Ich kenne Karen seit einigen Jahren aus meinem weiteren beruflichen Umfeld. Plötzlich war sie nicht mehr im Dienst mit der Begründung Elternzeit. Das hatte mich ziemlich verwundert, denn nur wenige Woche zuvor hatten wir einen gemeinsamen Termin, und es gab keinerlei Hinweise auf eine Schwangerschaft oder irgendwelche Ankündigungen beim Smalltalk.

Erst viel später habe ich erfahren, dass Karen einen Jungen als Pflegekind in ihre Familie aufgenommen hat – und dass sie selbst wenige Wochen zuvor noch gar nicht wusste, dass sie so bald Elternzeit nehmen werden würde. Ich durfte ihr ein paar Fragen zum Thema Pflegeeltern stellen und sehr berührende Einblicke gewinnen.

Du hast ein Pflegekind aufgenommen, seit wann ist der Kleine bei euch? Wie war das zu Anfang?

Tom war 8 Wochen alt, als er bei uns eingezogen ist, und jetzt ist er 2¾ Jahre alt. Damals ging das alles rasend schnell. Wir hatten ein Wochenende Bedenkzeit. Zwischen dem ersten Anruf, dass sie ein Kind für uns haben, und dem Einzug von Tom lagen dann nur drei Wochen. Den Zeitraum hatten wir allerdings selbst gewählt. Ich musste so viel organisieren in ganz kurzer Zeit! Wir hatten zwar ein Zimmer, aber wir wussten ja seit diesem Wochenende, was für ein Kind zu uns kommt, Junge oder Mädchen, in welchem Alter usw. Dann haben wir erstmal alles für ein Baby besorgt, und nebenbei musste ich mich aus der Vollzeitarbeit verabschieden. Da waren natürlich auch noch sehr viele Sachen zu organisieren und zu übergeben – alles innerhalb von drei Wochen.

Das ist ja auch eine totale Achterbahn der Gefühle! Andere werdende Eltern haben dafür einige Monate Zeit, und das ist schon aufregend – Wahnsinn. Kannst du dich noch an das erste Mal erinnern, als du Tom gesehen hast?

Ja, das war wirklich aufregend. Ich weiß noch genau, ich habe den Anruf bekommen an einem Freitag. Ich war im Auto und musste erstmal an die Seite fahren. „Wir haben ein Kind für Sie …“ Dann habe ich ein paar erste Informationen erhalten, und schon am Montag darauf sollten wir die Eltern kennenlernen. Die sind dann aber nicht zum verabredeten Termin erschienen, und die Frau vom Pflegekinderdienst sagte: „Jetzt haben wir noch Zeit. Wollen Sie Tom gleich mal sehen? Dann fahren wir kurz rüber.“ Und so haben wir den kleinen Tom ganz überraschend das erste Mal gesehen. Er lag schlafend im Bettchen in seiner Bereitschaftspflegestelle.

War es Liebe auf den ersten Blick?

Ja, schon irgendwie, er war so klein, und die Entscheidung war da eigentlich schon getroffen: Das ist unser Baby. Und dann ging das alles ganz schnell …

Wie hat dein Umfeld reagiert?
Das kam ja doch ganz plötzlich für Außenstehende wie mich. Wer wusste vorher schon Bescheid?

Unsere Familien wussten schon von der Idee, dass wir ein Pflegekind aufnehmen wollten. Sie haben mitbekommen, dass wir uns beim Jugendamt beraten lassen haben. Und bei der Arbeit habe ich ganz allgemein darüber informiert.

Aber dann war ich von in Vollzeit berufstätig plötzlich in Elternzeit, das war von 100 % auf 0 %, mit Vollbremsung. Plötzlich musste ich ein Baby versorgen und mich ja auch. Ich konnte nicht mehr in die Kantine gehen, sondern musste mir Essen kochen. Daran hatte ich vorher gar nicht gedacht, und es gab zu Anfang noch gar keinen Plan dafür. Das hat sich dann aber schnell eingespielt.

Potenzielle Pflegeeltern sollten drei Dinge aushalten können:

  1. Fast alle Pflegekinder haben ihr Päckchen zu tragen, das erfordert besonders viel Unterstützung und Förderung und Zusammenarbeit mit Ärzten und Therapeuten.
  2. Man muss den Kontakt zu den leiblichen Eltern zulassen können und die Möglichkeit immer in Betracht ziehen, dass ein Pflegekind zu seinen leiblichen Eltern zurückkehren kann – auch wenn das oft unwahrscheinlich ist, aber eben nicht ausgeschlossen.
  3. Man muss sich auf eine jahrelange Zusammenarbeit mit dem Pflegekinderdienst einlassen und ist dabei immer auch ein bisschen fremdgesteuert bzw. im Austausch bei allen wichtigen Entscheidungen in Bezug auf das Pflegekind.

