografie und ich wusste, dass ich mit meiner Berufung als Fotografin an der Stelle etwas für die Eltern tun kann.

Wie läuft so ein „Auftrag“ ab, wie erfährst Du davon? Wie schnell musst du reagieren? Und wie lässt sich das mit Deiner anderen Arbeit und Deinem Sohn vereinbaren?

Es gibt ein Forum, dass die Organisation der Einsätze enorm gut regelt. ‚Dein Sternenkind‘ hat in den letzten Jahren viel Aufklärungsarbeit geleistet. In den Krankenhäusern weiß das Personal meist bescheid und leitet mit Einverständnis der Eltern einen Auftrag an die Webseite des Vereins weiter. Das Ganze wird dann nach Dringlichkeit einsortiert, so dass jedes Sternenkind rechtzeitig sein Shooting hat. Intern besprechen sich dann die Fotograf*innen, wer verfügbar ist und wer den Erstkontakt aufnimmt. In Berlin sind wir ziemlich viele Fotograf*innen. Irgendjemand kann sozusagen immer. Von daher lässt sich das mit meinem sonstigen Alltag gut vereinbaren.

Wir schaffen damit ein Andenken an ein Kind, dass immer ein Teil im Herzen der Familien sein wird, auch wenn es nicht mehr ein physischer Teil sein kann. Von Erzählungen der Familien weiß ich, dass diese Begleitung und die Fotos als Erinnerungen einen positiven Beitrag dazu leistet, den Trauerprozess zu unterstützen.

Du begegnest in dieser Tätigkeit unendlich großer Trauer und Leid. Wie gehst Du damit um? Kannst Du Dir auch etwas daraus ziehen, das positiv ist?

Ich habe Philosophie und Psychologie studiert, wo ich mich in beiden Gebieten sehr mit dem Thema Tod, Trauer und Traumata auseinander gesetzt habe. Vor zwei Jahren habe ich eine Coaching Ausbildung im Bereich Trauma-Therapie, Innerer-Kind- und Körperarbeit abgeschlossen und coache in dem Bereich, wenn’s mir die Zeit erlaubt, immer wieder genau in diesen Themen. In meinen 20ern habe ich meine beiden Eltern verloren und eben mein eigenes Sternenkind verabschiedet. Der Umgang mit tiefer Verletztheit, großen seelischen Wunden und den dazu aufkommenden Sinnesfragen ist mir also sehr bekannt. Wenn ich zu einem Einsatz fahre, weiß ich nie welche Stimmung mich erwartet. Manche Eltern sind mitten drin in ihrer Trauer; manche haben sich vor einer Weile schon verabschieden können; wieder andere haben noch gar nicht ganz erfasst, was da passiert. Alles was ich tun kann in dem Moment, ist das, was ich am besten kann: beobachten, festhalten und dem Raum geben, was gerade passieren will. Manchmal weine ich mit, lache mit, oder werde in diesem kleinen Augenblick Teil einer tiefen Verbindung, die man eigentlich nicht in Worte fassen kann. Große Gefühle machen uns am Ende erst menschlich und so traurig die Umstände auch sind, kann da doch einiges an Liebe bei rumkommen, die man vorher gar nicht erahnt hätte.

Du hast selbst ein Kind verloren, ist das Thema Trauer bei Dir und Deinem Sohn präsent? Redet ihr über Deine Arbeit und über das Thema Tod?

Ja. Definitiv. Ich bin gegen Tabus und auch gerade vor Kindern, die am Ende doch alles merken und im schlimmsten Fall das verklemmte Verhalten der Erwachsenen auf sich beziehen. Natürlich finde ich, dass man altersgemäß über die großen Themen des Lebens mit Kindern reden sollte. Man muss nicht jedes kleinste Detail graphisch ausmalen, aber unsere Mini-Me’s sind in erster Linie wahnsinnig tiefgründige Seismographen mit philosophischen Ausmaßen. Das unterschätzen wir Erwachsene gerne. Mein Sohn hat vor ca. 3 Jahren meinen Mutterpass gefunden und mich zu allen Seiten ausgefragt. Da war natürlich neben seiner eigenen Ultraschalls auch die der ersten Schwangerschaft drin und so kamen wir ins Gespräch. Aber auch manchmal, wenn ich nach einem Einsatz noch ein wenig traurig bin, erzähle ich ihm, was mich beschäftigt, wenn er mich fragt. Das wertvollste, was man Kindern mit auf den Weg geben kann, ist, dass es ok ist traurig zu sein. Das man Trauer überlebt und sie sogar etwas ungemein fruchtbares in sich trägt. In aller Regel ist nämlich die Angst vor der Traurigkeit an sich der Hauptgrund, warum das Thema Tod, besonders der Tod von Kindern, erst überhaupt ein Tabu in unserer Gesellschaft ist.

