Vor über einem Jahr habe ich Neram Niminde interviewt. Sie war damals gerade mit ihrer Familie von Panama nach Bogota, Kolumbien gezogen und schwanger mit dem dritten Kind. Neram kommt aus Deutschland, lebte viele Jahre mit ihrem französisch-italienischen Freund in Amsterdam. Wir sprachen damals vor allem über die Geburtsbedingungen in Panama und Kolumbien. Über Land und Leute gibt es aber noch viel mehr zu erzählen und da Neram nun seit über einem Jahr mit ihrer 5 köpfigen Familie in der Landeshauptstadt Bogota lebt, haben wir noch einmal nachgefragt…

Neram spricht fließend Französisch, Englisch, ein kleines bisschen Holländisch und natürlich Deutsch. Inzwischen ist sicherlich ziemlich viel spanisch hinzu gekommen. Neram ist ein Kessel Buntes. Mehr von ihr findet ihr auch auf ihrem Blog: littlebirdsmama.com...

WAS IST BIODIVERSITÄT?

Die drei Bereiche der Biodiversität, auch biologische Vielfalt genannt, sind eng miteinander verbunden: Die Vielfalt der Arten, die genetische Vielfalt innerhalb der Arten und die Vielfalt der Ökosysteme, zu der Lebensgemeinschaften, Lebensräume wie Wälder und Meere sowie auch Landschaften gehören.
Greenpeace

Liebe Neram, was ist das faszinierendste für dich an Kolumbien oder speziell an Bogota?

Kolumbien ist das Land mit der zweitgrößten Biodiversität der Welt. Nur Brasilien liegt noch einen Platz davor. Hier in Kolumbien gibt es alle verschiedenen Klimazonen, die Küste zum karibischen Meer sowie die Küste zum Pazifik, verschiedene Waldgebiete, den Amazonas und natürlich auch die Berggebiete um die Anden, an deren Fuß Bogota liegt. Dank dieser Vielfalt gibt es hier eine große Auswahl an Früchten und Gemüse, die alle hier lokal in Kolumbien angebaut werden können und fast das ganze Jahr über verfügbar sind. Allein das ist für mich schon etwas was mich total fasziniert.  Darüberhinaus liebe ich aber auch die verschiedenen Kulturen dieses Landes. Die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung ist einfach nur beeindruckend. So gibt es hier neben Kolumbianern mit afrikanischen, europäischen oder europäisch-indigenen Wurzeln zum Beispiel auch noch 102 indigene Volksgruppen, die über 3% der Bevölkerung ausmachen. Egal wohin mal also reist, das Land, die Sprache und Kultur sind immer wieder anders und einfach nur reich!

An unserem Leben in Bogota liebe ich, dass man an einem Tag fast alle vier Jahreszeiten erleben, denn morgens ist das Wetter meist wie an einem ersten Frühlingstag, zum Mittag herum dann auf einmal richtig sonnig und heiß, nachmittags dann eher bewölkt und kühler und nachts dann auf einmal kalt wie im Winter. Nach knapp 1,5 Stunden mit dem Auto kann man von Bogota aus die “Terra Caliente” erreichen, denn dort auf 500 Metern über dem Meeresspiegel (Bogota liegt auf 2.650m)  ist das Klima genauso wie der Name es schon sagt, richtig sonnig und warm. Darüberhinaus finde ich, dass das Leben hier oben auf dem Berg etwas Mystisches hat. Die Wolken sind uns immer nah.

Die Stadt liegt in der fruchtbaren Hochebene Cundiboyacense der Anden, der Sabana de Bogotá, 2.650 Meter über dem Meeresspiegel, am Fuß der zwei Kordillerenberge Guadalupe (3.317 Meter) und des Monserrate (3.152 Meter). Landschaftlich hört sich das schon sehr beeindruckend an. Wie empfindest du es und wie fühlt es sich an, in dieser Höhe zu leben? Musste der Körper (und deiner anfangs noch schwanger) bzw. vor allem der der Kinder sich daran gewöhnen?

