„Pariser Mütter gehen nach 2-3 Monaten wieder Vollzeit arbeiten“

IMG_6357

 Die studierte Soziologie- und Politikwissenschaftlerin Melina Garnier ist PR-Profi (Silk Relations), gebürtige Deutschgriechin und lebt mit Mann und inzwischen drei Kids – darunter Zwillinge – in Paris. Dort jongliert sie Familie und Karriere und erzählt uns von den Unterschieden zwischen Einlings- und Mehrlingsschwangerschaften, Deutschland und Frankreich und wie das nun wirklich funktioniert mit der französischen Erziehung. Hier kommt das komplette Interview!

Liebe Melina, Du arbeitest und lebst mit Deinem Mann und Euren drei Kindern seit 12 Jahren in Paris. Alle Kinder sind dort geboren. Wie fühlte es sich an in einem anfangs noch fremden Land das erste Mal Mutter zu werden? 

 Etwas einsam. Das erste Mal Mutter zu werden in einem fremden Land ist nicht sehr empfehlenswert. Aber mir war die Nähe zum Vater der Kinder damals das Wichtigste. In Frankreich ist Muttersein etwas ganz anderes als in Deutschland. Die Unterschiede sind größer als ich anfangs dachte. In Frankreich habe ich keine franz. Mutter auf dem Spielplatz kennengelernt. Die Mütter gehen meist nach 2- 3 Monaten wieder Vollzeit arbeiten. Das Mamasein läuft eher so nebenbei.

Deine ersten beiden Kinder sind Zwillinge. Was war der erste Gedanke als Du davon erfahren hast und wie hast Du reagiert? 

Ich war zur ersten Untersuchung in Hamburg Eppendorf bei meinem Frauenarzt und als er sagte, „oh oh, da ist eins und da ist noch eins“, dachte ich, was meint er denn jetzt? Ich habe schließlich auch zwei Brüste und zwei Beine, ich war nicht richtig belesen in Eizellen & Co.. Danach bin ich aus der Praxis rausgegangen und mir war klar, dass ich dann auch bald mein Auto verabschieden muss, da ich einen Smart fuhr. In den ersten drei Monaten hatte ich mich 5x am Tag übergeben und mehr abgenommen als ich mit Detox heute schaffe.

 IMG_4915

Hast Du die Schwangerschaften und Geburten als sehr unterschiedlich erlebt oder gab es Dinge, die komplett gleich abliefen trotz Einlings- und Mehrlingsschwangerschaft? 

Nachdem mich die Zwillingsschwangerschaft und Geburt so dermaßen durchgewirbelt hatten, war ich gerüstet für meine 2. Schwangerschaft und mein drittes Kind. Bei den Zwillingen war ich schon sehr müde und schlief eine Menge. Hinzu kommt, dass ich das Ende der Schwangerschaft in Paris erlebt hatte, wo eine brutale Hitzewelle über Wochen die Stadt lahmgelegt hatte. Der Jahrhundertsommer 2003 forderte Tausende von Todesopfern in Europa und in Frankreich. Ich habe am 18. August ohne Klimaanlage 15 Stunden lang in den Wehen gelegen und kein Wort verstanden von dem, was mir die Hebammen gesagt hatten. Wehen, eine Päridual, die nicht funktionierte, eine Zangen- und 2 Minuten später eine Steißgeburt werden für immer in meinen Memoiren eingraviert bleiben.

Bei meinem dritten Kind habe ich mir eine Klinik im 12. Arrondissement ausgesucht, Badewannen, Massagen, Stillen, das ganze all incl. Paket der sanften Geburt. Damit dann alles anders kam: Die 3. Geburt war ein Kaiserschnitt, weil mein Kind sich nicht gedreht hatte. Ich habe die Geburt meines jüngsten Sohnes aber mehr genießen können. Die der Zwillinge war dann schon sehr erschöpfend. Aber ich war auch einfach bereits Mutter beim dritten Kind.

 DSC02258

Wie hat sich dein Alltag durch die ersten beiden Kinder verändert? Oder gab es da noch gar keinen französischen Alltag?  