Wie ging es dann weiter? Du hast ja ein Jahr Elternzeit genommen.

Das stimmt. Am liebsten hätte es der Pflegekinderdienst sogar gesehen, wenn ich die ersten drei Jahre mit Tom zu Hause geblieben wäre. Aber ich wollte auch langfristig wieder in meinen Beruf zurück. So war ich die ersten 2½ Jahre zuhause. Als Tom bei uns eingezogen war, haben wir eine ganze Tasche voller Medis und besondere Hinweise bekommen. Das hat mich zuerst ganz schön verunsichert. Klar, Tom hat sein Päckchen zu tragen, er hat verschiedene körperliche Defizite. Vor allem körperlich ist er in seiner Entwicklung deutlich verzögert, hier gibt es viel Unterstützungsbedarf, der immer viel Zeit und Raum einnimmt. Ich konnte mich dann aber mit einer ganz tollen Hebamme austauschen. Sie hat mir viel Mut gemacht und gezeigt, wie ich gut mit Tom umgehen kann. Ich habe mich dann nicht von der Angst leiten lassen, dass ich irgendetwas falsch oder kaputt machen könnte, sondern von dem Vertrauen in Tom und in meine Intuition.

Was weißt du über die leiblichen Eltern? Hast du Kontakt zu ihnen?

Ja, wir haben regelmäßig Kontakt, etwa alle vier bis sechs Wochen. Der Vater hat sich nach einem Jahr ausgeklinkt und kommt nicht mehr mit. Die Mutter kann ihren Sohn bei begleiteten Umgängen sehen. Dabei werden wir vom Pflegekinderdienst unterstützt. Auch bei der Kommunikation läuft alles über das Jugendamt. Ich informiere die Mutter aber auf freiwilliger Basis. Manchmal hat sie ziemlich schräge Ideen, dann will sie zum Beispiel eine Freundin zum Umgang mitbringen, nur um der mal ihr Kind zu zeigen. Das geht natürlich nicht.

Bist du wütend auf die leiblichen Eltern?

Phasenweise war ich schon wütend. Dann habe ich gedacht, nicht das auch noch! Tom hatte echt keinen leichten Start ins Leben. Aber wir können sehr viel auffangen und ihn bestmöglich fördern. Mir ist aber auch klar, dass die Frau, die ihn geboren hat, eben seine leibliche Mutter ist. Das kann und will ich gar nicht ändern.

Was würdest du Menschen/Paaren/Familien raten oder mit auf den Weg geben, die sich überlegen, ein Pflegekind in ihr Leben zu lassen?

Sie sollten es sich gut überlegen und vor allem diese Dinge aushalten können:

  1. Fast alle Pflegekinder haben ihr Päckchen zu tragen, das erfordert besonders viel Unterstützung und Förderung und Zusammenarbeit mit Ärzten und Therapeuten.
  2. Man muss den Kontakt zu den leiblichen Eltern zulassen können und die Möglichkeit immer in Betracht ziehen, dass ein Pflegekind zu seinen leiblichen Eltern zurückkehren kann – auch wenn das oft unwahrscheinlich ist, aber eben nicht ausgeschlossen.
  3. Man muss sich auf eine jahrelange Zusammenarbeit mit dem Pflegekinderdienst einlassen und ist dabei immer auch ein bisschen fremdgesteuert bzw. im Austausch bei allen wichtigen Entscheidungen in Bezug auf das Pflegekind.

Hast du die Entscheidung für ein Pflegekind schon einmal bereut?

Nein, nicht eine Sekunde! Ich weiß gar nicht, ob ich ihn überhaupt noch mehr lieben könnte, wenn er mein leibliches Kind wäre, als ich es jetzt schon tue. Ich bin da genau wie alle anderen Mütter auch: manchmal überbesorgt (oh nein, ein Klettergerüst!), manchmal sehr gerührt und unendlich stolz auf meinen kleinen Tom.

Liebe Karen, vielen Dank für deine Offenheit und die Einblicke, die du uns gewährt hast.

 

Um die Privatsphäre von Karen, Tom und ihrer Familie zu schützen, habe ich ihre Namen geändert.

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