
Auch wenn ich in einem Haus mit Garten lebe, meinen Job weiter ausführen kann, meine Kinder schon groß sind und überwiegend ihr eigenes Ding machen – ich gerate in der Corona-Krise regelmäßig in Panik. Auch ich bin überfordert und emotional unausgeglichen, habe Ängste und Sorgen. Auch ich stolpere durch meine Tage, schlafe unruhig und versuche, mich halbwegs am business as usual, zumeist im Home-Office bzw. der Küche. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ich einmal viel Arbeitszeit in einer Küche verbringen würde? Zu einer Hausfrau wird mich das allerdings auch nicht machen.
Achterbahn der Gefühle
Viele schreiben und berichten, dass sie gerade eine Achterbahn der Gefühle erleben. Innere Unruhe und äußeres Chaos wechseln sich mit minimalisierter Struktur, Ruhe und Klarheit ab. Vorteile werden aufgezählt: Wir sind freundlicher, solidarischer, weniger gestresst, besinnen uns auf Familie und uns selbst, können den Frühling genießen, haben endlich einmal Zeit, den Schrank, den Schreibtisch, das Konsumverhalten, ach, unser ganzes Leben auszusortieren. Was tut mir gut in der Krise? Was bietet mir Rückhalt, gibt mir neue Energie oder Zuversicht? Der Rest kann weg! Wirkt befreiend, für einen Moment.
Leider hält die optimistische Sichtweise in Zeiten von COVID-19 nicht lange an, sind uns die ganzen Nachteile des Social Distancing doch schrecklich präsent: keine Familienbesuche über Ostern, keine Grillparties mit Freunden, kein Samstagabend in lauer Frühlingsnacht im Kiez, kein Urlaub, kein Klopaier, kein Klönabend mit den Freundinnen. Wohl dem, der eine Familie hat, dann ist er wenigstens nicht allein. Wohl dem, der allein ist, dann hat er wenigstens seine Ruhe. Beides hat seine Vorzüge und eben auch seine Nachteile.
Flatten the curve!

In Woche 1 waren wir alle noch zuversichtlich und hoch motiviert. #flattenthecurve! Schützt die Risikogruppen! Unser Gesundheitssystem darf nicht zusammenbrechen! Es gab viele Informationen, und durch die Nachrichten aus Italien und China hatten wir alle deutlich vor Augen, was es zu verhindern galt. Kollektives Verständnis und der starke Wille einer Gerade-so-noch-Nachkriegs-Generation: Opa und Oma haben den Krieg überstanden, da werden wir es wohl auf dem eigenen Sofa aushalten!
Die 2. Woche war durchwachsen. Es gab einen gewaltigen Austausch von kreativen Ideen und lustigen Memes. Die Kinder zuhause zu unterrichten, zu beschäftigen und zu bekochen ist anstrengend, aber machbar. Mit ein bisschen Disziplin und Laune kann das sogar richtig Spaß bereiten. Mein Eindruck war, dass die vielen Darstellungen von gelingendem harmonischem Chaos in den Familen via Instagram und Co. vor allem der eigenen Selbstberuhigung galt. Guckt her, ist doch gar nicht so schlimm: Wir sind zwar alle noch im Schlafanzug und basteln hier um 15 Uhr am unabgedeckten Frühstückstisch Regenbögen und Osterhasen, aber wir sind alle gesund und haben uns lieb.
Social Distancing
Woche 3 war dann die bisher schlimmste. Ein Ausnahmezustand kann doch unmöglich sooo lange dauern, kein Mensch kann diese Anspannung ewig aushalten, das geht physisch und psychisch an die Substanz. So langsam haben wir wohl alle realisiert, was eigentlich gerade passiert in unserer Famile, im Freundeskreis, in unserem Land, in der ganzen Welt. Das ist vergleichbar mit dem Abklingen eines Schocks nach einem schweren Unfall. Es tut weh, seinem gewohnten Leben nicht mehr nachgehen zu können, seine Freunde und Familienmitglieder nicht besuchen und in den Arm nehmen zu können. Die vielen Umstellungen im Alltag in so kurzer Zeit während einer gleichzeitigen sozialen Isolation sind erschöpfend und zermürbend. Es würde mich nicht wundern, wenn dies, als Foltermethode eingesetzt, überaus erfolgreich wäre.
Woche 4 ist fast geschafft. Wir haben bis hierher schon durchgehalten! Die Katastrophe im Gesundheitssystem ist bislang ausgeblieben, wir arrangieren uns zunehmend mit der Situation, unterstützt von schönem Frühlingswetter. Ostern steht vor der Tür. In der christlichen Tradition haben Fasten und Verzichten dann ein Ende, und ein neues, besseres Leben beginnt. Leider sieht es nicht danach aus, dass wir einfach wieder „auferstehen“ können. Solange es keinen Impfstoff oder ein wirksames Medikament gegen das Virus gibt, werden sich die Einschränkungen noch längere Zeit hinziehen, weitere Wochen und Monate!

Wie geht’s weiter?
Der wirtschaftliche Einbruch ist jetzt schon massiv, und die Angst vor einer Rezession wird langsam größer als die Angst vor den direkten Folgen eines sprunghaften Anstiegs der an COVID-19 Erkrankten. Nach welchen Maßstäben werden die nächsten Entscheidungen im Umgang mit der Corona-Krise getroffen? Ich befürchte, nach der kapitalistischen Abwägung von Kosten und Nutzen. Da hat das Gesundheitssystem gegenüber der Wirtschaft schlechte Karten. Da ist der Mensch gegenüber dem Kapital weniger wert. In der Krise ist uns das Eigene leider stets das Nächste – erstmal selbst den Hintern an die Wand kriegen, die eigenen Wunden lecken, sich selbst ein bisschen bemitleiden, und dann vielleicht, wenn es wieder bergaufgeht, den Blick nach rechts und links wagen.
- Wie geht es den Pflegekräften, die jetzt schon am Rande ihrer Belastbarkeit arbeiten, teilweise ohne ausreichenden Schutz?
- Wie geht es den europäischen Nachbarländern, deren Wirtschaft nun am Boden liegt?
- Wie geht es den Flüchtlingen in den überfüllten Lagern?
- Wie geht es mit den dramatischen Folgen der Klimaveränderungen weiter?

Zu Beginn der Corona-Krise war ich seit langer Zeit wieder positiv überrascht von unserer Regierung. Plötzlich war es möglich, sachlich und lösungsorientiert zu streiten, auf wissenschaftliche Fachleute zu hören, beherzte Entscheidungen zu treffen, parteipolitisches Geplänkel beiseite zu schieben und die Bevölkerung durch verständliche Informationen einzubeziehen. Ich wünsche mir, dass das so bleibt und dass weitere wichtige Entscheidungen weiterhin anhand von Menschlichkeit, Solidarität, Herz und Vernunft getroffen werden und nicht nur nach den Kriterien des Kapitalismus.
Titelbild von Christine Foetzki