Bin ich schön?
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Spieglein, Spieglein an der Wand…. Bin ich eigentlich schön? Könnte ich die Frage, mit einem klaren ja beantworten, dann wäre meine Welt perfekt, ich wäre glücklich und erfolgreich und niemals krank. Nee, ja, schon klar…
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Der Kopf brummt, der Hals kratzt, die Wangen leuchten fiebrig rot, die Haare sind ungekämmt und strähnig – ich liege krank auf dem Sofa in meiner alten grünen Fleece-Hose und bemitleide mich. Die berufstätige Mutter achtet auf ihre #Selfcare, damit ihr so etwas wie eine Erkältung gar nicht erst passiert. Blöder Fehler. Falls es sie doch einmal erwischt, so wie mich gerade, dann braucht sie für ihr eigenes Wohlbefinden wenigstens ein schönes Foto: mit Kuschelstrick auf dem Sofa, eine dampfende handgetöpferte Tasse mit selbstangebautem Kräutertee in den Händen, nur ein Hauch Puder auf den geröteten Wangen zusammen mit dem Hinweis heute mal ungeschminkt zu sein oder das Bild gleich in Schwarz-weiß. Das tut gut, oder? Ich habe es ausprobiert. Einige Likes und einen Kommentar „Gute Besserung, du siehst immer gut aus.“ später geht es mit auch nicht viel besser. Stattdessen denke ich nun über die Schönheit der Frau nach. Genau genommen, denke ich über meine Schönheit nach.
Schönheit ist ein erstrebenswertes Ziel! Habe ich gehört und kann ich jeden Tag überall sehen, in der Werbung, bei Instagram, im Fernsehen. Ja, ich kann meine Schönheit steigern, indem ich etwas dafür tue. Denn das ist nötig. Ich halte mein Gewicht nicht automatisch, bekomme erste Falten am Hals. Die Haare sind schon lange eigentlich grau, die Zähne schief und von meinem post-schwangeren Schwabbelbauch will ich gar nicht anfangen. Hand auf‘s Herz: wir haben es alle nötig. Du auch, denn wer ist schon wirklich perfekt schön? Das ist eine rhetorische Frage, die nicht beantwortet werden soll!
Als Mutter zweier wunderbarer Jungs habe ich natürlich eine wirklich gute Ausrede für gerissene Bindehaut an Bauch und Oberschenkel. Mit meinen Brüsten habe ich immerhin viele Monate gestillt. Da sieht das eben nicht mehr so schön straff aus, wie früher. Und früher da war das alles, wirklich alles, noch sehr straff, zumindest in meiner Erinnerung. Es gibt allerdings gar keine Bilder davon. Komisch.
Wenn ich so darüber nachdenke, dann bin ich wirklich stolz auf meinen Körper. Da hat er schon was Großes geleistet. Mir gefallen diese Bilder auf Instagram, auf denen Frauen ihre schwabbeligen, faltigen Bäuche zeigen, aus denen süße Babys geschlüpft sind. Die Babys sind auch meist mit auf dem Bild und die Botschaft ist echt toll: Mama sein macht schön, selbstbewusst und stolz. Nicht trotz des Bauches, sondern gerade deswegen, denn dieses süße kleine Baby hat mein Körper ausgetragen. Wow. Wer interessiert sich da noch für so Oberflächlichkeiten wie Aussehen und Außenwirkung. Mal abgesehen davon, dass junge Mütter einfach gar keine Zeit mehr haben für ausgedehnte Shopping-Touren, Frisör- und Kosmetik-Besuche. Ich habe meinen Großen gefragt, ob er nicht auch so ein Bild mit mir und meinem Bauch machen möchte. Er hat abgelehnt, das sei ekelig und peinlich.
Ja, das ist die schönheitsverwöhnte Sicht eines Jugendlichen, es sei ihm gegönnt. Und ich muss neidvoll eingestehen: Schönheit ist Jugend! Vor Kurzem war ich beim Frühlingsball der Tanzschule, in der mein Großer einen Tanzkurs absolviert hat. Der Saal war voll jugendlicher Schönheit. Junge Männer in dunklen Anzügen und weißen Hemden, die Haare (sie hatten alle! dichtes volles Haar) ordentlich gekämmt. Junge Frauen in bezaubernden Abendkleidern mit Dekolletés, ganz ohne Schummel-BH, mit langen glänzenden Haaren oder raffinierten Hochsteckfrisuren, mit rosigen Wangen, dezentem Make-up (ich habe keine einzige mit aufgeklebten Wimpern gesehen), zarte Taillen oder schönen frauliche Figuren, ganz straff alles. Das ist es, wonach die Erwachsenen sich angeblich sehnen, was die Kosmetikindustrie uns verspricht und die plastische Chirurgie manchmal ermöglicht – für die, die Kosten, Schmerzen und Risiken aufzunehmen bereit ist.
Aber nicht nur das Aussehen macht schön. Diese Jungs und Mädels sahen toll aus, aber sie waren eben auch 15 Jahre alt, unsicher, albern, überdreht, emotional labil – alles war schrecklich oder peinlich oder ein ganz großes Drama. Für nichts auf der Welt wollte ich mit ihnen tauschen, für kein Traumdekolleté, kein faltenfreies Lächeln oder straffen Bauch meine Souveränität und Selbstsicherheit, meine Erfahrung, meine Gelassenheit und meine hart erarbeitete Selbstliebe aufgeben.
