Eigentlich wollte die Weltgesundheitsorganisation Masern bis 2015 ausgerottet haben – der Plan ist nicht aufgegangen. Vor allem elterliche Skepsis gegenüber Impfungen macht Ärztinnen und Ärzten einen Strich durch die Rechnung. Gerade macht Zentralafrika traurige Schlagzeilen mit hunderten Maserntoten. Aber auch Europa ist nach wie vor stark betroffen: Im ersten Halbjahr 2018 haben sich hier mehr als 41.000 Kinder und Erwachsene mit Masern infiziert. Die Gesamtzahl für diesen Zeitraum überstieg die Gesamtwerte für jedes Kalenderjahr im ganzen Jahrzehnt. Auch in Deutschland sieht es nicht gut aus: Das Robert-Koch-Institut registrierte 2018 mehr als 540 Masernfälle in Deutschland, 2019 waren es bis Anfang Juni bereits mehr als 400.

Impfpflicht in Deutschland

 

Von politischer Seite wurde nun reagiert: Noch dieses Jahr soll in Deutschland eine Masern-Impfpflicht für Schul- und Kindergartenkinder und für Menschen, die im medizinischen Bereich arbeiten, in Kraft treten. Bei Kindern ohne Impfnachweis kann ein Ausschluss aus der Kita erfolgen, bei Schulkindern drohen Bußgelder bis zu 2.500 Euro. Ob die Pflicht tatsächlich das Mittel der Wahl ist, ist umstritten. Kritiker*innen verweisen darauf, dass vor allem Erwachsene keinen ausreichenden Impfschutz hätten und man erst einmal auch andere Maßnahmen ausschöpfen könne.

 

Vorsicht, wenn ihr einen Kinderwunsch habt:

Tatsächlich ist die Masernimmunität bei Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland lückenhaft. Das liegt zum einen daran, dass manche Menschen nur einmal in ihrem Leben geimpft wurden. Im Verlauf des Lebens kann der Impfschutz nachlassen. Insbesondere vor einer geplanten Schwangerschaft solltet ihr deshalb zum Arzt gehen und dort testen, ob ihr noch Antikörper im Blut habt.

Eine weitere Befürchtung ist, dass die Pflicht auf andere Krankheiten ausgeweitet werden könne, bzw. auf den Zeitpunkt der Impfung. Auch ich bin individuell mit dem Thema Impfung umgegangen, habe meine Jungs erst später als allgemein empfohlen gegen Kinderlähmung, Tetanus und Co impfen lassen. Diese Individualität muss ich meinen Augen bestehen bleiben. Trotzdem bin auch ich der Ansicht: allein schon wegen des Herdenschutz ist es unsere Verantwortung, unsere Kinder impfen zu lassen und auch bei uns selbst den Status überprüfen zu lassen.

Interview: Kinder sterben jetzt an der Epidemie von 2015

Dr. med. Alexander Rosen ist Leiter der Kindernotaufnahme der Charité in Berlin und hat selbst zwei kleine Kinder. Er wird momentan mit schwer kranken Kleinkindern konfrontiert, die an den Spätfolgen der großen Masernepidemie aus 2015 leiden und in einigen Fällen auch daran sterben. Das miterleben zu müssen, wo heutzutage doch niemand mehr an Masern sterben müsste, ist sicher hart. Für Dr. med. Rosen gibt es keine stichhaltigen Argumente gegen die Masernimpfung. Er hat mir im Gespräch außerdem von einem gar nicht mal so bekannten, positiven Nebeneffekt der Masernimpfung erzählt.

Sabine: Wie bedrohlich ist die Krankheit Masern?

Dr. med. Alexander Rosen: “Es wird immer über die Angst vorm Impfen gesprochen – was wir viel häufiger sehen, ist die Angst vor schweren Komplikationen; jede Woche werden uns Patientinnen und Patienten vorgestellt, die nicht geimpft werden konnten. Jedes 3000. Kleinkind hat als Spätfolge der Maserninfektion eine tödliche Gehirnhautentzündung.

