Marte Ceresa Schässburger, Susann Gudmundsson und Ricarda Hauke sind alle drei Anwältinnen und Mütter, die sich gemeinsam zusammengetan haben, um für die #Coronarechte von Eltern im Zusammenhang mit der Pandemie einzutreten. Mit Verabschiedung eines neu geschaffenen Entschädigungsanspruchs für Verdienstausfälle von Eltern wegen der Schließung von Kitas und Schulen, im März 2020, haben die drei ein Positionspapier verfasst. Darin geht es vor allem um Unschärfen bei der Formulierung des Paragrafen und um eine Forderung nach Nachbesserung, damit Eltern auch wirklich von ihren Ansprüchen Gebrauch machen können. Wir dürfen das Positionspapier veröffentlichen, ihr müsst es bitte lesen und zahlreich teilen und verbreiten.

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Ein Appell an unsere Bundeskanzlerin, unsere Bundes- und Landesregierungen, unsere Gesellschaft

Der entzogene Schutz der Familien in der Corona Krise: eine vorsätzliche Vernachlässigung durch die Politik?

Deutschland – ein Land, das sich mit stagnierender Geburtenrate und einer überalternden Gesellschaft mitten im demografischen Wandel befindet – kann es sich nicht leisten, der Keimzelle seiner Gesellschaft den Rücken zuzukehren: den Familien.

Doch genau das geschieht aktuell. Während Milliarden für die Wirtschaft bereitgestellt werden, scheint die Politik – und mit ihr die Gesellschaft – die Familien vergessen zu haben. Aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich Verfassungsprinzip der Sozialstaatlichkeit, woraus sich letztlich eine Fürsorgepflicht des Staates ableiten lässt. Der Staat hat daher nicht nur die Aufgabe, soziale Sicherheit zu schaffen, sonder auch für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Dieser soziale Auftrag des Staates wird u.a. in Art. 6 GG konkretisiert. Dies gilt auch und gerade in Zeiten einer globalen Pandemier! Es müssen also zwingend und gerade diejenigen beachtet werden, die keine Lobby im Hintergrund haben: Eltern und Kinder.

Wir Eltern befanden uns über 10 Wochen und länger im „Lock-Down“. Erst sehr viel später nimmt nun auch endlich die Diskussion um Eltern- und Kinderrechte und Fragen der gesellschaftlichen Solidarität Fahrt auf.

Keineswegs – und das soll vorab klargestellt werden – werden seitens der Bundes- und Landesregierungen und des Robert-Koch-Instituts vorgetragene Argumente für die Schließungen, und die Kontakteinschränkungen in Abrede gestellt. Auch wenn viele Eltern sich wünschen, dass Kitas, Schulen und Einrichtungen für Kinder wieder vollständig geöffnet werden, muss man im Rahmen der Forderung die gebotene Kontaktminimierung beachten. Jedoch müssen Lockerungsmaßnahmen in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen wenigstens geprüft und abgewogen werden.

Wir befürworten ausdrücklich die zwischenzeitlich laut gewordenen Foderungen nach einer – zumindest teilweisen – Gewährleistung der Betreuungsangebote für berufstätige Eltern. Im Fokus dieses Positionspapiers soll aber der mit § 56 Abs. 1a Infektionsschutzgesetz (IfSG) neu geschaffene Entschädigungsanspruch für Verdienstausfälle von Eltern wegen der Schließung von Kitas und Schulen stehen, der seit dem 28.03.2020 gilt. Wir möchten darlegen. wie dieser Anspruch strukturiert ist und prägnant und allgemein verständlich aufzeigen, warum dieser nicht weit genug geht und den beabsichtigten Schutz der Familie / Eltern nicht gewährleistet.

