Der Tag der Geburt von Amely v. Kapff, heute 44 Jahre, war ein besonderer Tag für ihre Familie. Zum einen natürlich, weil Amely das Licht der Welt erblickte, zum anderen, weil er nicht nur diesbezüglich das Leben der Familie komplett veränderte. Zeitgleich wurde in dem Krankenhaus ein Junge geboren. Die beiden Mütter teilten das Zimmer, die Familien näherten sich an. So nah, dass schon zwei Jahre später zwei neue Familienkonstellationen entstanden, die Kinder bei dem anderen Vater zuhause waren und es irgendwie (zumindest aus Kinderperspektive) eine große Über-Familie gab…

Die erfolgreiche Dramaturgin ist heute verheiratet und lebt ihrem Mann und den Töchtern (9 und 6) und ihrem Sohn (3) in Berlin. Sie erzählt uns von ihrer ungewöhnlichen Geschichte vom Partnertausch ihrer Eltern mit denen des „Zimmerzwillings“, die sie selbst als „Glücksfall“ bezeichnet.

Liebe Amely, am Tag deiner Geburt kam im selben Krankenhaus ein Junge zur Welt, mit deren Mutter deine Mama ein Zimmer teilte. Was passierte dann?

Aus der zufälligen Bekanntschaft der beiden Frauen im Wochenbett wurde schnell eine Freundschaft der beiden Familien. Auf der Seite meiner Mutter waren das sie, ihr Mann und ich, auf der Seite der Zimmernachbarin war das zusätzlich zu ihr, ihrem Mann und dem frischgeborenen Baby noch der damals fünfjährige große Bruder. Zu erzählen, was genau im folgenden Jahr passierte, würde den Rahmen dieses Gesprächs sicher sprengen, auf jeden Fall suchten ziemlich genau an ‚unserem‘ ersten Geburtstag – wir, das sind ich und mein ‘Zimmerzwilling’ – zwei neue Familien eine neue Wohnung. Meine Mutter, der Mann der Zimmernachbarin, dessen großer, nun sechsjähriger Sohn und ich waren die eine neue Gang, mein Vater, die Zimmernachbarin und deren kleiner Sohn, mein ‘Zimmerzwilling’ also, die andere.

Wie war dann die weitere Wohn- und Lebenssituation in den folgenden Jahren?

In beiden Familien kam in der neuen Konstellation dann irgendwann noch ein weiteres Kind dazu, sodass fünf Kinder zwar in zwei Familien lebten, aber alle sehr eng miteinander verbunden waren: Jeder von uns hatte in der jeweils anderen Familie mindestens einen Vater, eine Mutter oder Geschwister. Die Wochenendbesuche, die eigentlich jede Woche stattfanden, waren riesige Tauschaktionen und immer ziemlich lustig. Da das alles innerhalb einer, und auch noch ziemlich überschaubaren Stadt stattfand, fühlten wir Kinder uns wie Kinder einer großen Familie, die es aber auf der Elternebene nicht gab. Die beiden Elternpaare hatten nach ihrer Trennung eigentlich nichts mehr miteinander zu tun.

Wie war das möglich, dass die ehemaligen Paare nichts mehr miteinander zu tun hatten, wenn ihr jedes Wochenende alle zusammen wart?

Oh nein, wir waren nicht alle zusammen an den Wochenenden, da habe ich mich wohl unklar ausgedrückt. Nur wir Kinder waren an den Wochenenden hin und her unterwegs. Und da es auf jeder Seite Besucher und zu Besuchende gab, ging die Reise meist in zwei Richtungen. Oder abwechselnd alle hier, alle da. Die beiden Elternpaare haben dabei eigentlich nur die allernötigsten organisatorischen Fragen geklärt.

Wie seid ihr (du und dein Bruder und weitere Geschwisterkinder) mit der Situation umgegangen? 