Da ist die Angst der Eltern verständlicherweise groß. Das ist eigentlich unsere Hauptarbeit: die Kinder mit Prophylaxen zu versorgen, auch bei Menschen mit Immunschwäche. Das läuft so: die Leute werden vom Gesundheitsamt angerufen, wenn sie oder ihre Kinder mit Masernpatientinnen und -patienten in Berührung gekommen sein könnten.

Wir müssen die Betroffenen dann aufklären, dass es eine nicht unerhebliche Chance gibt, dass sie selbst oder das Kind durch Spätfolgen von Masern eine lebensbedrohliche Entzündung des Gehirns oder neurologische Spätschädigungen durch Verkalkungen im Gehirn haben können.

Meist geben wir dann intravenöse Immunglobuline, also eine aufgereinigten Mischung aus fremden Abwehrstoffen. Das ist zwar auch nicht ohne Risiko, aber deutlich weniger riskant als die möglichen Komplikationen der Maserninfektion.”

Sabine: Du hast mir erzählt, dass bei euch auch immer wieder Patientinnen und Patienten mit Masernspätfolgen behandelt werden. Wie ist denn da der Verlauf?

Dr. med. Alexander Rosen: “Ja, leider kommen immer wieder Patientinnen und Patienten mit Masernspätfolgen. Jetzt beginnen wir, die Komplikationen des großen Masernausbruchs 2015 zu sehen; die Entzündung des Gehirns ist fortschreitend, die Kinder liegen regungslos im Bett und können nichts mehr machen.

Früher, vor der Masernimpfung gab es zu Zehntausende solche Fällen, heutzutage kannten wir das eigentlich gar nicht mehr, erst in den letzten Jahren kommen diese Fälle durch die Impfskepsis zurück. Der Verlauf ist erstmal unauffällig: Das Kind wirkt wie auskuriert, man denkt, alles sei okay, nach zwei Wochen ist die Maserninfektion vorbei. Doch vor allem Säuglinge können dann nach einigen Monaten bis Jahren plötzlich Spätfolgen bekommen, sehr krank werden und sogar sterben.”

Positiver Nebeneffekt der Masernimpfung

Sabine: Wie geht es dir damit persönlich?

Dr. med. Alexander Rosen: “Mir war unheimlich wichtig, dass meine Kinder so schnell wie möglich geimpft werden. Was viele nicht bedenken: Eine Impfung trainiert das Immunsystem, eine Maserninfektion führt zu einer nachhaltigen Schwächung des Immunsystems, man ist nachher dann empfänglicher für Lungenentzündungen und andere Infektionen. Auch ein Grund, sein Kind zu impfen.”

Dass die Impfung sogar das Immunsystem trainiert, war mir gar nicht bekannt. Bei kurzer Recherche fand ich heraus: die Masernimpfung als sogenannte „Lebendimpfung“ kann als unspezifischen Nebeneffekt auch positive Auswirkungen auf die Reifung des Immunsystems kleiner Kinder haben.

Trotzdem gibt es natürlich Kinder, die nach einer Impfung leiden und Erkältungssymptome kriegen. Für die Nachsorge nach einer Impfung hat mir Dr. med. Alexander Rosen in einem Interview 2018 bereits geraten:

“Man sollte die Stichstelle desinfizieren und sauber halten, zum Beispiel durch ein Pflaster. Bis sich die Haut geschlossen hat, sollte man besser keinen Sand oder Dreck an die Stelle kommen lassen und auch nicht baden. Wenn das Kind Fieber oder Zeichen von „Impfmasern“ bekommt, bleibt einem nichts übrig, als so zu handeln, wie man auch bei anderen Viruserkrankungen vorgeht: eine symptomatische Therapie mit körperlichen Schonung, ausreichender Trinkmenge und bei Bedarf zur Senkung des Fiebers Paracetamol, Ibuprofen oder lokale Anwendungen wie Wickel. Niemand hat gerne ein krankes Kind zu Hause, aber zumindest muss man bei Fieber und Krankheitssymptomen nach einer Impfung keine Angst vor schwerwiegenden Komplikationen haben, wie das bei der echten Maserninfektion der Fall ist.”

Quellen zum Weiterlesen

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