GASTBEITRAG
„Das erste Jahr ohne Leni“
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In wenigen Tagen ist der 30. Januar – für viele ein ganz normaler Mittwoch, nicht anders als andere Werktage. Doch für Tanja, Sven und Bruder Carl wird sich der schlimmste Tag ihres Lebens zum ersten Mal jähren. Der Tag, an dem die kleine Leni mit nicht einmal zwei Jahren für immer gegangen ist. Was nach dem Tod der Kleinen für die Familie folgte war Verzweiflung, Dunkelheit, Trauer und Schmerz. Aber irgendwie haben sie es geschafft, Licht am Ende des Tunnels zu sehen, sich das Lachen und die Liebe zurückzuholen und noch viel intensiver zu empfinden, als zuvor. Tanja hat uns diese Geschichte aufgeschrieben und sie macht unglaublich viel Mut, dass das Leben nach der schrecklichsten Erfahrung, die man als Familie durchleben muss, dennoch weitergehen kann…
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Ich habe Tanja erst bei der Beerdigung der kleinen Leni kennengelernt. Sie war wenige Wochen nach der Beerdigung der kleinen Greta und einer der schwersten Gänge, die ich jemals in meinem Leben gehen musste. Dabei kannte ich auch Leni nicht persönlich. Ich kannte nur ihren Vater Sven, mit dem ich im Jahr zuvor die Mummy Talks gedreht hatte. Sven, ein wunderbarer Mensch, der unglaublich viel Ruhe, Kraft und Spaß ausstrahlt. Als ich erfuhr, was damals geschah, brach es mein Mutterherz sofort entzwei. Ich war mitten in der Trauer um Greta, immer an der Seite meiner Freunde (Julie und Felix), die ihre Tochter verloren hatten und dann passierte so etwas furchtbares so kurze Zeit später wieder. Mir war sofort klar – auch ohne die Familie wirklich zu kennen – ich muss ihnen auf irgendeine Weise beistehen. Dann kam der Tag von Lenis Beerdigung – und ich lernte Tanja kennen. Eine unfassbar starke Frau, die ihren Schmerz mit uns teilte. Ich sah eine Familie, die unglaublich eng beieinander stand. Einen Vater, der wie ein Fels in der Brandung wirkte und dessen Herz doch selbst in tausend Teile zersplittert war. Ich sah einen großen Bruder von gerade mal acht Jahren, der schon so viel sehen musste aber so stark war. Ich möchte gar nicht so viel erzählen, doch es war ein unfassbar schöner und persönlicher Abschied von Leni. Es waren unglaublich viele Menschen gekommen, es hat die Menschen extrem nah zusammengebracht – insbesondere die Familie. Seitdem haben Tanja und ich den Kontakt gehalten. Viel weniger, als ich es mir wünschen würde. Aber vor allem über meine Freundin Julie (die Mama von Greta), die ich mit Tanja verbunden habe, waren wir irgendwie immer auf gewisse Art beieinander. Tanja, ich danke Dir, dass Du die Kraft gefunden hast, dies für uns aufzuschreiben. Ich freue mich über jede gute Nachricht von euch und freue mich sehr, dass ihr das Glück für euch wiedergefunden habt!
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Das erste Jahr ohne Leni…
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„Für uns als Familie liegt das schlimmste und schwierigste Jahr hinter uns, das wir je gemeinsam erlebt haben. Am 29.01.2018 ist unser Leben von jetzt auf gleich aus den Fugen geraten. An jenem Morgen flitzte unsere 1,5 jährige Tochter Leni noch gesund und munter durch die Wohnung bevor es in die Kita ging. Mein Mann Sven schickte mir noch ganz stolz ein Foto von Leni. Er hatte ihr an dem Morgen das erste Mal ein Zöpfchen gemacht. Am Nachmittag der Anruf aus der Kita, Leni hat Fieber und Schüttelfrost. Zwei Stunden später lag unsere kleine Motte schwerkrank auf der Intensivstation im Koma, wurde künstlich beatmet und kämpfte um ihr kleines zartes Leben. Obwohl die Ärzte alles gegeben haben, hat unser kleiner Sonnenschein den Kampf nicht gewonnen und ist am nächsten Vormittag für immer in unseren Armen eingeschlafen. Da standen wir nun, mein Mann Sven, unser Sohn Carl (damals 8,5 Jahre) und ich. Wir konnten nicht fassen, was gerade passiert ist und noch viel weniger wussten wir, mit dem Tod unserer Tochter umzugehen. Als werdende Eltern wirst du auf so vieles vorbereitet, aber auf den Tod des eigenen Kindes nicht. Die ersten Tage und Wochen nach Lenis Tod waren für uns die Hölle und für uns war es unvorstellbar, dass das Leben weitergehen kann. Doch mit ganz kleinen Schritten haben wir ins Leben zurückgefunden. Ja, es ist ein anderes Leben, und ja, es werden noch sehr sehr viele Tränen geweint, und ja, für uns als Paar und als Eltern für Carl, ist es eine der größten Herausforderungen, der wir uns je stellen mussten und immer noch müssen. Noch fällt es mir schwer, über alles im Detail zu berichten. Bis hier her war es ein sehr holpriger und steiniger Weg. Ob unser Weg der Richtige war oder ist, weiß ich nicht. Aber dass wir als Familie überhaupt einen Weg gefunden haben, erfüllt mich mit Dankbarkeit und Hoffnung. Und das Allerwichtigste, wir waren auf unserem Weg nie alleine. Unsere Familie, aber auch unsere Freunde waren eine so wichtige Stütze für uns. Ohne sie wären wir nicht an dem Punkt, wo wir heute stehen.
