Stress unter Palmen – vom Verreisen mit Kindern

Neben Bodys, T-Shirts, Leggings und Windeln werden wir in Zukunft auch Schmutzradierer, Sekundenkleber, ein Nähset und eine Tube Alpinaweiß SOS auf unsere Packliste für den Urlaub schreiben – mindestens. Denn nach Ende unserer dreiwöchigen Familienzeit auf Sizilien ist kaum ein Raum oder Gegenstand in unserem Ferienapartment von unseren panischen Reperaturversuchen verschont geblieben.

Kein Tag, an dem unsere fast dreijährige Tochter nicht irgendetwas zerstörte oder bemalte. Die zahlreichen ebenso filigranen wie nutzlosen Dekoartikel wanderten direkt nach der Ankunft ins oberste Fach des Kleiderschranks. So viel hatte uns die Erfahrung bereits gelehrt. Und dennoch: Drei Wochen lang klebten wir zerbrochene Wäscheklammerkörbchen, reinigten bemalte Arbeitsplatten und schrubbten befleckte Wände. Immer die 300 Euro Kaution und unseren guten Ruf im Hinterkopf. Wir wollten beides nicht verlieren. Nicht selten habe ich mir während unseres Italienurlaubs gewünscht, auch Meinungsverschiedenheiten, blank liegende Nerven, Stress und Schlafmangel überpinseln oder kleben zu können. Denn es war eine Prüfung und oft habe ich an die Worte gedacht, die sich Menschen mit Kindern hinter vorgehaltener Hand zuflüstern: „Urlaub mit Kindern ist Alltag unter Palmen“. Auch unserer Tochter war es herzlich egal, dass wir in diese Tage, die auch unser erster Urlaub zu viert waren, einiges an Planung, Geld und Nerven gesteckt hatten. Für sie war weiterhin alles beim Alten, nur woanders.

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Wenig überraschend interessierte sich Polly also nicht plötzlich für ausgedehnte, ruhige Morgenstunden con caffè und einem cornetti pistacchio. Unsere Tochter wollte Action. Jede Minute, die wir morgens zu lange trödelten und das Apartment zu spät Richtung Spielplatz oder Strand verließen, bekamen wir den restlichen Tag schmerzlich zu spüren. Emotionsausbrüche waren an der Tagesordnung. Nicht ausgelastete Kinder kommen auf die schrecklichsten Ideen und oftmals hatte mein Stresspegel schon um elf Uhr mehrmals in den roten Bereich ausgeschlagen und meine Ohren piepten. Vor allem ich hatte ja auch noch ein kleines Baby zu betreuen, das ich acht Wochen zuvor auf die Welt gebracht hatte. Es gab Momente, da haben wir vier einfach durcheinandergeschrien. Polly aus Überforderung und Frust, Julian, weil er zu Polly durchdringen wollte, ich, weil ich zu Julian durchdringen wollte und Etti vermutlich, weil alle schrien. Es war absurd.

Bloß nicht zuzu Stiftung-Warentest-Eltern werden

Immerhin, wir hatten aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und waren mittlerweile, so dachten wir bis Sizilien wenigstens, zu erfahrenen Urlaubseltern gereift. Zwei Zimmer und eine abgetrennte Küche waren Pflicht bei der Auswahl der Unterkunft. Ebenfalls fußläufig erreichbare Ortschaften und Spielplätze. Außerdem ausreichend abwechslungsreiche Spiele, Bücher, Stickeralben und so weiter. Statt auf eine prall gefüllte Hausapotheke, achte ich inzwischen mehr darauf, auch ja alle Tonies eingepackt zu haben. Die gibt es nämlich nicht in der Apotheke am Strand und sie lindern im Zweifel mehr Leiden als ein Zäpfchen, lasst euch das gesagt sein. Jede Unternehmung wird außerdem vorab auf den kindlichen Unterhaltungsfaktor geprüft. Falls dieser nicht ausreichend vorhanden ist, muss ein Buy-out in Form von ungehörigen Mengen Eiscreme oder Spielzeug egal welcher Art möglich sein.

