Heute haben wir mal lange geschlafen. Erst um 8 Uhr haben wir die Augen geöffnet und sind noch lange liegen geblieben. Die Kids sind etwas früher aufgestanden um nachzuschauen, ob der Fuchs aus der Kolonie vielleicht im Garten ist. Natürlich war er nicht da, aber die Kinder sind damit super zu beschäftigen. Das ist er also unser neuer Alltag. Seit dieser Woche können wir die Kinder in die Betreuung der Schule und in die Kita geben – jeweils wenige Stunden am Tag. Aber diese Woche haben wir entschieden, dass wir mit den Kindern in den Garten ziehen und das machen, was wir bereits die letzten 11 Wochen getan haben: Unsere Vollzeitjobs und die Kinderbetreuung unter einen Hut bekommen!

Der aktuelle Status Quo

Zur Zeit schaut es so aus: Helene geht jede Woche einen Tag in die Schule und hat 5 Stunden Unterricht, inklusive dem Mittagessen. Das ist toll, aber natürlich liegt damit ein Großteil des Unterrichtens weiterhin bei uns Eltern. Zumindest in den nächsten vier Wochen, bis die Sommerferien beginnen. Auch Oskar darf jeden Tag für vier Stunden in die Kita gehen – von 8 bis 12 Uhr. Auch das ist toll, vor allem für Oskar, der dringend den Kontakt und den Austausch mit Gleichaltrigen braucht. Aber sind wir mal ehrlich: Arbeiten kann in dieser Zeit auch weiterhin nur einer von uns, schließlich muss der andere mit Helene Homeschooling machen. Aber es ist ein Fortschritt. Und den Kindern tut es gut.

Wie letzten 11 Wochen waren…

Da gibt es natürlich keine einfache Antwort. Obwohl doch: durchwachsen! Ich denke das trifft es ziemlich gut. Wir haben in diesen elf unglaublich langen Wochen tatsächlich ganz unterschiedliche Phasen durchlaufen. Als erstes kam eine Art Schockzustand, weil eintrat, was wir alle erahnen konnten, uns aber dennoch nicht wirklich vorstellen konnten was es in der Konsequenz für uns alle bedeutet.

Dann kamen die Wochen der Akzeptanz und der Energie „Wir machen das Beste draus“, „Wir brauchen nur einen gut organisierten Wochenplan“, „Wir schaffen das schon“. Ab der vierten Woche etwa waren wir zum ersten Mal unfassbar k.o., weil wir so überfordert waren mit dem Alltag mit den Kindern und dem Homeoffice. Ein Homeoffice, in dem man sich keine halbe Stunde wirklich konzentrieren kann, weil immer einer ins Arbeitszimmer kommt, weint, schreit, etwas sagen möchte oder nur mal sehen, was Mama (oder Papa) da so macht. Wir haben gemerkt, dass der so gut durchdachte Wochenplan in die Tonne gehört, weil er eben nicht mit einbezieht, dass wir in einer Extremsituation sind und die Kinder eben nicht so gut planbar sind. Dass in unserem Fall Schulunterricht einfach nicht gut funktioniert wenn der knapp Dreijährige parallel bei Laune gehalten werden muss. Und dass wir vor einem so großen Berg an Haushalt einfach nur resignieren – weil gefühlt 10 Mal so viel davon anfällt, wenn plötzlich alle Familienmitglieder tagtäglich zuhause sind, drei bis zwölf (ich zähle die diversen Snackrunden dazu) Mahlzeiten zu sich nehmen und sich dabei irgendwie auch jedes Mal einsauen. Die Kinder natürlich. Aber so hat weder der Geschirrspüler, noch die Waschmaschine jemals einen Ruhetag, wir sind ständig mit irgendetwas im Haushalt beschäftigt, anstelle zu Arbeiten. Und stellt euch nur mal vor, wir hätten KEINEN Wäschetrockner!? Wir müssten wohl noch zwei weitere Wäscheständer besorgen um dem Ganzen Herr zu werden…

Der große Realitätsschock…

… kam dann ab Woche sechs, denn nach der ersten Erschöpfung hat man erkannt, dass diese Situation so schnell kein Ende finden wird. Einige nahmen sich die Zeit Urlaub zuhause zu machen und einfach die Zeit mit den Kindern zu genießen. Leider ging bei vielen dabei der gesamte Jahresurlaub drauf und die stehen jetzt vor dem nächsten unlösbaren Problem: den große Ferien.