Vielen Menschen, die Bogota bereisen, bekommt die dünne Luft hier oben anfangs meist nicht. Persönlich hatte ich nie mit Kopfschmerzen zu kämpfen, aber die Kurzatmigkeit war dann doch anfangs da. Das legte sich aber schnell. Erwachsene können dafür dann Coca-Tee trinken, der hier als Medizin gegen die “Altitude Sickness” gereicht wird. Für die Kinder war das aber gar kein Problem. Die spielten und rannten einfach genauso wie in Panama wo wir zuvor gelebt haben, ohne dass denen die Puste ausging. Woran wir uns aber gewöhnen mussten, war wieder wärmere Kleidung zu tragen und besonders nachmittags darauf zu achten uns nicht zu dünn anzuziehen. Die Kälte ist hier etwas anders und man hat richtig das Gefühl, dass sie unter die Haut in die Knochen reinzieht. Zudem haben wir hier auch gemerkt, dass wir einfach anfälliger für Krankheiten sind. Das liegt zum einen an der Luftverschmutzung, denn Bogota ist leider eine reine Autostadt mit 7 Millionen Einwohnern und nochmal knapp 1-2 Millionen Pendlern. Dazu gibt es hier leider viel zu viele Autos, die die Luft unrein machen. Zum anderen haben wir aber auch gelernt, dass die dünne Luft hier oben Krankheiten beim Menschen einfach schneller ausarten lässt. Eine Bronchitis kann schnell mal zur Lungenentzündung werden. Persönlich haben wir diese Erfahrung zum Glück noch nicht gemacht, aber leider schon einige Horror-Stories von anderen Eltern gehört. Aus beiden Gründen versuchen wir jetzt regelmäßig die Stadt am Wochenende zu verlassen und Zeit auf dem Land in den Bergen zu verbringen. So lassen wir den Stress des Alltags hinter uns, atmen frische Luft ein und genießen die wunderschöne Natur. 

Weltweit gesehen ist die Kriminalitätsrate Kolumbiens immer noch recht hoch. Allerdings ist die Sicherheitslage von Bogota vergleichbar mit der in anderen lateinamerikanischen Metropolen (Quelle: Auswärtiges Amt). Ich habe auch gelesen, dass es Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden Bogotas gibt, man aber überall aufpassen muss. So empfiehlt das Auswärtige Amt beispielsweise: “Reisende sollten bei Dunkelheit einsame Viertel und Straßen in größeren Städten meiden und abseits der Touristenzentren nicht alleine unterwegs sein, insbesondere wenn keine Ortskenntnisse vorhanden sind. Im Falle eines Überfalls sollte auf keinen Fall Widerstand geleistet werden.” Außerdem warnen sie vor sogenannten Kurzzeitentführungen. Wo lebst du in Bogota? Wie fühlst du dich sicher und worauf achtest du täglich?

Ich lebe nun seit einem Jahr hier und habe noch keine negative Erfahrung gemacht was die Sicherheit unserer Kinder, meines Mannes oder mich angeht. Das liegt bestimmt zum einen daran, dass ich mit meiner Familie im Stadtteil Chico lebe, der sich ein bisschen wie eine Expat Blase anfühlt. Man muss keine Angst haben, sein Handy auf der Straße zu benutzen und auch abends kann man hier ohne Probleme zu Fuß unterwegs sein. Aber auch in anderen Stadtteilen habe ich bis jetzt kein Angst verspürt. Klar, umso voller der Ort und umso mehr im Süden der Stadt gelegen, umso mehr passe ich auf. Ich trage keinen teuren Schmuck, halte mein Geld und Handy nah am Körper, wenn ich an bestimmte Orte gehe. Aber das würde ich auch in anderen Metropolen dieser Welt und vor allem an touristischen Orten tun. Es gibt hier leider große soziale Ungleichheit. Da ist es klar, dass geklaut wird, denn viele Menschen versuchen, einfach nur zu überleben. Davon mal abgesehen denke ich aber auch, dass viele Menschen hier immer noch traumatisiert sind. Wenn mir also gesagt wird, dass ich z.B. immer aufpassen muss, dass ich meine Kinder immer an der Hand halten soll, dann weiß ich, dass dies meist von Personen kommt, die die Jahre des Terrors miterlebt haben und denen die Angst immer noch tief drin sitzt. Nun möchte ich natürlich nicht ganz naiv sein und befolge auch einige der ungeschriebenen Regeln, d.h. ich lasse meine Kinder niemals alleine im Park spielen und gucke auf jeden Fall mehr nach ihnen, als ich es in z.B. in Berlin oder Amsterdam tun würde. Aber wenn man mal herum fragt, ob jemand schon mal negative Erfahrungen bzgl. der Sicherheit seiner Kinder gemacht hat, ist die Antwort immer nein. 

Über die Hälfte des weltweiten konsumierten Kokains stammt immer noch aus Kolumbien…” Der Drogenhandel macht einen großen Teil der Wirtschaft – wenn auch illegal – des Landes aus. Wie gehst du damit um? Wie versuchst du, euch davor zu schützen?