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Heute, fast auf den Tag, ein Jahr später, haben wir bis auf Lenis Todestag und dem Tag der Trauerfeier und Urnenbeisetzung alle Jahrestage, Geburtstage und Feiertage einmal hinter uns. Auch liegen ganz viele andere alltägliche erste Male hinter uns. Hinter uns liegen auch drei Familienurlaube, für die wir uns jeweils spontan entschieden haben. Pläne haben wir ganz bewusst keine gemacht, da wir immer von Zeit zu Zeit sehen wollten, was für uns geht und was eben noch nicht. Wir haben unser Lachen wieder gefunden, auch konnten wir wieder unbeschwerte Momente genießen und Freude am Leben empfinden. Es gibt natürlich auch noch viele schwere Tage, an denen die Trauer und Sehnsucht nach Leni einfach so groß ist, dass man es kaum aushalten kann. Aber das darf so sein und diese Tage wird es bestimmt immer geben. Die Erfahrung jedoch, dass nach solchen Tagen auch immer wieder die Sonne scheint, lässt uns durch diese Tage kommen.
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Was hilft in dieser Ausnahmesituation?
Wir wurden oft gefragt, was uns in den ersten Wochen und Monaten geholfen hat. Zunächst haben wir versucht, uns nicht zu verkriechen, sondern sind ganz oft rausgegangen, haben uns mit Freunden getroffen, haben fast jede Einladung zum Essen oder Zeitvertreib mit Freunden angenommen. Auch sind Sven und ich eine Woche nach Lenis Tod spontan ins Kino gegangen. Damals lief der Film „Das Leben ist ein Fest“. Es mag vielleicht skurril klingen, aber das war in diesem Moment genau richtig für uns. Auch die unwahrscheinlich große und ehrliche Anteilnahme in unserem Umfeld war ein Geschenk und ist leider nicht immer selbstverständlich, wie ich im Austausch mit anderen Betroffenen erfahren musste. So standen Freunde mit vollen Einkaufstüten, selbstgekochten Suppen oder Blumen vor unserer Tür. Andere kamen einfach ohne Ankündigung, um nach uns zu schauen, um mit uns zu trauern, zu schweigen oder aber auch einfach nur um zu zeigen, wir sind für euch da. Auch die zahlreichen Anrufe, Nachrichten, Briefe und Päckchen haben uns gut getan. Zu wissen, dass so viele Menschen an uns denken und mit uns fühlen, hat uns durch die ersten schweren Wochen getragen. Zwischen Sven und mir passte in den ersten Wochen kein Blatt Papier. Da war zwar auf der einen Seite diese unendliche Trauer, aber auf der anderen Seite auch diese tief empfundene und aufrichtige Liebe zwischen uns und dieser unbedingte Wille, das alles gemeinsam zu schaffen, für uns und für Carl. Wir haben das Schicksal akzeptiert und es wird für immer Teil unseres Lebens sein, aber wir haben uns fest versprochen, dass wir uns nicht unterkriegen lassen, wir immer füreinander da sein werden und nach vorne schauen.
