

Mir graut vor Dunkeldeutschland.
Vielleicht ist die Zeit der etablierten Volksparteien bald wirklich vorbei.
Aber – was, wenn dieser Schock längst vorhersehbar war? Vielleicht sogar unabänderlich?
Der Parteienforscher Prof. Dr. Michael Koß jedenfalls merkte in der Sendung Anne Will nach der Bayernwahl an, der europäische Trend setze sich nun auch in Deutschland fort. Es gehe nicht mehr um Konservative versus Arbeiterpartei, sondern ob man weltoffen sei oder die Grenzen am liebsten dicht machen würde. Seine Analyse würde bedeuten, dass die Parteien am ehesten Stimmen verloren haben, die sich nicht klar genug für oder gegen Zuwanderung positioniert hatten. Die Parteienforscher*innen Liesbet Hooghe & Gary Marks stoßen mit ihrem wissenschaftlichen Artikel „Cleavage theory meets Europe’s crises: Lipset, Rokkan, and the transnational cleavage“ (Journal of European public policy, 2018 VOL. 25, NO. 1, 109–135) ins selbe Horn.
Voters changed, but mainstream parties didn’t.
Frei übersetzt: Die Wähler*innen haben sich verändert, aber die Volksparteien sind nicht hinterher gekommen.
In den Sechziger Jahren war es ganz einfach, sich zu einer Partei zu bekennen. Ich schreibe es jetzt mal sehr verkürzt: war man christlich und ging man jeden Sonntag zur Kirche, dann war man Anhänger*in der CDU oder CSU. War man Gewerkschaftsmitglied oder Teil der deutschen Arbeiterschaft, dann lag es nahe, dass man SPD wählte.
Welche Bedeutung haben Kirchen und Gewerkschaften heute europaweit noch? Hooghe und Marks haben zehn Jahre lang Daten untersucht und dabei festgestellt: der Einfluss und die Mitgliederzahl von Kirchen und Gewerkschaften ist gesunken.
Die soziale Herkunft oder Religionszugehörigkeit sind nicht länger alleinig ausschlaggebend für das was wir wählen. Auch andere frühere Konfliktlinien wie Kapital und Arbeit oder regionale und kulturelle Gegensätze haben an Bedeutung verloren.
Stattdessen haben sich über die Jahre neue Konfliktlinien entwickelt, die aus der Auflösung der nationalen Grenzen zugunsten der europäischen Union, dem weltweiten Handel und der Globalisierung hervorgingen. Die neuen transnationalen Verbindungen brachten Frieden und wirtschaftliche Stabilität.
Aber für viele Menschen brachte die Aufweichung der Grenzen auch Unsicherheit und eine diffuse Angst. Angst vor einem Zusammenbruch der Märkte, davor, dass der gewohnte Wohlstand plötzlich verschwunden sein könnte. Auf der einen Seite die, die sich von starken nationalen Grenzen Sicherheit versprechen. Auf der anderen Seite Menschen wie ich, die sich als Weltbürger*innen verstehen.
Change has come not because mainstream parties have shifted in response to voter preferences, but because voters have turned to parties with distinctive profiles on the new cleavage.
Wie ein gewaltiger Keil trennt dieser Grundsatz die Gesellschaft in zwei Teile.
Totgesagte leben länger.

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