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Schönheit ist eigentlich viel eher eine Einstellungssache. „Schönheit kommt von innen“, sagt man ja so, denn wie ich mich fühle, welche Energie in mir steckt, wer mich liebt und überhaupt, ob die Sonne scheint – all das beeinflusst mich in meinem Schönheitsempfinden. Das ist so tagesformabhängig. Es ist auch abhängig von den Klamotten, die ich trage – sind die angesagt, schmeicheln die meiner Figur oder hängen tolle Erinnerungen daran? Es ist auch abhängig von der Seite, von der ich fotografiert werde, und davon, welchen Filter ich benutze. Manchmal ist es auch von der Zahl auf der Waage abhängig: da fühlt man sich gleich viel schöner, wenn ein einziges Kilo runter ist – obwohl man rational betrachtet, keinen Unterschied sehen kann. Und nach einem Friseurbesuch habe ich mich bislang auch immer ein bisschen schöner gefühlt als vorher, allein schon, weil es mich Geld gekostet hat, aber auch, weil das Verbessern des eigenen Aussehens in den Mittelpunkt gerückt wird, steht es doch sonst oft hinten an.
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An manchen Wochenenden, wenn ich mich in die Gartenarbeit stürze, ist es mir völlig egal, wie ich aussehe. Dann stellt sich mir die Frage nach meiner Schönheit eigentlich gar nicht. Da bin ich einfach – im Einklang mit der Natur. Wenn ich mit dem Hund auf dem Feld spazieren gehe, ist mir das Aussehen auch total egal: Klamotten müssen praktisch sein und dürfen dreckig werden und die Haare sind irgendwie gebändigt. Eine Zeitlang hat mich eine Nachbarin immer dann getroffen, wenn ich gerade mit dem Hund nach Hause kam (vom Wind zerzaust und schmutzig), und mir einmal einen echt krassen Satz an den Kopf geknallt. Als ich sie nämlich am Sonntagvormittag getroffen habe, war sie ungeschminkt und in Jogginghose auf dem Weg zum Bäcker. Ich so: „Hi!“ Sie so: „Hallo, heute sehe ich auch mal scheiße aus!“ Ich so: „Äh, ja.“ Und schnell weg … Was hat sie gemeint? Dass ich immer scheiße aussehe? Warum hat sie das überhaupt gesagt? Und sie sah auch gar nicht scheiße aus, sie war einfach nur nicht hergerichtet, sondern normal. Funktioniert so Smalltalk unter Frauen? Da bin ich raus!
Was sagt das aus über Schönheitsideale und Frauen? Ist man krank, gestresst oder ungepflegt, wenn man sich nicht schminkt? Ist man weniger weiblich und weniger schön, wenn man kurze Haare trägt? Hatte ich mal, und die Kommentare waren, na ja, ich würde wie ein Junge aussehen, mit langem Haar sei ich schöner usw. Braucht man für eine Bikinifigur einen flachen Bauch, oder reicht nicht einfach ein Bikini und irgendeine, eben die eigene Figur? Ist man weniger schön, wenn man eine Frau in der Politik oder im Business ist, womöglich noch im Hosenanzug? Schmälern ungezupfte Augenbrauen und abgeblätterter Nagellack unsere Schönheit? Und wenn ja, um wie viele Punkte auf einer Skala von 1 bis 10?
Schönheit liegt im Auge des Betrachters, und wenn ich mich im Spiegel betrachte, bin ich realistisch. Im Vergleich zu einem Model bin ich zu fett und zu klein. Im Vergleich zu einem 16-jährigen Mädchen bin ich zu faltig und trage zu komische Klamotten. Im Vergleich zu einem Mann habe ich zu wenig Haare im Gesicht, im Vergleich zu mancher Frau sind es vielleicht schon zu viele. Im Vergleich zu einer Dame aus dem Barock bin ich definitiv zu dünn, fast abgemagert. Und im Vergleich zu einer 90-jährigen Frau bin ich die blühende Jugend.
Schönheit ist also nicht nur Einstellungssache, sondern hängt auch sehr stark davon ab, neben wem ich stehe, wenn ich fotografiert werde. Da kann man sich doch die ein oder andere Botox-Party sparen, wenn man öfter mal im Seniorenheim Selfies macht. Nein, das ist böse und ironisch, denn tatsächlich habe auch ich mir über Bauch- und Brustkorrektur, Zahnspangen für Erwachsene und permanente Haarentfernung Gedanken gemacht, habe recherchiert und meine finanziellen Möglichkeiten abgewogen. Das Ergebnis: Ich kann mir solche Eingriffe nicht leisten, darum stehe ich vor diesem Dilemma gar nicht. Aber wenn … ich denke lieber nicht weiter darüber nach. Das schadet nur meiner hart erarbeiteten Selbstliebe.
Und so weiche ich auf die Schönheitstricks der Durchschnittsfrau aus: mit Shaping-Unterwäsche und Bauch-Beine-Po-Strumpfhosen (doppelt hält besser), mit Cremes und Concealer sowie mit neuen Kleidern, Schuhen und Taschen versuche ich, den Wow-Effekt zu erreichen, den der ganz normale Körper einer Frau Ende 30 nicht mehr erzielt. Obwohl: Mein Mann findet mich immer dann besonders wow, wenn ich den ganzen Quatsch weglasse und zerzaust, dreckig, aber strahlend vom Sonnenschein und vor Glück aus dem Garten komme. Ich nehme dann meist ein heißes Wannenbad (denn alle Glieder tun mir weh nach meinem Workout-Power-Gardening) und husche anschließend kichernd durch die Wohnung in mein Ankleidezimmer. Wenn einer meiner Jungs mich dann so sieht, dann stößt er ein pubertätsbedingtes „Iihhhh!“ aus. Dann sage ich: „Schau ruhig hin, und gewöhn dich schon mal daran: So sieht eine echte schöne Frau aus.“
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