Auch wir haben uns letzte Woche dazu entschieden. Ganze vier Tage lang. Es ist nun mal so, dass wenn man ein Start-Up leitet, es nicht wirklich machbar in Krisenzeiten Urlaub zu nehmen. Aber wir waren an dem Punkt, an dem einfach nichts mehr ging. Der Kopf nicht. Der Körper nicht. Die Nerven nicht.

Wir hatten uns in den Wochen davor immer der Situation angepasst, unsere Arbeitszeiten auf die der Kinder zugeschnitten, mit maximaler Flexibilität reagiert – aber wir sind auch nicht selten mitten in der Nacht aufgestanden um die Ruhe zwischen 2 und 6 Uhr in der Früh für konzentriertes Arbeiten zu nutzen.

All das geht – für eine gewisse Zeit. Aber nicht ohne ein Ende vor Augen zu haben.

Und was dann kam wissen wir alle – die Wut! Die Wut darüber, als Eltern einer gefühlten 8-fach-Belastung standhalten zu müssen. Nicht gesehen zu werden. Für alles Individuallösungen zu finden und keine Hilfe zu bekommen. Als wir nach vier Tagen an der Ostsee zurück waren passierte das, was ich bisher verhindern konnte und so gut es ging unterdrückt habe: Ich bin zum ersten Mal in Tränen ausgebrochen, als ich mit der Kitaleitung telefoniert hatte. Als ich hörte, dass sie keine Kapazität haben und Systemrelevanz vorgehen würde. Da konnte ich nicht mehr. Meine Kraft war weg. Wer mich kennt weiß, ich habe viel Kraft, reiße mich ewig zusammen, regeneriere mich schnell und kann sehr lange auf Reserve funktionieren. Doch drei Monate sind unter diesen Umständen eine zu lange Zeit. Man fühlt sich so unglaublich alleingelassen, dass man am liebsten wie ein Dreijähriger Schreien möchte bei all der Ungerechtigkeit. Leider wissen wir auch, dass das so nichts bringt. Aber etwas verändern müssen wir!

Mir geht es dabei natürlich nicht nur um mich, denn der gesamte Umgang mit der Krise seitens der Politik zeigt nur deutlicher, was wir eh schon wussten. Wir sind keine familienorientierte Gesellschaft. Punkt.

Verfolgt man Diskussionen bei dem sich Eltern zu Wort melden, kommt viel Zuspruch, aber auch genauso schnell die Stimmen wie „Man hat sich ja freiwillig für Kinder entschieden“, „Ich empfinde meine Kinder ja nicht als Belastung!“ und und und. Dass wir uns aber gerade in einer höchst kritischen Situation befinden, in der wir uns im Eiltempo in eine Rollenverteilung der 50er Jahre entwickeln, möchte kaum jemand laut aussprechen. Tut man es doch, wird man als hysterisch abgetan und es hagelt Kritik.

Aber es ist doch so: In den letzten drei Monaten haben so viele Mütter ihre Jobs verloren oder sind in die Kündigung gedrängt worden, da schlackern einem die Ohren. Der Mann als Alleinverdiener der Familie? Das ist die überspitzte Konsequenz aus dieser Entwicklung. In meinem persönlichen Fall nicht, denn mein Mann hat die Arbeit stark zurückgeschraubt, damit wir diese Zeit überstehen und ich nicht zerbreche. Er ist also mein persönlicher Fels in der Brandung. Und ich kenne noch andere Familien, in denen das ähnlich ausschaut. Doch nicht in der breiten Masse. Das ist auch nicht unbedingt verwunderlich, wenn ein erheblicher Teil der Mütter bereits zuvor in Teilzeit mit geringerem Verdienst gearbeitet hat. Da ist die naheliegende und finanziell sinnvollere Lösung natürlich auch, dass die Frau die Kinderbetreuung übernimmt. Aber was das langfristig für uns alle für Folgen ergeben wird, haben wir uns noch nicht ausgemalt. 