Für uns Kinder waren die Familien, in denen wir lebten, in denen wir unsere Kinderzimmer hatten und unser Name am Klingelschild stand, unsere Familien. Angefühlt hat sich das für uns, glaube ich, einfach normal: Vater, Mutter, Kinder, Wohnung. Dass es dazu noch Familie gab, die wir nur am Wochenende sahen, war eher ein Plus an Familie, als etwas, was uns in unseren Leben fehlte. Und unsere besondere Familiengeschichte war für uns guter Erzählstoff, die uns in unserer kleinen Stadt zu ein bisschen Ruhm verhalf und mich und meinen ‘Zwilling‘ eng zusammenschweißte. Wir fühlten uns als Anstifter der ganzen großen Geschichte, als Paar, das genau zur gleichen Zeit auf die Welt kam und in kindlich romantischer Logik stand für uns fest: wenn wir groß sind, heiraten wir! Mein Vater, und damit meine ich den Vater, den man von außen vielleicht als Stiefvater bezeichnen würde, war für mich immer der beste Vater, den ich mir denken konnte, und ich glaube, ich war ihm immer auch ein gutes Kind. Dass es daneben noch einen Vater gab, meinen richtigen Vater, wie ich ihn genannt habe, weil ich “leiblich“ ein doofes Wort fand, hat für mich nie etwas an dieser Beziehung geändert und ich weiß, dass es für meinen Vater (wieder ohne Attribut, offiziell also wieder Stiefvater) genauso war. Ich konnte zwei Väter haben, ich hatte zwei Väter, das war meine Realität und die fühlte sich richtig an und nicht widersprüchlich.

Wurden in den Familien Unterschiede gemacht? Wenn ja, was für Folgen hatte das?

In der Familie, in der ich aufwuchs, in meinem Zuhause, waren wir Kinder gleichgestellt. Keiner war mehr drin als der andere, keiner war aus der ‚eigentlichen‘ Familie, keiner kam mehr von außen als der andere. Das war ja auch die Entstehungsgeschichte meiner Familie, zwei Eltern, von denen jeder ein Kind an der Hand hatte, als sie zusammenzogen. Als dann später meine Schwester geboren wurde, die ja leibliches Kind derer Eltern war, mit denen sie auch zusammenlebte, änderte sich daran nichts. In der anderen Familie, der meines leiblichen Vaters, war das anders. Die beiden dort lebenden Kinder waren zwar beide Kind ihrer (ja auch leiblichen) Mutter, nicht aber meines/unseres Vaters. Der hat sehr wohl unterschieden, zwischen “eigenem”Kind – so nannte er das – und “fremden”, auch sein Begriff. Am Anfang, als wir noch klein waren, hat man diese Unterschiedlichkeit an kleinen Dingen gemerkt: wenn der eine Bruder Mist gemacht hat, war das immer viel schlimmer, als wenn es der andere war. Später wurden die Unterschiede in der Behandlung immer größer und inzwischen – mein leiblicher Vater hat sich vor einigen Jahren von seiner zweiten Frau, der “Zimmernachbarin”, getrennt – hat eigentlich nur noch der ‘eigene’ Sohn Kontakt zu seinem/meinem/unseren Vater. Ich bin mir nicht mal sicher, ob sich mein anderer Bruder und mein leiblicher Vater auf der Straße noch grün würden.

Was denkst du ist der Schlüssel für eine funktionierende Patchworkfamilie?

Genau der gleiche wie für jede ‘normale’ Familie: Liebe, und dass alle Familienmitglieder gleichwertig sind.

Meinst du, dass dich diese Geschichte heute noch prägt und deine Sicht auf das Familienleben beeinflusst?

Wahrscheinlich schon. Ich kann mir unendlich viele Familienkonstellationen vorstellen, die funktionieren und auf die ich mich eingelassen hätte und einlassen würde, wenn das irgendwann mal dran sein sollte. Dass meine nun so klassisch aufgestellt ist, ist wahrscheinlich genauso unendlich vielen Einzelumständen zu verdanken, wie es Möglichkeiten gibt, dass es hätte anders laufen können.

Vielen Dank, liebe Amely.

 

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