Im Ausland assoziieren wir Kolumbien mit Kokain, mit Pablo Escobar, dem Cali Kartell, dem ewigen Drogenkrieg und hierzu hat auch die Netflixserie Narcos sehr stark beigetragen. Wenn man aber nach Kolumbien kommt sieht man, dass dieses Land viel mehr als Kokain und Co. ist. Dass es hier liebe Menschen gibt, die alles tun, den Ruf des Landes zu ändern. Vor allem junge Kolumbianer möchten nicht mehr mit dem Bild der Narcos assoziiert werden, was ich sehr gut verstehen kann. Was aber auf jeden Fall präsent ist, ist die soziale Ungleichheit und Korruption in der Politik und hier werden vor allem die Studenten Bogotas immer lauter und gehen auf die Straße. 

Wie würdest du die Rolle der Frau beschreiben? Ich habe z.B. in einem Gespräch mit einer Kolumbianerin erfahren, dass der verbreitete Kinderwunsch nicht mehr selbstverständlich auf alle Frauen zutrifft? Die Frauen wollen auch Karriere machen.

Im Allgemeinen herrscht hier eine recht starke Macho-Kultur, die sich zum Beispiel in Gewalt gegenüber Frauen sowie dem sehr lockeren Umgang mit plastischer Chirurgie widerspiegelt. Zudem ist das Land stark von der katholischen Religion geprägt, die das klassische Geschlechterrollenmodell predigt. Trotzdem arbeiten Frauen aber. Vor allem hier in der Hauptstadt arbeiten viele Frauen und sind in den verschiedensten Berufsgruppen zu finden. Viele wünschen sich Kinder und bekommen diese auch, wobei die Anzahl von zwei Kindern meist nicht überschritten wird. Die jüngere Generation setzt sich zudem für die freie Wahl zum Muttersein ein. Abtreibung ist in Kolumbien nämlich nur legal, wenn die Schwangerschaft ein medizinisches Risiko für das Leben der Mutter und/oder des Kindes darstellt. Unter anderem setzt sich hierfür die feministische Organisation Las Viejas Verdes ein, die in den sozialen Medien, aber auch offline auf den Straßen demonstrieren und immer lauter werden, damit Frauen selbst und frei über ihren Körper entscheiden können.

Wer dir auf Instagram folgt, bekommt viele Einblicke in dein Leben in Bogota und auch der neuen Aufgabe, der du dich angenommen hast. Du hast eine Ausbildung zur Doula und traditionellen Hebamme gemacht, hast dein eigenes (3.) Wochenbett und die Betreuung kolumbianischer Hebammen /Doulas per Social Media begleitet. Mir fiel da vor allem der große Stellenwert auf, der gebärenden Frauen in diesem Land eingeräumt wird und mit welcher Hingabe und Selbstverständlichkeit diese versorgt werden. Kannst du uns dazu mehr erzählen?

Ich war auch total hin und weg, wie Mütter hier während der Schwangerschaft und im Wochenbett geehrt und umsorgt werden. Hierbei muss ich aber sagen, dass dies nicht überall der Fall ist. Besonders in den Städten werden die meisten Schwangerschaften und Geburten von Gynäkologen betreut und Entbindungen finden in Krankenhäusern statt, die extrem hohe Kaiserschnittraten vorweisen (die allgemeine Kaiserschnittrate in Kolumbien liegt bei über 40%). Geburten ähneln hier eher einem Business. Da wird den Müttern nicht viel Ruhe und Zeit fürs Gebären gelassen und auch im Wochenbett gibt es keine besondere Betreuung. Deshalb hatte ich mich dazu entschieden, zu Hause mit einer traditionellen Hebamme zu entbinden, die mich dann auch im Wochenbett weiter begleitet hat. Den Beruf der Hebamme, wie wir ihn in Deutschland kennen, gibt es hier in Kolumbien aber gar nicht, denn es gibt keine staatliche Ausbildung. In Kolumbien beziehen Hebammen ihr Wissen und Know-How aus jahrelanger Praxis und all den Informationen, die ihnen von ihren Vorfahren weitergeben wurden. Sie arbeiten sehr holistisch, d.h. sie kümmern sich um den Körper der Schwangeren, aber auch um ihr emotionales und psychisches Wohlbefinden. Zudem wenden sie auch Heilpflanzen an, was in einem Land wie Kolumbien mit solch starker Biodiversität sehr viel Sinn macht. Leider ist ihr Beruf aber staatlich nicht anerkannt, entspricht vor allem in den großen Städten wir Bogota nicht dem Status Quo (es ist ansehnlicher im Krankenhaus zu entbinden) und gerät immer mehr in Vergessenheit. Meist sind es dann Mütter, die keine Krankenversicherung haben oder in ruralen Gebieten wohnen, die zu weit von Krankenhäusern entfernt sind, die sich von Hebammen betreuen lassen.    