§ 56 Abs. 1a IfSG lautet im Wortlaut:

(…)
(1a) Werden Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten auf Grund dieses Gesetzes vorübergehend geschlossen oder deren Betreten untersagt und müssen erwerbstätige Sorgeberechtigte von Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind, in diesem Zeitraum die Kinder selbst betreuen, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen können, und erleiden sie dadurch einen Verdienstausfall, erhalten sie eine Entschädigung in Geld. Anspruchsberechtigte haben gegenüber der zuständigen Behörde, auf Verlangen des Arbeitgebers auch diesem gegenüber, darzulegen, dass sie in diesem Zeitraum keine zumutbare Betreuungsmöglichkeit für das Kind sicherstellen können. Ein Anspruch besteht nicht, soweit eine Schließung ohnehin wegen der Schulferien erfolgen würde. Im Fall, dass das Kind in Vollzeitpflege nach § 33 des Achten Buches Sozialgesetzbuch in den Haushalt aufgenommen wurde, steht der Anspruch auf Entschädigung anstelle der Sorgeberechtigten den Pflegeeltern zu.
(…)

Im Klartext heißt dies, dass Arbeitnehmer, die aufgrund einer behördlichen Kita- und/oder Schulschließung Ihre Kinder betreuen müssen und nicht arbeiten können, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen können, für einen Zeitraum von bis zu sechs Wochen nach § 56 Abs. 1a IfSG eine Entschädigung in Höhe von 67% des monatlichen Nettoeinkommens beanspruchen können. Der Entschädigungsanspruch soll dabei auf maximal EUR 2.016 pro Monat begrenzt sein.
Die Auszahlung der Entschädigung soll zunächst der Arbeitgeber übernehmen. Dieser kann jedoch bei der zuständigen Landesbehörde die Erstattung der Entschädigungsleistung beantragen. Die neue Regelung gilt befristet bis zum 31. Dezember 2020.

Wir wollen insbesondere auf folgende Probleme aufmerksam machen:

  • ZUMUTBARKEIT

Ausgeschlossen von der Entschädigungszahlung sind Eltern, die eine zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen können.

Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 56 Abs. 1a IfSG besteht eine zumutbare Betreuungsmöglichkeit „soweit eine Möglichkeit des ortflexiblen Arbeitens („Homeoffice“) besteht und diese zumutbar ist“. Unklar bleibt aber, wie Zumutbarkeit verstanden werden soll.

Spricht man im arbeitrechtlichen Bereich über den Begriff Zumutbarkeit, geht es darum, dass ein angemessener Interessensausgleich zwischen den Parteien stattfinden kann. Eine Zumutbarkeit der Arbeitspflichterbringung liegt zum Beispiel dann vor, wenn (i) eine unverschuldete Zwangslage vorliegt und (ii) bei einer Abwägung die Interessen des Arbeitnehmers überwiegen. Die Schließung der Betreuungseinrichtungen ist eine solche unverschuldete Zwangslage auf Seiten der Eltern als Arbeitnehmer. um also einen Anspruch aus § 56 Abs. 1a IfSG zu haben, müssten die Interessen der Eltern/Arbeitnehmer die Interessen des Arbeitgebers überwiegen; kurz gesagt, die Arbeitserbringung müsste unzumutbar sein!

Wir sind der Auffassung, dass es nicht nur unzumutbar, sondern faktisch unmöglich ist, seine geschuldete Arbeitsleistung ordnungsgemäß bzw. in vollem Umfang zu erbringen UND parallel seine Kinder adäquat zu betreuen / zu „beschulen“ und zu fördern und fordern. In der aktuellen Debatte wird aber genau das als möglich und zumutbar unterstellt.
Die Betreuung durch Verwandte und Freunde, wie zurzeit der Fall, ebenfalls als „zumutbar“ anzusehen, ist unserer Ansicht nach schlicht falsch. Kontakte außerhalb der Kernfamilie sollen nach dem Willen des Gesetzgebers gerade unterbunden werden. Es erscheint zynisch, eben die Kontakte öffentlich zu untersagen, bei der Beurteilung, ob eine Entschädigung begründet ist, jedoch als Ausschlusskriterium heranzuziehen.