In meinen 20ern habe ich meine beiden Eltern verloren und eben mein eigenes Sternenkind verabschiedet. Der Umgang mit tiefer Verletztheit, großen seelischen Wunden und den dazu aufkommenden Sinnesfragen ist mir also sehr bekannt.

Schaffst Du es stets Abstand zu halten oder nehmen Dich manche Schicksale selbst sehr mit?

Mich berühren diese Begegnungen immer wieder; immer anders. Ich weiß, dass ich nichts in der Hand habe, diese Schicksale langfristig zu steuern. Also kann ich sie gut kommen, aber auch wieder gehen lassen. Ich bin mir sicher, dass die Menschen, die vor meiner Kamera landen, einen wahnsinnigen Vorteil gegenüber denen haben, die in keinem so offenen Umfeld leben. Mich nimmt eher die Vorstellung mit, dass da draußen Mütter und Väter sind, die mit der ganzen Sternenkind Thematik alleingelassen werden.

Ich erlebe Deutschland als Land, das im Leben mit dem Tod nicht viel zu tun hat. Wir reden wenig darüber und haben auch Kontakthemmungen mit Trauernden und mehr noch mit Verstorbenen. Wie siehst du das?

Wir leben in einem Kulturkreis, wo man fest an materielle Dinge glaubt und die Sterblichkeit des eignen Körpers soweit verdrängt hat, dass man sich regelmäßig erschrickt, wenn dann doch jemand im direktem Umfeld stirbt und uns klar macht das wir doch nicht ewig leben. Uns bedrängt täglich der Kampf mit der Zeit und deren Zeichen. Wir stressen durch den beruflichen Alltag; dürfen in der Freizeit bloß nichts verpassen; bekommen einen Nervenzusammenbruch, wenn die sozialen Netzwerke für ein paar Stunden ausfallen und werden Zunehmens von Fadenliftings und Hyaluron-Säure-Injektionen umworben. Rentner haben in der schnelllebigen Kapitalismus Gesellschaft auch keinen Platz mehr und wurden aus dem Sichtfeld mehrheitlich weg-gentrifiziert. Der Tod ist hier einfach nicht normaler Bestandteil des Lebens, wie z.B im Buddhismus, wo die Pflege bis zum Tode eine Selbstverständlichkeit ist oder wie bei den Mexikanern, die den Día de los Muertos bunt und fröhlich feiern.

Ich selbst hingegen verfolge seit Jahren Nahtodberichte von Überlebenden und möchte dazu demnächst ein fotografischen Projekt starten. Meine intensive Beschäftigung damit, hat mir viele Ängste genommen. Vor zwei Jahren bin ich dann zufällig bei der Recherche auf das ‚Tibetan Book Of Living And Dying’ von Sogyal Rinpoche gestoßen und das hat meine Weltsicht noch mal völlig verändert. Es hilft also nur sich der Sache direkt zustellen.

Was muss sich Deiner Meinung nach in dem Bereich Trauer, Verlust von Kindern, Fehlgeburten ändern?