Und leider sind viel zu viele Arbeitgeber auch nur bedingt familienfreundlich eingestellt. Und auch politisch gibt es hier keine Lösungen, Ideen oder Schutz. Aber kein Wunder: Wenn unsere Familienministerin nicht mal Platz im Corona-Kabinett findet, dann sind unsere Prioritäten schon sehr klar.

Wir wollen nicht jammern, aber etwas ändern!

Versteht mich nicht falsch – ich will weder Mitleid, noch jammern. Aber ich möchte STOP sagen dürfen und Forderungen stellen, dass wir an dieser Situation GRUNDLEGEND etwas verändern. Ich möchte fragen dürfen, warum nicht bei allen Entwicklungen zuallererst einmal an Kinder gedacht wird. Welche Folgen wird das für unsere Kinder haben? Welche Belastungen bedeuten die radikalen Schritte für sie? Und wenn man sich die Zahlen anschaut, welche Auswirkungen die Schließungen der Schulen und Kindergärten im Hinblick auf Gewalt in Familien und die gesamte Sozialarbeit haben, möchte man wieder nur weinen. DAS kann es doch nicht sein!?

Wo soll das Ganze hingehen?

Nachdem Stimmen vieler Eltern in der letzten Woche lauter wurden und es mit dem Hashtag #coronaeltern, der Initiative „Eltern in der Krise“ und dem dazugehörigen offenen Brief, den ihr hoffentlich alle schon unterschrieben habt, fangen wir an, uns Gehör zu verschaffen. Doch ich denke, wir müssen lauter werden! Wir müssen auf die Straße gehen, so absurd es in dieser Situation auch sein mag. Wenn die Partywilligen einen Rave auf der Spree mit 3500 Personen organisieren können, weil die Clubs noch nicht geöffnet sind (natürlich wurden andere Gründe genannt, aber darum geht es doch), 30 Hansels mit Trillerpfeife es schaffen, dass Fitnessstudios wieder öffnen und auch Schwimmbäder und Saunen den betrieb aufnehmen, ist es mehr als absurd, dass nicht alle Kinder in eine Betreuung kommen können. Dabei ist doch eine Nachvollziehbarkeit der Kontakte in geschlossenen Gruppen eher gegeben, als bei Menschenversammlungen bis zu 1.000 Personen, die wieder erlaubt sind. Und darum ging es doch vor Allem, oder?

Bisher wusste ich auch nicht, wie ich noch Kraft aufbringen soll um zu demonstrieren, mich stark zu machen und zu kämpfen. Doch wenn wir Eltern die Situation weiter so hinnehmen und nicht mehr als Beschwerden bei der Elternnummer des Senats, der Schule oder beim Träger hinbekommen, uns weiterhin „nur“ auf Instagram wütend äußern und nicht sichtbarer werden, wird sich auch nichts für uns verändern…

Wir haben bei all unserer starren Politik in den letzten Jahrzehnten gemerkt, dass sich dank Corona doch etwas bewegen kann – sogar sehr schnell. Aber damit sich politisch und gesellschaftlich auch grundlegend etwas verändert, sollten wir alle aufhören Dinge hinzunehmen, weil wir keine Zeit haben etwas zu verändern, oder weil wir gar nicht erst denken, etwas verändern zu können. Also muss auch ich selbst aufhören, nur darüber zu schimpfen. Ich muss anfangen etwas umzusetzen. Politischer werden. Aktiv werden. Ich werde schon ein Weg finden. Das tue ich ja sonst auch – aber jetzt geht es doch um so viel mehr. Es geht darum, in welcher Gesellschaft und mit welchen Werten unsere Kinder groß werden.