  • ZEITLICHE BEGRENZUNG AUF 6 WOCHEN

Die Entschädigung wird längstens 6 Wochen gezahlt. Faktisch sind viele Eltern bundesweit, aber bereits seit 6 Wochen oder länger zu Hause und ein Ende der Krise ist derzeit nicht absehbar. Es ist nicht ersichtlich, wie diese willkürlich wirkende zeitliche Begrenzung zu begründen ist.

  • KEIN DIREKTER ANSPRUCH DER ELTERN 

§ 56 Abs. 1a IfSG begründet keinen eigenen Anspruch der Eltern auf Ausgleichszahlung. Den Anspruch an den Staat hat vielmehr der Arbeitgeber; dieser soll den Antrag auf Entschädigungsleistung stellen. Diese Regelung führt zu der absurden Situation, dass ein im Zweifel in der aktuellen Wirtschaftslage von Liquiditätsproblemen bedrohtes Unternehmen heute freiwillig auf die Arbeitsleistung seines Arbeitnehmers bei immer noch anteiliger Entlohnung verzichten soll, um in der Zukunft einen keineswegs erfolgssicheren Antrag auf Erstattung eben dieser Lohnkosten beim Staat zu stellen.
Gleichzeitig wird vom Arbeitnehmer verlangt, gegenüber dem Arbeitgeber detailliert seine derzeitige private Situation darzulegen und womöglich in Diskussionen über die Zumutbarkeit von Betreuungsmöglichkeiten einzusteigen.

Wir fordern daher:

  • eine hinreichende Begriffsbestimmung der Anspruchsgrundlage aus § 56 Abs. 1a IfSG,
  • eine zeitliche Ausweitung des Anspruchs, die der Dauer der Kita- und Schulschließungen entspricht,
  • und Rechtssicherheit in der Ausgestaltung des Anspruchs durch Nachbesserung der Regelung durch den Gesetzgeber, damit erwerbstätige Eltern nach klaren Kriterien und in einem verständlichen Prozess zeitnah Entschädigungsleistungen erhalten können.

Es fehlt an einer pragmatischen, schnell umsetzbaren Lösung, die Eltern und Familien entlastet und Arbeitgebern gleichzeitig ihre Umsetzung auch wirklich möglich macht.

Marte Ceresa Schässburger ist als Anwältin und berufstätige Mutter, in diversen Frauennetzwerken aktiv und hat lange Jahre in Schweden gelebt, daher weiß sie, wie familienfreundliche Politik aussieht. Aktuell lebt sie mit ihrer Familie in Hamburg.

Ricarda Hauke ist Rechtsanwältin und Betriebswirtin, war auch schon Unternehmensberaterin, Black Jack Croupier und Eisverkäuferin. Sie ist Seglerin, Segelprüferin und –ausbilderin, Mutter von 2 Kindern, aufgewachsen mit 6 Geschwistern (3 leiblichen und 3 adoptierten). Nachdem sie mit 14 zu Hause ausgezogen ist und Stationen in den USA, Schleswig-Holstein und München machte, ist sie in Hamburg gelandet. Wissen und Menschen sind ihre Leidenschaft, genau wie das Leben als Ganzes.

Susann Gudmundsson ist Anwältin mit mehrjähriger Prozessrechtserfahrung und Mutter einer 2-jährigen Tochter. Während ihrer Ausbildung lebte sie für ein Jahr in Schweden und traf dort ihren Ehemann. Der Stellenwert von Frauen, Familien und Kindern in der schwedischen Politik prägte sie nachhaltig. Aufteilung der Carearbeit in Familien und deren Stellenwert innerhalb der Gesellschaft ist von einer Selbstverständlichkeit geprägt, die ihr in Deutschland fehlt.

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Die Fotos von Marte, Ricarda und Susann stammen von privat.