Als vor einigen Tagen ein Interview mit unserer ehemaligen Familienministerin Kristina Schröder in der ZEIT erschien und es darin u.a. auch um das Thema Vereinbarkeit von Karriere und Kindern sowie deren Grenzen ging, schlugen einem als Leser nicht nur Kommentare voller Häme entgegen, sondern auch eine Vielzahl von Postings voll Mitgefühl und Beileid.

Häme deswegen, weil Frau Schröder vermeintlich keinen Grund „zu jammern“ hätte, darüber dass Kinder und Karriere nur sehr hart im Bundestag zu vereinbaren waren, wo sie in den Augen ihrer Spötter doch am Hebel potenzieller Umwälzungen saß und die Chance, bessere Bedingungen für Mütter im Berufsalltag den Weg zu ebnen, vertan hat. Etwas wollen oder etwas können sind nun aber schon immer zwei verschiedene Paar Schuhe. So gab es eben auch eine Vielzahl Verständnis-zeigender Kommentare, die befürworteten, dass Frau Schröder wenigstens jetzt „Klartext redete“ und zum Beispiel bzgl ihres Spagats als berufstätige Mutter, mit dem Stress und dem Druck erklärt „… wenn ich in einem größeren Kreis darüber gesprochen hätte, wäre mir das schnell als Schwäche ausgelegt worden. Das funktioniert in der Politik und den Medien einfach nicht.“

Aktive Politikerinnen oder Abgeordnete des Bundestages sind aber nicht die einzige Berufsgruppe, in der ein Kind scheinbar „noch keinen Platz“ neben der Arbeit hat. Trotz des ungebrochenen Hypes, all der fortschrittlichen und hippen Leistungsangebote für Arbeitnehmer in StartUps, treffen die Frauen, die StartUps gründen, eher auf Ablehnung und Unverständnis wenn sie verkünden „Ich bekomme ein Baby!“. Das klingt ziemlich paradox, wo StartUps derzeit den Takt angeben, wenn es um zukünftige Arbeitszeitmodelle, um Teamarbeit, um Homeoffice-Infrastruktur oder die Verteilung von Verantwortung geht. Wir haben Nadia Boegli getroffen, eine der drei Mitbegründerinnen des Startups tbd*, einer digitalen Plattform um einen Job zu finden, Workshops oder Kurse zu entdecken, Finanzierungsmöglichkeiten zu finden, Best Practices auszutauschen oder von anderen etwas bzgl. ihrer Karrieren lernen zu können, rund um die Bereiche Social Startups und NGOs. Nadia hat im letzten Herbst ihr erstes Kind zur Welt gebracht und uns erzählt, wie ihr Umfeld darauf reagiert hat.

Liebe Nadia, erzähl uns mal etwas mehr von deinem Unternehmen, was tut ihr, für wen und mit wie großem Team?

tbd* ist eine Karriereplattform und steht aus dem Englischen übersetzt für „To Be Determined“. Das bedeutet, dass etwas noch nicht festgelegt ist. So sehen wir unsere Welt und unsere Zukunft aktuell. Vieles offen, vieles unsicher, vieles beängstigend. Es kann aber auch wörtlich als “wild entschlossen sein” übersetzt werden. Und wilde Entschlossenheit ist genau die Errungenschaft, die wir benötigen, um diese Unsicherheit zu bewältigen. Gemeinsam und mit viel Mut. Und dafür stehen wir. Dafür steht tbd*. 2014 haben wir tbd* zu dritt gegründet und sind seitdem auf ein Team um sieben Personen angewachsen. Wir, das sind Naomi Ryland, Nicole Winchell und ich und wir haben uns beim gemeinsamen Studium an der Alice Salomon Hochschule in Berlin kennengelernt, uns befreundet, zusammen gewohnt und dann miteinander gegründet. Als Gründerin hat man natürlich immer viele Zuständigkeitsbereiche, ich fokussiere mich vor allem auf die PR und das Redaktionelle bei uns.

Als eine von 3 Gründerinnen und Geschäftsführerinnen, wann hast du deine beiden Partnerinnen in deine Schwangerschaft eingeweiht?

Wir drei sind nicht nur Geschäftspartnerinnen, sondern in erster Linie Freundinnen und somit wussten Nicole und Naomi, dass mein Mann und ich eine Familie gründen wollten. Dass es so schnell klappen würde, hat uns alle überrascht, aber wir haben uns natürlich sehr gefreut. Ich habe Nicole und Naomi eingeweiht sobald die Schwangerschaft sicher war. Unsere Business Angels haben wir dann eingeweiht, als wir bereits alle Vorkehrungen getroffen hatte und ihnen somit zeigen konnten, dass wir das als ganzen Team stemmen können.

Wie schnell wusstest du, dass du ein Jahr Elternzeit nehmen wirst? Und wann hast du es den anderen gesagt?

Aufgrund meiner Vorgeschichte, mit einer unfreiwilligen gesundheitlichen Auszeit, war für uns klar, dass ich ein Jahr Elternzeit nehmen möchte. Naomi und Nicole haben mich dabei vollends unterstützt und wir haben das Team eingeweiht, als wir Ersatz für mich suchten und eingearbeitet haben. Zu dem Zeitpunkt hatte ich auch begonnen Freunden oder Partnern anderer Startups davon zu erzählen und deren Feedback war teils ziemlich verstörend. Ich sah mich mit Aussagen konfrontiert wie “Deine Firma ist doch auch dein Baby, wie kannst du die nur im Stich lassen?” und so verlor ich erstmal den Mut von meinen Plänen zu erzählen, es sei denn, es war zwingend notwendig.

