Julia Stelzner Fehlgeburt Ende vom Anfang

Es gibt seit unserem MUMMY MAG Paper 7 hier eine neue Serie. Sie heißt „Lasst doch mal sprechen über…“ und beschäftigt sich mit dem, was im oberflächligen Alltagsgebrummel gerne mal unter den Tisch gekehrt wird: Themen wie Inkontinenz, Wochenbett-Depression, unsere Kaiserschnitte oder den Verlust vor der Geburt – hier haben wir mit einem Daddy über seine Sternenkinder gesprochen. Nun ist es eine traurige Tatsache, dass fast jede dritte!!! Schwangerschaft in einer Fehlgeburt endet. Das belegt die Statistik. Wir sind im Mummy Mag Team selbst betroffen. Die Zahl der Fehlgeburten kommt einem nur weniger vor, weil irgendwie niemand darüber spricht. Oder wisst ihr von euren Freundinnen, ob sie eine Fehlgeburt hatten!? Dabei tut das darüber sprechen doch gerade gut. Man kann dadurch nicht nur lästige Nachfragen – wann ist es denn bei euch soweit? – vermeiden, sondern auch dazu beitragen, ein Tabu zu brechen…


Es gibt seit kurzem eine neue Online-Präzenz mit persönlichen Erfahrungsberichten von Betroffenen für Frauen, die Fehlgeburten erleben mussten. Denn keine soll damit alleine sein. Die Schicksale verbinden und können helfen, den eigenen Schmerz zu relativieren.
Es ist eine Community gegen das Tabu, persönlich & ehrlich, mit deren Initiatorin wir hier gesprochen haben:

Liebe Julia, du hattest innerhalb eines Jahres zwei Fehlgeburten, davon eine Eileiterschwangerschaft. Was hat dich dazu bewogen, darüber einen Artikel auf Edition F und auf letztendlich auch auf deiner eigenen Plattform dasendevomanfang.de zu veröffentlichen?
Die Tatsache, dass ich mir damals, nachdem auch die zweite Schwangerschaft so abrupt geendet hatte, ziemlich alleine vorkam mit meinem Schicksal. In meinem Freundeskreis kam so etwas so gut wie nie vor. Und mit den anonymen Aussagen in Foren konnte ich mich nur am Rande identifizieren. Ich hätte mir Erfahrungsberichte auf Augenhöhe gewünscht.  Also schrieb ich selbst einen, als es mir besser ging, um vielleicht der ein oder anderen in derselben Lage zu helfen. Das Veröffentlichen und auch jetzt darüber zu reden, war und ist schwierig, denn alte Wunden werden aufgerissen und die Privatsphäre wird angekratzt.

Warum kannst du jetzt schon darüber sprechen, auch wenn du noch keine Mama bist? Denn viele andere tun das (noch) nicht und es ist sicherlich nichts, womit man regelmäßig konfrontiert ist.
Aus oben genanntem Grund. Weil solche Vorfälle einen gewiss am meisten verunsichern, wenn man noch kein Kind hat, wenn man vielleicht die Einzige im Bekannten- bzw. Freundeskreis ist mit einer Fehlgeburt, und man nicht weiß, ob man überhaupt je ein Kind bekommen wird. Gerade, wenn so etwas wiederholt passiert. Hat man erstmal ein Kind, wiegt dieses Glück sicher mehr als der vorherige Verlust, und die Vorgeschichte gerät in den Hintergrund – mutmaße ich. 

Wer hat dich in den Tagen/Wochen nach den Abgängen aufgefangen?
Mein Mann. Freundinnen, Familie. 

Was hat dir gut getan, was hat geholfen?
Die ersten Tage danach befindet man sich in einer Scheinwelt, in der man nicht wahrhaben will, was passiert. Lange Spaziergänge haben gut getan, aufs Land fahren, die Riesenschüssel Cous-Cous-Salat, mit der eine Freundin spontan vor der Tür stand. In gewisser Weise hat mir auch mein Ehrenamt bei der Berliner Stadtmission und die Andachten dort geholfen, meine Situation anzunehmen. Auch Yoga (um den Kopf freizukriegen) und Boxen (gegen die angestaute Wut) – und sicherlich auch der ein oder andere Drink. 

Was genau haben dir deine Hebamme und/oder deine Frauenärztin dir geraten?
Meine Hebamme hatte mir für die Kürettage die Klinik Havelhöhe empfohlen, wofür ich sehr dankbar bin. Draußen im Grünen zu sein und sich gut aufgehoben zu fühlen, war viel wert. Die Betreuung seitens der Frauenärztin empfand ich hingegen leider als wenig empathisch. 

Was genau waren die medizinischen Schritte?
Ich hatte die Wahl zwischen einem mit Tabletten eingeleiteten Abgang und einer OP. Letztendlich riet man mir zu OP, weil die Größe in der 12. Woche schon recht vorangeschritten war und ersteres langwieriger und schmerzhafter gewesen wäre. 

Wem hattest du bereits von deinen SSW erzählt?
Besten Freunden, der Familie, einem Kunden, weil der mich fest einstellen wollte. Was er auch getan hat.

Hattest du bereits Anschaffungen fürs Baby getätigt?
Nein. Noch nicht.  

Hast du viele Freunde oder Geschwister, die Kinder haben?
In meinem Berliner Freundeskreis sind mittlerweile alle Mutter. Nicht so meine besten Freundinnen von früher, die aber nicht in Berlin wohnen. Meine Schwestern sind noch zu jung für das Thema.

Was machen deren Alltagsgeschichten mit deinem Wunsch nach Kindern?
Sie verstärken ihn. Aber ich finde auch meinen Alltag ansonsten sehr schön.  

Wie gehst du damit um, wenn sich jemand mit Kindern über selbige vor dir beschwert?
Das passiert so gut wie nie. 

Welche Wege würdest du gehen, um Kinder zu haben?
Das kann ich noch nicht sagen.  

Wie geht es dem Vater der ungeborenen Kinder? Teilt er deinen Weg, darüber zu sprechen?
Den Umständen entsprechend. Er ist der Ruhepol bei dem Ganzen, während ich hier und da unsicher bin. Und er teilt die Auffassung, dass darüber mehr gesprochen werden muss.

Was rätst du anderen Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind wie du es bist?
Zuallererst: Erstmal wegzufahren und nie die Hoffnung zu verlieren! Das zu schätzen, was man im Leben alles hat und jeden kleinen schönen Moment davon. Zweitens: Zu sagen, wenn es einem nicht gut geht, und auch, warum. Solche Dinge passieren leider. Viel mehr Frauen, als man denkt. Nur wenn keine darüber spricht, fühlen wir uns alleine damit. In diesem Sinne habe ich meinen Bericht und die Erfahrungsberichte anderer Frauen, in einem kleinen Portal versammelt und freue mich, wenn sich mehr Frauen melden, denen Ähnliches passiert ist und die bereit sind, darüber zu sprechen. dasendevomanfang.de

Julia Stelzner (35) ist Journalistin und lebt mit Mann und Kater (fast) im Wedding, ist aber ansonsten am liebsten da, wo es Palmen, Berge und gutes, vegetarisches Essen gibt (wie Südtirol und Palm Springs). Ihr liegt die Unterstützung von Wohnungslosen am Herzen, genauso wie 100% Ehrlichkeit.  Und wenn nichts mehr geht, helfen meistens ein starker Negroni, Pizza Margherita und ein Snickers.

Weitere Lektüre zum diesem wichtigen Thema und zum ebenso wichtigen drüber Reden findet ihr hier.

Julia Stelzner