Nein, den gab es nicht wirklich, ich war keine Frau, die sich gleich das Kinderzimmer einrichtet, nachdem der Schwangerschaftsstreifen doppelt im Fensterlein erscheint. Ich meine, wir hatten davon abgesehen sowieso kein Kinderzimmer. Mein Mann hatte seinen ersten Job angefangen und wir hatten ein Ein- Zimmer- Appartement. Wir waren verliebt und sind stundenlang durch Paris geschlendert. Als die Babys da waren, fragte mich eine Kinderschwester, ob wir alles zu Hause bereit hätten, ich meinte, was brauche ich denn? Wir hatten weder Windeln noch Fläschchen. 

Wie war die Versorgung rund um die Geburt? Was übernehmen die Krankenkassen in Frankreich? 

Die Versorgung ist sehr medizinisch und wenig psychologisch ausgerichtet. Die Kasse hat alles übernommen, das war kein Problem. Die private Zusatzversicherung meines Mannes hat den Rest geregelt. Die sogenannte  „Mutelle“ ergänzt die gesetzlichen Kassen und hängt vom Arbeitgeber ab. Gleich zu Beginn des ersten Drittels einer Schwangerschaft muss Frau sich hier in einem Krankenhaus zur Geburt anmelden. Die Wartelisten, können je nach Klinik lang sein. Zur Blutuntersuchung muss man immer in ein Labor gehen, um dann mit den Ergebnissen wieder zum Arzt zurückzugehen. Das ist schon mehr Rennerei als in Deutschland und unpersönlicher.

 Wie sind die Hebammen organisiert? Gibt es Beleghebammen und Nachsorgehebammen, wie bekommt man diese und wie unterstützen sie Mütter, z.B. beim Thema Stillen? 

Was sind Beleghebammen? Nach der Geburt meiner Zwillinge kam eine Hebamme zu uns, die so stark nach Parfum roch, dass ich mich fast übergeben hätte. Helfen konnte sie mir bei meinen Stillversuchen auch nicht. Sie hatte keine Ahnung und wie mir bereits die Schwestern im Krankenhaus sagten, lohnt sich das Stillen bei Zwillingen auch gar nicht.

 Ich habe dann Milch abgepumpt bis ich eine Infektion hatte, 41 Grad Fieber und man mir ein Medikament gab, damit das alles aufhört. Ich fühlte mich wie eine dieser Kühe, die nichts entscheiden können, stillstehen und mit Antibiotika ruhiggestellt werden.

Beim dritten Kind habe ich das natürlich anders gemacht: Die Klinik, die ich ausgesucht hatte, hat mir ganz toll geholfen und ich hatte eine super Hebamme gefunden, die zu Hause vorbeikam und mir gratulierte, da ich alles im Griff hatte. Ein Jahr lang habe ich gestillt, ohne einmal abzupumpen, alles vom Zwerg geregelt, Angebot und Nachfrage. 

 Wann bist Du nach Deiner Babypause wieder eingestiegen? Oder gibt es keine Babypause in Frankreich? 

Ich hatte mir nach den Zwillingen erstmal drei Jahre Erziehungsurlaub von meinem deutschen Arbeitgeber genommen. Danach hatte ich entschieden, in Frankreich zu bleiben. Und mit der Berliner PR- Agentur Silk Relations eine Zusammenarbeit  in Paris aufgebaut, die perfekt zu uns passt. In Frankreich stehen Müttern mit dem ersten Kind sechs Wochen Erziehungsurlaub zu. Das reicht auch den meisten Müttern hier. Ich habe viele Mamas kennengelernt, die wie sie sagten „gottfroh“ waren, aus dem Babyalltag rauszukommen, um sich wieder sich selbst zu widmen . 

Wie gestalten Pariser Mütter ihren Alltag mit Job & Kind? 

 Pariser Mütter stehen unter permanentem Druck und sind wahre Künstlerinnen im Organisieren. Ich bewundere sie manchmal und bemitleide sie aber auch. Ist das in Deutschland nicht genauso? 

Es gibt in Frankreich keine Psychologen, die predigen, dass ein Baby oder ein Säugling seine Mutter bräuchte. Ein Baby braucht Versorgung, von wem, das ist hier zweitrangig. Es wird Müttern in den Crèches (Krippen) auch geraten, ihr Kind noch vor dem 7. Monat abzugeben, dann klappt die „Adaptation“ („die Eingewöhnung“) besser und das Geschrei ist nicht so groß. Neulich auf dem Spielplatz sah ich eine Mutter und ihre zukünftige Nounou bereits bei der Adaptation zu, der Säugling war ca. 4 Wochen alt, das hat mir fast das Herz zerissen. 

Was hat Dich mehr verändert Frankreich oder das Mutter werden? 