Da ich mich nun von einer Hebamme hab betreuen lassen, durfte ich selbst erfahren, wie diese holistische Begleitung aussieht. Während meiner Schwangerschaft wurde ich neben allgemeinen Check-Ups auch regelmäßig massiert. Das tat so gut. Im Wochenbett, das genau 40 Tage dauert, ging es dann genauso weiter. Mein Körper wurde einmal pro Woche massiert. Es wurde ganz genau auf die Rückbildung meiner Gebärmutter und der anderen inneren Organe geachtet. Es wurden Kräutertees und -bäder angewendet, um diesen Prozess zu unterstützen. Und am 40. Tag gab es eine Zeremonie, um über die Schwangerschaft und Geburt zu reflektieren und den ganzen Zyklus zu schliessen. So eine herzliche und holistische Wochenbettbetreuung hatte ich noch nie erlebt. Das war wirklich toll!

Magst du uns verraten, wieso ihr so oft umzieht bzw. wie die Kinder das mitmachen? Sie sind ja noch sehr klein, also vermute ich sozial, gesehen ist es für sie leichter als für dich bzw. euch Eltern? Immer neue Freunde/ fremde Umgebungen… Ich sehe natürlich das Potential, es muss sich wahnsinnig gut anfühlen, mit so vielen neuen Kulturen, Traditionen und neuen Menschen konfrontiert zu sein!

Schon während der Schulzeit habe ich großes Fernweh verspürt. Als ich dann mein Abitur in der Tasche hatte, bin ich gleich für ein Jahr nach Frankreich gegangen und fand es dort so toll, dass ich insgesamt fünf Jahre geblieben bin. Nach meinem Studium bin ich dann für meinen ersten Job nach Belgien gezogen, wo ich meinen Mann kennengelernt habe. Auch er liebte das Leben im Ausland und hatte schon viel Zeit im Ausland verbracht. Nachdem dann in den Niederlanden unsere ersten zwei Kinder zur Welt gekommen sind,  kam auf einmal ein Job-Angebot in Panama auf und da wir eh schon länger darüber geredet hatten, mal ganz aus Europa wegzuziehen, haben wir uns einfach gesagt “Warum nicht ?”. Der Umzug nach Bogota war dann eine Entscheidung der Firma, für die mein Mann arbeitet, aber auch hier dachten wir, dass wir Bogota und Kolumbien einfach mal ausprobieren könnten. Soweit sind unsere Kinder mit den Umzügen gut klargekommen. Mit jedem Aufenthalt in einem anderen Land lernen sie neue Freunde kennen, sammeln schöne Erinnerungen und erleben die atemberaubende Natur live mit; etwas was viele Kinder eher aus Büchern kennen. Zudem spricht unser Ältester, der bald sechs Jahre alt wird, vier Sprachen fast fließend. Eine Bereicherung ist das auf jeden Fall. Aber klar, wir spüren schon, dass uns die Nähe zu unseren Familien fehlt und so langsam wird der Gedanke im Kopf stärker, mal wieder nach Europa zurückzukehren. Aber wann und wohin genau können wir noch nicht sagen. Es bleibt also spannend 😉

Gibt es etwas, wovor du Angst hast oder worüber du dir Sorgen machst? Was machst du dann bzw. wie gehst du mit solchen Dingen um?

Ich ziehe es vor, mein Leben ohne Angst und Sorgen zu Leben. Wenn es etwas gibt, das mir ein mulmiges Gefühl gibt, schaue ich was ich ändern kann, damit sich die Situation ändert. Und selbst wenn etwas passiert, dass auf den ersten Blick negativ scheint, finde ich immer auch positive Aspekte. Aus jedem Tief kann ich etwas lernen und danach kommt wieder ein Hoch.

Das hört sich gut und sehr vernünftig an! Und da du eine absolute Umzugsexpertin sein musst –  wie gehst du da vor? Verrate uns deine drei Top-Tipps und -Tricks auch speziell bei einem Umzug in ein anderes Land bitte, liebe Neram!

Mein Lieblingstipp heißt: Immer die Ruhe bewahren! Denn auch, wenn ich viel aussortiert habe, gut plant habe und sogar Hilfe von einem Umzugsunternehmen bekomme, am Ende stelle ich immer fest, dass wir einfach sehr viele Sachen besitzen. Das ist einfach so! Denen, die mit Kindern in ein anderes Land oder eine andere Stadt ziehen wollen, kann ich nur raten eine, für den Ort spezifische Elterngruppe auf Facebook zu suchen. Die sind Gold wert, denn dort kann man meist all die Fragen stellen und Infos finden, auf die Google meist keine hilfreiche Antwort weiß.

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