Urlaub Sizilien

Doch auch die beste Vorbereitung und Lebenserfahrung kommt da an ihre Grenzen, wo gänzlich unbekanntes Terrain betreten wird. Polly, unsere ältere Tochter, hatte nicht nur den Ortswechsel zu verdauen, sondern auch die Geburt ihrer kleinen Schwester und einen Kitawechsel. Es war alles leider unglücklich zusammengefallen und ich denke rückblickend, dass wir den Urlaub besser auf einen späteren Zeitpunkt verschoben hätten. Denn so sehr ich hier auch versuche, diesen fordernden drei Wochen mit einer Portion Humor zu begegnen, so bewusst bin ich mir auch darüber, dass wir uns diese Grube selbst gegraben haben. Das zweite Baby ist eine neue Herausforderung, auch wenn man Hürden und Stolperfallen im Groben schon kennt. Schließlich ist kein Baby wie das andere. Auch unsere neue Dynamik zu viert und allerlei andere Lebensumstände haben wir nicht in unserer Kalkulation berücksichtigt. Achtung, Erkenntnis: Sollte man nicht sogar mit extravaganten Urlaubszielen warten, bis die Kinder diese Erlebnisse selbst wirklich erfahren und wertschätzen und etwas von den Reisen mitnehmen können? Ja und nein, denn gleichzeitig geht es auch für uns darum, Erinnerungen zu machen und auch darum, sich mit Kindern etwas zu trauen. Wir wollten nie Eltern werden, die alles schon vorab geistig weichkochen und nur noch mit der neuen Ausgabe der Stiftung Warentest unter dem Arm in einen TÜV-geprüften Urlaub düsen. Vielleicht auch aus Trotz wollen wir uns diesen Rest Chuzpe und Spontaneität erhalten, den wir mit nun zwei kleinen Kindern noch handeln können. Wo gehobelt wird, fallen eben Späne.

Deutsche Vita vs.vs. Dolce Vita

Den Trickledown-Effekt dieser Spontaneität mussten wir im Urlaub ironischerweise aber selbst wieder lernen zuzulassen. Denn eines haben wir im Laufe unseres Elterndaseins verinnerlicht: Routinen sind ein Muss! Unser Alltag in Berlin ist ziemlich durchgetaktet, was uns allen das Leben sehr erleichtert. Mit viel Dolce Vita und angefeuert durch die warme Mittelmeersonne haben wir es aber tatsächlich zugelassen, unsere Bettgehzeiten, Essensroutinen und Gewohnheiten aufzuweichen und dem italienischen Lebensstil anzupassen. Flapsig könnte man sagen, wir haben gelernt, uns wieder ein stückweit locker zu machen. Und so konnte ich auch unzählige unvergessliche Momente sammeln, an die ich mich immer erinnern werde und die unsere erste Reise zu viert wunderschön gemacht haben. Die milden Abende mit Aperol und Crodino auf Eis am späten Abend, während Polly mit großen Augen den Mond und die Sterne am Himmel beschreibt. Tanzen auf der Promenade am Feiertag San Guiseppe und lange Wachbleiben für das große Feuerwerk zum Schluss. Zusehen, wie genüsslich Polly täglich ihr viel zu großes gelato verputzt, von dem die Hälfte in ihrem Gesicht und auf ihrer Kleidung landet. Oder wie Polly für sich und Mama Wutz eine Höhle aus dem frisch gewaschenen weißen Bettlaken auf der Terrasse baut. Wie Julian gemeinsam mit Polly und Etti schaukelt, bis ihm schlecht ist. Die fünf Erdbeerkörbchen, die wir auf jedem Wochenmarkt in Sekundenschnelle zusammen verputzt haben und wie Etti jeden Vormittag genüsslich verschlafen hat, während wir zu dritt am Strand gebuddelt und Sandeis gegessen haben.

Diese Momente haben die schlaflosen Nächte, das Bangen um unsere Kaution und die zahlreichen Diskussionen vor jeder noch so kurzen Autofahrt wettgemacht. Sizilien war es als Reiseziel schon deswegen wert gewesen, weil wir es so geschafft haben, den grauen Berliner Winter ein wenig zu verkürzen. Wäre Etti ein Sommerbaby gewesen, wäre ich aber sicherlich auch eine Zugreise von Berlin entfernt und ohne Meer glücklich geworden. Denn am Ende geht es auch darum, den Alltag hinter sich lassen zu können. Denn ich finde, so ganz richtig ist das geflügelte Wort nicht. Urlaub mit Kindern ist kein Alltag unter Palmen. Es ist ein Privileg. Und das sollten wir nicht vergessen.

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