 Das werde ich leider nie beantworten können, da ich nie in D Mutter geworden bin. Aber Frankreich und Deutschland stehen ganz weit auseinander.  Frankreich ist mit Irland (katholisch bedingt) das geburtenreichste Land Europas und Deutschland bildet das Schlusslicht. Ich bin studierte Familiensoziologin. Die Unterschiede könnten nicht größer sein in beiden Ländern. Aber mich hat mein neues Leben hier sehr verändert. Ich glaube, ich bin erwachsen geworden, Mutter geworden- ganz einfach. Und ich bin stolz darauf, meine Kinder ohne fremde Hilfe großzuziehen. 

 Welche Unterstützung würdest Du Dir speziell von der französischen Regierung wünschen? 

Da gibt es sicher ganz viel, vor allem bei der Geburt des ersten Kindes könnte die Familienpolitik den Eltern mehr Freiraum bzw. den Eltern mehr Zeit geben. Ich bin nicht innerhalb von drei Monaten zur Mutter mutiert und ich kenne ganz viele Frauen hier in Paris, die sich sehr viel Stress machen wegen des Stillens und des Jobs. Auf der anderen Seite habe ich manchmal den Eindruck, dass gerade darin der Schlüssel zum Kinderkriegen liegt: Die Mütter wollen gerne noch mal „Mama sein“ und dass tun sie halt nur, wenn sie schwanger sind und entbinden. Alltag mit Kindern und Babys ist nur etwas für Frauen, die keine Ausbildung haben. Nur Hausfrau zu sein, ist in Paris nicht chic. Selbst meine Coiffeuse schaute mich damals komisch an und meinte, wie könnte ich nur mit Zwillingen zu Hause bleiben und den ganzen Tag Krümel vom Boden wischen.

In Paris gibt es vor allem unter berufstätigen und gut situierten Müttern meist drei bis vier Kinder im Haus. Die werden ab dem 2. Monat von Nounous betreut. Viele Babys werden auch erst um 18.30 in den Krippen abgeholt und dass dann oft auch noch vom Kindermädchen. Das ist hier normaler Alltag. Um 19 Uhr ist der Monoprix voll von Müttern oder Vätern, die noch schnell mit dem Kinderwagen um die Regale ziehen. Da hatte ich meine Zwillinge schon ins Bett gekuschelt.

Ich kenne auch Mütter mit drei oder vier Kindern, die nach jeder Geburt nach 2-3 Monaten wieder Vollzeit arbeiten gehen wollten. Sie ertragen den Alltag schlicht und einfach nicht und sind erlöst, da rauszukommen.  

Du bist mehrmals im Jahr in Deutschland, glaubst Du, dass Dir Frankreich das Familienleben erleichtert oder stellst Du es Dir in Deutschland einfacher vor? 

 Frankreich erleichtert das Familienleben schon. Die Einrichtungen hier, staatlich oder privat sind bestens organisiert. Aber auch die gesellschaftlichen Werte und Normen machen das Kinderkriegen hier einfacher. Der Blick anderer Mütter straft hier nicht. Das stelle ich mir in Deutschland ganz schlimm vor. Wenn z. Bsp. eine meiner Freundinnen, die Krankenschwester und alleinerziehende Mutter von drei Kindern ist, ihr vierjähriges Kind mit doppelter Ohrenentzündung unter Antibiotika von 8-17 Uhr in die Schule steckt. Sie leidet wie ihr Kind, hat aber keine Wahl, da muss ich als Mutter nicht auch noch einen Kommentar abgeben. In Deutschland kann ich mir gut vorstellen, dass das ein No Go ist. Das Wort Rabenmutter gibt es nicht im Französischen und die perfekte Mutter auch nicht.

Wie war es nach den Zwillingen 6 Jahre später noch einmal Mutter zu werden? 

 Fantastisch!! Das dritte Kind ein Jahr lang zu stillen, die Zwillinge mal loszulassen. Es hat mich mit Schuldgefühlen und versäumten Momenten, die ich mit den Zwillingen nicht geschafft habe, versöhnt. Die Zwillinge haben mich zur Mutter gemacht, der Dritte kann sich bei den Großen bedanken.

 Was hast Du anders gemacht? 

 Ich bin ruhiger und selbstbewusster. Und ich vertraue meinem Instinkt.

 Und was würdest Du heute anders machen?

Ruhiger und gelassener sein.