Menschen sind hochsoziale Wesen, die in erster Linie von ihren Artgenossen gesehen und validiert werden wollen. Wenn wir es schaffen, uns offen mit unseren eigenen ‚schwierigen‘ Gefühlen, und im Zuge danach, mit denen der anderen um uns herum, zu beschäftigen, haben wir bereits viel für eine akute Veränderung und Verbesserung getan. Langfristig brauchen wir Aufklärung in den sozialen Einrichtungen, welches das Thema ‚Mental Health‘ generell thematisiert, damit Kindern spätestens dort vermittelt wird, wie man gut mit Krisen und anderen unangenehmen Lebensphasen umgeht. Schon mal als Prophylaxe. Wir brauchen dringend mehr mediale Repräsentanz der Thematik Sternenkinder und Tod im Allgemeinen, so dass sich ein Umgang damit auch für die jetzigen Generationen normalisieren kann. Und wir brauchen sensibilisierte Fachleute, die als Leitfiguren gesellschaftlich voran gehen und zeigen, wie ein guter Umgang mit der Vergänglichkeit des Lebens aussehen kann.

Wir brauchen dringend mehr mediale Repräsentanz der Thematik Sternenkinder und Tod im Allgemeinen, so dass sich ein Umgang damit auch für die jetzigen Generationen normalisieren kann.

Du bist ehrenamtlich Sternenfotografin. Eigentlich bist du spezialisiert auf die Start-Up Szene, man sieht viele Bilder von Dir von bekannten Gründerinnen. Zudem hast du den Female Photo Club gegründet. Kannst du uns erzählen, wie es zu beidem kam und was du in dem Club genau machst?

Ich bin wohl eine geborene Aktivistin. Ich sehe eine Problematik und möchte sie lösen. In meiner Jugend ist mir bereits die Geschlechter-Ungerechtigkeit bitter aufgestoßen und so war ich ohne große Schlagworte bereits Feministin. Da ich immer einen Sinn in meiner Arbeit sehen muss, habe ich mir ein Arbeitsumfeld gesucht, dass für mich passte. Ich arbeite wahnsinnig gerne mit starken Gründerinnen zusammen, die einen Mehrwert schaffen wollen. Das ist ein enorm empowerndes Umfeld, welches mich persönlich auch sehr viel weiterbringt. So kam es eben auch, dass ich in meiner eigenen Branche die Probleme für Frauen beheben wollte. Als ich vor fast zwei Jahren meine Kolleginnen in die Female Photoclub Facebook Gruppe einlud, war mir nicht klar, dass daraus ein deutschlandweites Netzwerk aus über 500 Fotografinnen wachsen würde. Meine Co-Gründerin Laura Brechtel und ich möchten dieses Jahr unser eigene Wissenstransfer basierte Female Photoclub Plattform veröffentlichen, wo wir unsere Fotografinnen auch sichtbarer machen können. Außerdem haben wir monatliche Meet Ups zu Alltagsthemen, einen 24/7 support zu akuten Rückfragen aus dem Netzwerk und Workshops für Profis, Quereinsteigerinnen und den Nachwuchs. Wir alle profitieren vom Zusammenhalt und der Unterstützung sehr.

Hat der Gedanke, dass es mehr Unterstützung von Frauen untereinander braucht, dass starke Frauen voneinander lernen können auch im Grunde mit Deiner Sternenfotografie zu tun? Immerhin sind alle Themen rund um Geburt und stille Geburt ja ganz besondere Themen der weiblichen Stärke.

Das kann man so sagen. Ich fotografiere auch hin und wieder gesunde Hausgeburten und bin massiv von der weiblichen Stärke, die uns innewohnt beeindruckt. Im ernst, Frauen sind unglaublich. Ich denke, wir sind mit einer richtig kraftvollen Energie geboren worden, die uns Frauen im Laufe des Patriarchats aber ausgeredet wurde und so langsam entdecken wir diese wieder. ‚Empowered women empower women“ ist für mich ein zentraler Leitsatz in den letzten Jahren geworden und so sehe ich in meiner Arbeit immer wieder wie gut das funktioniert. Ich empowere, wo ich eben kann.

Vielen Dank liebe Nora, dass Du Dir für unsere Fragen Zeit genommen hast. Deine Arbeit ist unglaublich toll und bewundernswert. Wir wünschen Dir mit all Deinen Projekten viel Erfolg und viel Kraft für alle weiteren Sternenkinder Fotos.

Mehr Infos zu „Dein Sternenkind“ oder falls Ihr für diese tolle Organisation spenden wollt, hier entlang.

Mehr Infos zum Female Photo Club bekommt ihr hier.

Fotocredits: Meike Kenn/Female Photo Club; Dein Sternenkind