Warum hast du dich – scheinbar entgegen dem Verhalten anderer Gründerinnen – für das eine Jahr Elternzeit entschieden?

Ich wollte meine Leben lang Mutter werden und somit war für mich im Herzen immer klar, dass ich meiner Tochter genauso viel Aufmerksamkeit und Zeit (wenn nicht mehr) schenken möchte, als meinem Unternehmen. Diese Zeit ist so besonders und es gibt aus meiner Sicht nichts wichtigeres, als für sein Kind da zu sein. Und natürlich ist eine Firma auch wie “ein Baby”, aber bei uns ist die Verantwortung nun mal auf 3 Personen verteilt und ich habe das große Glück, dass Naomi und Nicole auch ohne mich die richtigen Entscheidungen treffen werden, für die Zeit in der ich nicht da bin. Wäre eine von ihnen beiden in meiner Situation, würde ich ihnen diese Auszeit auch ermöglichen und sie unterstützen.  

Wie habt ihr euch dann auf das Jahr Auszeit vorbereitet? Wer übernimmt deine Aufgaben? Kompensiert das dein Team? Oder hast du eine Elternzeitvertretung?

Wir haben mit der bestätigten Schwangerschaft gemeinsam eine Mitarbeiterin eingestellt, die nun meine administrativen Aufgaben und die Buchhaltung übernommen hat. Ich hatte dann die Möglichkeit sie bis zum Mutterschutz fortlaufend einzuarbeiten. Parallel dazu habe ich Pläne gemacht und Strukturen geschaffen, in denen alle anderen Mitarbeiter sich zurecht finden und nachlesen können, wo sie etwas finden oder wie sie Aufgaben angehen sollen. Sowas gab es bis dato noch nicht verschriftlicht, sondern ich war immer direkte Anlaufstelle. Außerdem haben wir drei uns darum gekümmert mehr Content Partnerschaften aufzubauen und ich habe dafür Übergaben geschrieben.   Die Aufgaben in der Geschäftsführung haben Naomi und Nicole übernommen. Bei wichtigen Fragestellungen binden mich die beiden ein.

Wann und mit welchem Stundenmodell steigst du wieder ein?

Der Plan ist nach einem Jahr wieder einzusteigen. Wir haben bereits eine Tagesmutter organisiert und schauen uns weiterhin noch nach Kitas um. Mit wievielen Stunden ich anfangen werde ist noch nicht ganz klar, das kommt auch ein bisschen darauf an wie gut es mit der Betreuung klappen wird. Sowohl für die Kleine, als auch für uns.

Hand aufs Herz: liest du gar keine Mails? Oder dürfen sich die Kollegen schon mal anrufen?

Operative Emails lese ich tatsächlich nicht. Dafür treffe ich mich einmal pro Woche mit Naomi & Nicole zum Frühstück und wir besprechen uns als Freundinnen, aber auch über Themen die Firma betreffend. Zu Beginn, während der Zeit des Wochenbetts, haben wir darauf noch verzichtet, aber jetzt machen wir das wieder regelmäßig und es ist eine alte Tradition zwischen uns.

Wie machst du das mit dem Elterngeld? Beziehst du es regulär weil du Angestellte bist oder lebst du von Rücklagen?

Ja genau, ich erhalte Elterngeld. Da wir drei Geschäftsführerinnen sind und somit in einem abhängigen Angestelltenverhältnis sind, kann ich Elterngeld beziehen. 

Welchen Ratschlag würdest du anderen Frauen geben, die sich unsicher sind, ob bzw wie lange sie Elternzeit nehmen sollten?

Jede oder Jeder muss diese Frage für sich selber beantworten und manchmal kann man das auch erst, wenn das Baby da ist. Wenn man sich entschieden hat, sollte man allerdings dazu stehen. Wir nehmen “klassisch” ein Jahr Mütter-Elternzeit und mein Mann nimmt 2 weitere Monate Vater-Elternzeit.

Als sich unser Treffen dem Ende neigt und wir merken, wie schnell die zwei Stunden regen Austauschs miteinander vergangen sind, möchten wir nochmal wissen, was Nadia dank ihrer Erfahrungen anderen Frauen bzw. Eltern mitgeben möchte, die in einer ähnlichen Situation sind. Und Nadia fasst es so zusammen

“Manche unerwartete Reaktionen von außen haben mich zunächst still werden lassen. Ich hatte Angst plötzlich komisch angeschaut zu werden und verurteilt zu werden, dass ich meine Firma “im Stich lasse”. Aber das stimmt nicht, ich lasse niemandem im Stich und mir ist wichtig 100% zu geben – erst bei meiner Firma und jetzt bei meinem Baby. Ich möchte mich dafür nicht rechtfertigen müssen und ich bin der Meinung, man sollte auf sich selber vertrauen, so können auch andere auf einen vertrauen.”

Dem schließen wir uns vollends an, zu 100%
Dankeschön Nadia, für deine Zeit und die offenen Worte. Auf ganz bald wieder.