Es geht nicht nur darum ihnen unsere Werte zu vermitteln – ich möchte auch, dass meine Kinder nicht mehr die 90er-Jahre „Arbeitsmentalität der Quantität“ erleben müssen. Ich möchte nicht, dass Berufe, auf denen unsere Gesellschaft basiert (Systemrelevant!!!) keine Anerkennung bekommt. Oder dass die Menschen diese Berufe gar nicht erst ausüben, weil sie in der Wirtschaft doch mehr Anerkennung und Geld verdienen. Ich möchte, dass Erzieher, Lehrer, Krankenschwester & -pfleger und all die sozialen Berufe bitte einen hohen Stellenwert in der Zukunft einnehmen. Mir reicht es nicht für Systemrelevanz zu klatschen in Coronazeiten – ich möchte dass diese Berufe so einen hohen Stellenwert bekommen, dass wir wahnsinnig stolz auf unserer Kinder sind, wenn sie diesen nachgehen. Und dass sie entsprechend dafür gewertschätzt werden. 

Lasst uns gemeinsam LAUT SEIN!

Denn in jeder Krise stecken Chancen, wirklich etwas zu verändern. Verena Pausder, die ich eh sehr bewundere, hat für kommende Woche, also vom 8. bis 12. Juni zu einem Hackathon #wirfürschule aufgerufen – bei dem wir uns alle beteiligen können, die Schule von Morgen zu kreieren. Wir alle können versuchen, unsere Schulen und Kitas zu unterstützen, neue Pläne und Strukturen zu entwickeln. Und vor allem, wir alle können für die Wahrnehmung und die Wichtigkeit, für die Zunkunft unserer Kinder auf die Straße gehen. Mit Masken, mit Abstand und mit Vernunft. Aber lasst uns gemeinsam sichtbar werden! 

Und jetzt seid ihr gefragt!

Denn ich weiß natürlich vieles nicht und ich bekomme wahrscheinlich in meiner Blase auch vieles nicht mit – aber wie ist euer Blick auf die Situation? Was habt ihr getan um etwas zu verändern? Welche Petitionen, Aktionen, Vereine oder Pateiprogramme sollten wir kennen und hier vielleicht vorstellen? Welche Demos sind geplant? Wir können hier eine Plattform bieten, gemeinsam mit euch etwas zu bewirken! Wir stellen vor, hinterfragen, diskutieren aber handeln auch gerne. Ich möchte mich mit eurer Hilfe stark machen unsere Zukunft in die Hand nehmen – und wenn es nur darin besteht gemeinsam nachhaltig Druck auf die Politik auszuüben, damit es kreative neue Ansätze gibt um in verschiedenen Bereichen dringend nötige Reformen anzutreiben (denken wir mal nur an die Bildungspolitik…)!

Take it as a chance!

So doof dieser Satz auch klingen mag – und so oft ich Tage habe, an denen ich nichts alles so positiv sehen kann, weil ich einfach an Übermüdung oder Überschöpfung leide – so sehr stimmt er auch. Die vergangenen elf Wochen haben mich meinem Mann und meinen Kindern so unglaublich viel näher gebracht, als in meinem 50-Stunden-Work-Alltag vor Corona-Zeiten. Ich war Dauergestresst, hatte immer irgendwas auf dem Tisch, was ich noch nicht geschafft habe und bin an manchen Tagen in Lichtgeschwindigkeit an meiner Familie vorbeigesaust, weil ich gedanklich abwesend war. Ich hatte im Prinzip ein ausgewachsenes Burn-out und dann kam der Shut down. Die Belastung ist jetzt insgesamt größer, aber Corona hat mich enorm entschleunigt. Mir den Raum gegeben nicht immer 200 % zu überperformen, sondern ruhiger zu werden. Dinge nacheinander zu machen und mich wirklich auf meine Kinder zu konzentrieren. Oder auf meinen Mann. Natürlich liegt das auch daran, dass ich viel weniger Zeit für meine Freunde habe. Nach diversen Zoom-Meetings und Telefonaten möchte ich abends lieber mit meinem Mann in Ruhe sprechen oder einen Film schauen, wenn mal Zeit dafür ist. Und natürlich fehlen mir meine Freunde wahnsinnig – aber auch das wird wiederkommen. Und ich nehme viele Dinge, wie sie gerade sind, als großes Geschenk – und möchte trotzdem meine Stimme laut machen und grundsätzlich etwas verändern!

In diesem Sinne bleibt mir nur zu sagen

#letsstaytogehter