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Carls sehnlichster Weihnachtswunsch
Kurz vor Lenis plötzlichem Tod stand die Frage ‚Drittes Kind – ja oder nein?‘ im Raum. Wir hatten uns vorgenommen, diese Frage für uns bis zum Jahresende zu beantworten. Es ist vielleicht für Außenstehende befremdlich, aber der Wunsch nach einem dritten Kind war dann direkt nach Lenis Tod bei uns präsent. Der gemeinsame Kinderwunsch war in dieser Situation für uns auch ein kleines Licht am Ende des Tunnels, ein kleiner Hoffnungsschimmer. Auch Carl äußerte sehr schnell den Wunsch nach einem weiteren Geschwisterchen. Er sagte eines Tages zu uns: ‚Ich wünsche mir nichts sehnlicher als noch einen Bruder oder eine Schwester. Ich möchte zu Weihnachten auch keine Geschenke haben, nur diesen einen Wunsch.‘
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Unser kleines Aprilwunder kündigt sich an
Sieben Monate später, hielt ich im August 2018 einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand und konnte es kaum glauben. Auf der einen Seite war da diese riesengroße Freude, auf der anderen Seite war da das schlechte Gewissen gegenüber Leni und furchtbare Angst und Respekt vor dem was da auf uns zukommt. Die Schwangerschaften von Carl und Leni waren zwar auch teilweise von Ängsten und Sorgen geprägt, aber im großen und ganzen überwog die Vorfreude und die Unbeschwertheit. Mit Ablauf der ersten 12 Wochen war ich damals bereits im Vorbereitungsfieber und habe angefangen, erste Sachen zu kaufen, Zimmer einzurichten und vor allem hatte ich bereits eine enge Bindung zu den zwei kleinen Menschlein in meinem Bauch aufgebaut. Diese Schwangerschaft allerdings hat mich am Anfang verzweifeln lassen. Dieses gewisse Gefühl, die Vorfreude, die Verbindung zwischen mir und dem Bauchzwerg zu spüren, diese Unbeschwertheit, all das wollte sich einfach nicht einstellen. Obwohl mir mein Bauchgefühl immer sagte, dass alles gut ist, war ich einfach nur von Ängsten und Sorgen geprägt. Als die Ärztin auch relativ zeitig sagte, dass es wahrscheinlich ein Mädchen werden würde, war ich wie gelähmt. Obwohl ich mir insgeheim ein Mädchen gewünscht habe, so hätte ich mir in diesem Moment gewünscht, dass sie mir sagt, es wird ein Junge. Ich war überfordert mit meinen Gefühlen und Gedanken. Da spukten ganz plötzlich viele Fragen in meinem Kopf herum. Was ist, wenn sie so aussieht wie Leni? Soll sie die Sachen von Leni tragen? Soll sie in Lenis Bett schlafen? Sollten wir jetzt das Zimmer von Leni ausräumen? Der Druck, Antworten auf diese Fragen zu bekommen oder diese aus meinem Kopf zu verbannen, war enorm. Gott sei Dank konnten Sven und ich offen über alles sprechen. Auch meine Therapeutin hat mir sehr durch diese Phase geholfen. Heute bin ich in der 28. Woche und ich freue mich sehr auf unser kleines Mädchen. Ich habe akzeptiert, dass diese Schwangerschaft eben besonders und anders ist, dass der kleine Mensch, der unter meinem Herzen heranwächst, seiner Schwester bestimmt ähnlich sehen wird. Und das ist auch völlig ok so. Sie wird keine zweite Leni sein, sondern die kleine Schwester von Carl und Leni, auf die wir uns alle riesig freuen. Wir haben uns entschieden, den Großteil von Lenis Sachen und Möbeln einem wohltätigen Zweck zu spenden bzw. nicht mehr für unsere Tochter wiederzuverwenden. Auch belassen wir vorerst Lenis Zimmer so wie es ist und werden uns irgendwann, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, darum kümmern. Das beides fühlte sich für uns richtig an und mit dieser Entscheidung ist auch der enorme Druck von uns abgefallen. Mit Beginn der 24. Woche haben wir mit den ersten Vorbereitungen begonnen, erste Sachen gekauft und mit Umräumarbeiten im Schlafzimmer für eine kleine Babyecke begonnen. Bis zur Geburt haben wir auch noch ein wenig Zeit, um alles Notwendige anzuschaffen und zu organisieren. Das Allerwichtigste für unser kleines Aprilwunder ist aber schon vorhanden, nämlich Liebe. Und davon haben wir ganz ganz viel zu geben.“
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Diese Hilfe hatten Tanja und ihre Familie:
Wir haben uns direkt jeder einen Psychotherapeuten gesucht, der uns durch unsere Trauer begleitet. Damit man das ganze nicht immer wieder neu am Telefon bzw. Anrufbeantworter erzählen muss, was mitunter viel Überwindung und Kraft kostet, habe ich alles per E-Mail geschrieben und das an mehrere Psychotherapeuten geschickt mit der Bitte um Rückruf. Die Resonanz war enorm und wir haben relativ schnell Hilfe bekommen.
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Björn Schulz Stiftung
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Kindertrauer Berlin
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„Dein Sternkind“
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Liebe Leni, auch in unseren Herzen wirst du nun immer bleiben <3
Liebe Tanja, lieber Sven, lieber Carl, wir wünschen euch alle Kraft und Liebe der Welt. Geht euren Weg weiter, bleibt so nah beieinander und bewahrt euch das Lachen. In Gedanken sind wir bei euch.
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