Fallen Dir mehr Vor- oder mehr Nachteile für eine Großfamilie ein?

Vorteil: die Liebe und das Chaos sind einzigartig. Es ist laut und bunt und so mag ich das Leben.

Nachteil: die tollen Apéros in Paris sind für mich rar, da ich um diese Zeit nicht in den Bistros bin.

Was sind die größten Herausforderungen mit mehreren Kindern?

 Das Managen von unterschiedlichen Interessen, Wünschen und Bedürfnissen, allen gerecht zu werden und selbst auch nicht zu kurz zu kommen. Meine Kontrollsucht in den Griff zu bekommen und loszulassen. Und Zeit für mich und meinen Mann zu finden.

Wie schaffst Du Dir Auszeiten für Dich? Für deine Partnerschaft?

 Ich schaue in den Kalender und schicke meinem Mann Termine für Rendez-Vous zu, dann wird ein Babysitter organisiert, Freunde oder Familie und schwupp geht’s los.

Inwiefern unterstützt Dich der Daddy oder die Familie?

 Daddy macht ganz viel mit. Früher war das Windeln wechseln, heute stehen Erziehung und Hausaufgaben auf dem Programm. Wenn ein Kind nachts mit schlechten Träumen wach wird, rufen sie immer nach Papa. Aber die Familienunterstützung war hier eher spärlich. Man hat mich an eine Nounou verwiesen. Die Kids wurden immer nur gebadet und satt von der Familie gehütet und dann nur für ganz kurze Zeit. Das war früher unverständlich für mich. Heute glaube ich, dass sie sich nicht mehr um die Kleinen gekümmert haben, weil sie gar nicht wissen, wie das geht, sie haben es ja selbst auch nicht getan.

Was ist für dich das schönste am Mummy-sein?

 „JE T’AIME MAMAN DE TOUT MON COEUR“ aus einem Kindermund zu hören.

Und ganz ehrlich, was treibt dich in den Wahnsinn?

 Kids, die sich streiten und keine Ahnung zu haben, was ich kochen soll bzw. Kinder, die das servierte Bio-Mahl verschmähen. 

Wie wichtig ist Dir beruflicher Erfolg? Bist Du eine klassische Working-Mummy? 

 Was ist eine klassische Working Mummy? Im franz. Sinne, bin ich das nicht. Aber ich habe schon mal schlaflose Nächte, wenn ich an meine „Karriere“ denke.  

Hat die Anzahl deiner Kinder mit Deiner Selbstständigkeit zu tun? 

Vielleicht, ich vierteile mich jeden Tag aufs Neue.

 

Liebe Melina, vielen Dank für Deine tollen und ehrlichen Antworten. Wir wünschen Dir alles Gute!

Saskia Hilgenberg hat mit ihren drei kleinen Orgelpfeifen die volle Ladung Jungspower zu Hause und weiß, was es heißt, auch mal an seine Grenzen zu stoßen. Sie trägt es mit Fassung und vor allem viel Liebe, denn die häusliche Si­sy­phus­ar­beit hat sowieso kein Ende. Doch auch wenn die Geburten ihrer drei Söhne ihr Leben auf den Kopf gestellt haben, blieb sie ihrer Leidenschaft für Fashion treu und lässt das Familienleben eher anekdotisch in ihren Beiträgen durchblitzen. Die Mitbegründerin des Mummy Mag arbeitet seit vielen Jahren frei als persönliche Stylistin, Fashionberaterin und Redakteurin. Muttersein ist für Saskia von jeher ein positiv besetztes Bild und das möchte sie auch mit dem Mummy Mag transportieren, um den Frauen in Deutschland Mut bei der inzwischen viel zu häufig gestellten Kinderfrage zu machen.

3 Comments

  • Regina Resch

    Hallo,
    auch diesmal wieder ein inhaltlich sehr gelungener Artikel! Ich würde mir nur wünschen, dass ihr mehr auf die Orthographie achtet und vor allem Abkürzungen im Fließtext vermeidet, da diese den Lesefluss erheblich stören.
    Ansonsten: weiter so!

  • betsi

    Da schließe ich mich der Vorkommentatorin an.

    Das Interview beleuchtet sehr schön die unterschiedlichen Sichtweisen. Ich finde es wirklich spannend, dass die meisten französischen Frauen ein ganz anderes Selbstverständnis zu ihrem Muttersein haben.

POST COMMENT

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert