Dieser Artikel ist der zweite Teil meiner Erzählung über das erste Trauerjahr nach dem Tod unserer Tochter Greta. Im ersten Teil gehe ich eher chronologisch vor und beschreibe die ersten Stunden, Tage, Wochen und Monate. Der zweite Teil behandelt eher themenbezogen die Bereiche „Die Partnerschaft“, „Babybäuche und Schwangerschaften“ und das „Umfeld“. Dies ist der zweite Teil.

In meinem letzten Artikel habe ich von unserem Tag mit unserer Tochter Greta erzählt. Der Artikel schrieb sich damals quasi von selbst. Die Worte flossen aus mir raus, ich weinte viel beim Schreiben. Es tat so gut, es endlich alles zu erzählen und der kleinen Maus so viel Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Aber bereits beim Schreiben wusste ich, dass der eigentlich viel wichtigere Artikel der Folgeartikel sein würde. Denn betroffene Eltern oder Freunde von betroffenen Eltern brauchen viel mehr einen Artikel, der ihnen in den schlimmen Momenten sagt „ihr überlebt das“ und „ob ihr es glaubt oder nicht, es wird wieder besser“ oder eben auch „das könnt ihr tun, wenn ihr Freunden helfen wollt“. Betroffene Eltern möchten vermutlich gar nicht meine Leidensgeschichte lesen – sie haben selbst genug erlebt – sondern vielmehr wissen, wie mein erstes Jahr ohne Greta aussah. Was nach der Beerdigung passierte. Was und wie es war, wenn das Leben von allen anderen weiterging und die liebevollen Anrufe und die Aufmerksamkeit nachließ.

Eines vorweg: dieser Artikel fällt mir sehr viel schwerer. Nicht aus Gründen der Trauer. Aber es ist ein schwieriger Grad, denn ich möchte nicht den Anschein erwecken, dass ich allgemeingültige Patentrezepte gegen Trauer hätte. Ich weiß sehr wohl, wie individuell jeder mit seiner Trauer umgeht. Und dass Dinge, die mir geholfen haben, sicherlich nicht für jeden das Richtige sind. Bitte behaltet dies stets im Hinterkopf, wenn ihr das lest. Es geht um meine Erfahrungen und ich hoffe sehr, dass ich damit Mut machen oder einfach Anregungen geben kann, was einem auf dem Weg hilft.

Die Partnerschaft – die wohl härteste Probe für Paare

Nach Gretas Tod war einer der Gedanken, die mir sehr schnell kamen: hoffentlich schaffen es Felix und ich gemeinsam. Sofort gingen mir Sätze durch den Kopf wie „die Hälfte aller Paare trennt sich nach dem Tod eines Kindes“. Wie schon geschrieben, fühlte ich mich Felix so nah wie nie in den ersten Tagen nach Gretas Tod. Wir brauchten wenig Worte, waren uns in allen Entscheidungen sofort einig, weinten und waren sprachlos gemeinsam.

Je weiter die Zeit allerdings voran schritt, desto schwieriger wurde es. Schon einige Tage später wurde deutlich klar, dass Felix wunderbar für David da sein konnte, die Ablenkung ihm gut tat, er viel unternahm, manchmal fast unbeschwert wirkte. Natürlich wirkte er nur so. Ich wusste wie es ihm ging. Und dennoch wurde es schwer. Ich trauerte so anders. Ich war paralysiert, wollte kaum reden, wollte allein im Bett liegen, keine Menschen treffen, konnte mich kaum um David kümmern. Ich war tief in der Trauer und dem Schmerz. Dort war ich bei meiner Tochter, dort wollte ich bleiben. Natürlich fiel es mir schwer zu verstehen, wie Felix „einfach so weitermachen konnte“. Obgleich er das ja nicht tat und ich großes Glück hatte, dass er funktionieren konnte. Aber in solchen Momenten ist das große Problem, dass man so unterschiedlich trauert. Es entzweit ganz langsam, jeder geht seinen Weg, jeder in seiner Trauer. Auch wenn man es weiß, dass es ok sein muss, dass jeder so trauert, wie er es braucht, manchmal wird man wütend.

Ich wollte manchmal, dass Felix auch einfach mal weint, laut schreit, dass er mehr zeigt, wie es ihm geht. Ich wusste, dass das nicht fair ist und darüber streiten zu nichts führt, aber es passierte natürlich trotzdem. In dem, wie ich finde, tollen Buch von Hannah Lothrop habe ich ein Zitat damals gelesen, dass uns sehr gut beschrieb:

Deine Tränen fließen in deinem Herzen, meine fließen über meine Wangen. Deine Wut zeigt sich in deinen Gedanken und Bewegungen, meine galoppiert nach vorne, damit sie alle sehen können. Deine Verzweiflung liegt in deinen matten Augen, meine zeigt sich in Zeile um Zeile, die ich niederschreibe. Du trauerst um deinen Sohn, ich um mein Baby. Wir trauern zu verschiedenen Zeiten. Mit unterschiedlicher Länge, in unterschiedlicher Weise. Aber wir sind trotzdem gleich, trotzdem eins, der Tod unseres Kindes ist uns beiden bewusst.

Pam Burden

Wir haben sehr viel gestritten. Wir haben uns mit Worten verletzt. Zwei Menschen, die so verletzt sind durch das Schicksal, die mit ihren letzten Kräften versuchen, weiterzumachen und zu funktionieren, die geraten wegen Kleinigkeiten aneinander. Ja, es gab Momente, da waren wir auch mit uns beiden verzweifelt. Wir haben es sicherlich nicht Bilderbuch mäßig gemeinsam gemacht. Auch immer noch nicht. Aber wir sind dennoch gemeinsam durch alles gegangen. Wir haben nie wirklich in Zweifel gestellt, ob wir uns trennen. Wir wollten es mit aller Kraft gemeinsam schaffen. Ich bin sehr dankbar, dass wir die Kurve bekommen haben, aber ich kann auch verstehen, wenn es nicht klappt. Gemeinsam zu trauern ist schwer. Menschen sind so verschieden. Und die Wunden so tief, dass Verständnis oft nicht einfach ist. Seid nachsichtig mit euch, mit eurem Partner. Lasst jeden so trauern, wie er es braucht. Nur weil der eine schneller lacht, ausgehen möchte oder arbeiten geht, heißt es nicht, dass sein Herz nicht auch in tausend Stücke gerissen ist. Er braucht nur etwas anderes zum heilen. Oder manchmal muss er erst mal funktionieren dürfen, Kontrolle zurückgewinnen und dann, irgendwann, manchmal auch nach Jahren, kann er die Trauer zulassen.

Schwere Begegnungen – Dicke Bäuche und Babies

Etwas, das die gesamten ersten Monate, und manchmal auch jetzt noch, ganz besonders schwer war, waren Schwangere und kleine Babies. Natürlich, ich war eifersüchtig, hatten doch diese Mamies das, was ich auch hatte haben sollen. Was mir genommen worden war. Es tat schon auf der Straße weh, wenn es komplett fremde Menschen waren. Sie wirkten unbeschwert, meckerten über zu wenig Schlaf und schreiende Babies. Natürlich darf man das alles, ich habe es nach David sicherlich auch getan. In den Ohren von jemandem, der sich nichts sehnlicher wünschen würde, als den Schrei seines Kindes zu hören, klingt es wie blanker Hohn.

Und es tut sehr weh. Man möchte dann oftmals nur schreien, weinen und sagen, dann gib mir dein ach so anstrengendes Kind. Natürlich ist das alles sehr irrational und auch unfair den anderen gegenüber. Aber rational geht in diesen Momenten eben nicht. Und fremde Menschen müssen ja auch keine Rücksicht nehmen. Anders finde ich sieht das wiederum mit Freunden aus. Ich finde, es gibt zahlreiche Gründe, weshalb man Freunden gegenüber empathisch und sensibel sein sollte. Gerade in Bezug auf Schwangerschaften. Es gibt ja nicht nur die, die Kinder verloren haben. Es gibt die, die seit langer Zeit versuchen schwanger zu werden. Diesen Freunden schicke ich doch auch keine freudige Gruppennachricht, dass wir schwanger sind oder unser Baby geboren wurde. Vielleicht bin ich da anders, aber ich war auch schon vor dem Tod von Greta sicherlich sensibler, als leider so manche andere. Man erlebt einiges, vieles ist sicherlich nicht böse gemeint, aber eben sehr unvorsichtig, wenig empathisch und sehr verletzend. Natürlich freust du dich für deine Freunde. Du wünschst keinem auf der Welt, das durchzustehen, was du erlebt hast. Aber natürlich tut es weh. Höllisch sogar.

Ich habe mich lange gefragt, wieso mir manche Schwangerschafts-Offenbarungen mehr weh taten als andere. Meine Therapeutin meinte schließlich, dass es vollends darauf ankäme, wie die Person es mir beigebracht hätte. Wie viel Empathie in der Situation gewesen wäre, wie bewusst die Person mit meiner Situation umgegangen wäre. Und ja, das stimmt. Erzählte mir jemand liebevoll und persönlich davon, dass sie ein Kind bekämen, nahm sich Zeit, stand das Gespräch durch, wohl wissend, dass es mir weh tat, dann war es für mich ok. Der Stich war da, aber es war ok. Mir sagte eine Freundin, man könne nicht erwarten, dass die Leute für diese Situationen den Kopf hätten. Ich muss aber ehrlich sagen, ich finde schon. Nicht jeder Bekannte, aber Freunde schon. Es kostet nicht viel. Nehmt euch kurz Zeit, ruft an oder wenn ihr in der gleichen Stadt wohnt, trefft euch. Es geht doch nur um ein Gespräch, für den Betroffenen aber bedeutet es sehr viel und als Folge geht es ehrlich gesagt auch um eure Freundschaft. Ähnlich verhält es sich mit Neugeborenen. Ich habe Geburtskarten bekommen, die ich nicht öffnen konnte. Ich habe Gruppen Chats bekommen, die mich zerlegt haben. Ich konnte keine Babies sehen. Das ging sicherlich mindestens vier oder mehr Monate so. Dass es so extrem war. Aber selbst danach die Monate, war es hart. Besonders hart sind die Babies, die genau so alt waren, wie Greta gewesen wäre. Ich konnte z.B. nicht zu einem Familientreffen mit, auf das ich sehr gerne gefahren wäre. Ich hatte mich sehr gefreut, aber meine Cousine hatte ein Baby, das quasi so alt war wie Greta. So sehr ich mich für meine Cousine freute – und sie hatte es mir alles sehr toll und empathisch mitgeteilt – ich schaffte es nach einem halben Jahr dennoch nicht sie zu treffen. In solchen Momenten muss man einfach sehr auf sich hören. Nicht darauf, dass evtl. jemand sagt, dass wird schon nicht so schlimm. Es kann nämlich keiner nachvollziehen, der es nicht kennt. Hört auf euch, eure Gefühle. Wenn es nicht geht, dann geht es nicht. Es kostet ja sowieso alles genug Kraft, fordert euch nicht noch mehr. Kommuniziert es und dann hofft darauf, dass die anderen es ok finden. Sie werden es nicht verstehen können, wie sollten sie auch. Aber mit Glück und lieben Menschen wird es ok sein. Jede Entscheidung.

Es dreht sich alles um dein Umfeld – über Abtauchen und Empathie

Und es kommt immer wieder zu dem gleichen Punkt: liebe Menschen. Seien es Freunde, Familie, der Arbeitgeber… Alle diese Menschen können euch nicht wirklich helfen. So hart es ist, da durch muss man allein. Aber ein Umfeld, das einem mit Verständnis und Empathie begegnet, kann vieles erleichtern. Wir fuhren nach einem halben Jahr mit sehr guten Freunden in den Urlaub. Wir wussten, es wird sicherlich auch vor Ort schwere Tage geben, es werden Tränen fließen, es wird gestritten. Aber wir wussten eben auch, dass es für unsere Freunde ok war. Sie kannten uns gut und wir wussten, sie nehmen uns genau so, wie wir eben waren. Der Urlaub war ganz wunderbar, auch mit Trauer und Tränen. Es tat gut, wunderschöne Sonnenuntergänge zu sehen, tolles Licht und es wurde einem bewusst, dass man diese Schönheiten auch wieder zulassen und genießen und nicht wie kurz nach ihrem Tod ausblenden wollte.

Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass ein Todesfall eines Kindes auch für Familie und Freunde sehr hart ist. Zum einen sind sie natürlich ebenso traurig. Sie haben eine Enkelin oder eine Nichte verloren, sie hatten sich gefreut, den Bauch gestreichelt, Pläne mitgeschmiedet. Aber dann, in der akuten Trauer, sind sie irgendwie dazu verdonnert, die Starken zu sein. Sie sollen auffangen, sie sollen sich richtig verhalten, sie sollen funktionieren, obwohl sie selbst weinen müssen. Sie trauern um das Baby, aber sie trauern ja auch um ihre eigenen Kinder, die gerade das schlimmste durchmachen müssen. Sie sehen, wie ihre eigenen Kinder leiden. Freunde sehen ihre guten Freunde vor Trauer paralysiert. Es ist eine sehr schwere Situation und wir als trauernde Eltern sind in dieser Situation auch sicherlich nicht leicht. Wir sind empfindlich, wir sind wütend, wir drehen uns nur um uns selbst. All diese Gedanken denkt man in der akuten Phase nicht. Man hat dafür keinen Kopf, keine Kraft und ich finde das auch ok so. Im Nachhinein wird mir durchaus bewusst, wie hart es eben auch für alle anderen war. Und es macht mich umso dankbarer für die unglaubliche Liebe und Unterstützung, die wir erhalten haben.

Es gibt immer die Freunde, die obwohl sie wirklich enge Freunde sind, mit der Situation einfach nicht umgehen können. Die etwas hilflose Dinge machen und sagen, oder die sich meistens einfach nicht mehr melden, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen. Weil sie oftmals auch denken, sie wollten nicht stören. Ich kann es verstehen, dennoch tut es natürlich weh. Ich bin keinem böse, ich trage es keinem nach, der sich nicht gemeldet hat. Auch wenn ich ganz eindeutig sagen kann an alle, die so etwas als Freunde erleben: meldet Euch! Bitte bitte meldet Euch. Es reicht manchmal einfach eine SMS oder Whatsapp, in der steht „Ich denke an Euch“. Lasst Eure Freunde spüren, dass ihr an sie denkt. Verschwindet nicht. Schickt Blumen, Briefe oder wenn ihr in der gleichen Stadt lebt, dann geht für eure Freunde einkaufen oder kocht für sie. Aktiv helfen, gerade am Anfang, ist so wichtig. Wie oft habe ich die Nachricht bekommen „melde dich, wenn du etwas brauchst“. Das ist leider wirklich die am wenigsten hilfreiche Nachricht. In dieser Situation weiß man nicht, was man braucht. Man wird durch die Nachricht zu demjenigen, der nach Hilfe fragen muss, man kann aber das auch nicht. Und noch ein falscher Gedanke: ihr wollte eure Freunde nicht auf das Erlebte ansprechen, weil ihr sie dann traurig macht? Sie sind sowieso immer traurig, das Erlebte ist für den Rest ihres Lebens Teil von ihnen. Sie freuen sich, wenn ihr mit ihnen darüber redet und gemeinsam mit ihnen weint. Rückzug, sich nicht melden, abtauchen… das sind wirklich die Aktionen, die am leichtesten scheinen und auch oftmals geschehen, aber die weh tun. Und oftmals eurer Freundschaft auch nicht gerecht werden. Also: meldet euch! Ihr werdet sogar sehen: ihr habt vielleicht Angst diesen Emotionen nicht gewachsen zu sein, aber es ist vielleicht gar nicht so schlimm. Trauernde freuen sich auch mal lachen zu können. Und wenn wir weinen, dann geht es auch vorbei. Und ihr müsst dabei nicht mal die richtigen Dinge sagen, seid einfach da. Nehmt eure Freunde in den Arm.

Die Zeit – sie heilt keine Wunden

Ich werde oft gefragt, wie es mit der Zeit aussieht. Wann wird es besser? Wann hast du wieder gelacht? Wann nicht mehr nur geweint? Eines vorweg: die Zeit heilt hier keine Wunden. Es wird nicht einfach nur besser, weil Zeit vergeht. Die Wunde bleibt für immer. Der Umgang mit der Trauer, die eigene Stärke, das sind Dinge, die sich mit der Zeit wandeln und es leichter machen. Bei der Beerdigung von Greta sagte meine wunderbare Tante, die ihre 18 jährige Tochter verloren hat: „In einem halben Jahr wird es wieder heller. Davor musst du durch. Rede mit anderen Eltern, die das erlebt haben.“

Das war zunächst der einzige Anhaltspunkt, den ich hinsichtlich der Zeit hatte. Ein halbes Jahr klang wie eine Ewigkeit, allerdings, da ich zu dem Zeitpunkt überzeugt war, dass ich nie wieder lachen werde und nie wieder glücklich sein, war es vielleicht doch nicht so schlecht, das zu hören. Meine Tante war durch die Hölle gegangen, sie war so eng mit ihrer Tochter, es war so schrecklich. Und dennoch war sie für mich der Beweis, dass man es überlebt. Es bedeutete mir sehr viel, dass sie da war. Die erste Zeit hatte ich wie bereits erwähnt Probleme gegenüber meinem Sohn. Ich war so in meiner tiefen Trauer, dass ich meine Liebe und Empathie nicht so zulassen konnte wie zuvor. Nach etwa drei Monaten besserte sich dieser Zustand erheblich. Ich sprach mit meiner Therapeutin und sie sagte mir, dass das nach der Geburt eines zweiten Kindes oftmals die Periode sei, die die größeren Kinder den Eltern geben würden. Sie nehmen einige Monate Rücksicht, wissen instinktiv, dass sie etwas zurückstecken müssen. Nach den drei Monaten forderte David mit Vehemenz meine Nähe ein. Das war ein wunderbarer Moment, wir kamen uns wieder näher, es entstand eine Nähe, die ich zuvor auch mit ihm so nie erlebt hatte. Es kamen alle Gefühle zurück und diese waren erweitert um all das Bewusstsein, wie dankbar ich war, dieses Kind in den Armen halten zu dürfen.

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Die Zeit ist dennoch ein schwieriges Konstrukt im Trauerjahr. Wenn man das Gefühl hat, es ginge gerade ganz ok, dann kommt das nächste Tal und du sitzt wieder weinend und unfähig etwas zu tun auf dem Sofa. Es ist mit Sicherheit kein linearer Weg zurück. Es ist eine Spirale oder was auch immer, es wirft einen weiter und dann wieder zurück. Und dennoch: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der einzige Weg ist, das alles zuzulassen. Es wird bergauf gehen. Zumindest auf die lange Zeit gesehen. Und vielleicht ist das Tal gerade eben wichtig für die nächste Entwicklung.

Wenn man es zusammenfassen will, wäre es bei mir so, dass das erste halbe Jahr ein auf und ab war. Ich war laut engen Freunden viel abwesend, auch wenn ich anwesend war. Es gab gute Tage, aber eben keine Konstanz. Mit dem Sommer und einigen Reisen kam etwa im September eine erste Konstanz auf. Es wurde weniger auf und ab. Es war wesentlich mehr hell als dunkel. Meine Tante hatte also Recht: durch das erste halbe Jahr musst du durch. Klar, auch da kann es gute Stunden und Tage geben. Genießt sie, denn es geht wieder runter. Aber danach wird es besser. Schrittweise und nicht ganz plötzlich, aber es wird hell.

Dankbarkeit und Demut – was unsere Kinder uns lehren    

Eine Sache, die ich wirklich zu tiefst empfunden habe im Laufe des Jahres war eine unendliche Dankbarkeit. Das klingt jetzt sicherlich seltsam, immerhin habe ich mein Kinder verloren, wofür bin ich dankbar. Ich wurde so unglaublich dankbar für all das, was ich habe. Mir wurde so bewusst, dass vieles, was man so hinnimmt, weil es eben ohne große Probleme lief (z.B. meine erste Schwangerschaft und Geburt), so fragil und in keiner Weise selbstverständlich ist. Wir haben einen gesunden Sohn. Wir beide sind gesund. Das ist nicht selbstverständlich. Und ich war und wurde immer dankbarer dafür. Gretas Tod hat in mir eine unglaubliche Demut vor dem Leben erzeugt. Wir leben so schnell, was wir uns vornehmen, ziehen wir durch, wir erleben viel und das alles so schnell. Wirklich innehalten, wahrnehmen, was wir haben, dankbar sein für all dies, was wir haben und was gut läuft, so sehr dessen bewusst war ich mir zuvor nicht. Ich bin heute sehr dankbar und stehe mit einer großen Demut vor dem Leben, ich nehme nichts mehr als mir zustehend hin. Ich bin für diesen sehr intensiven Shift in meinem Leben meiner Tochter auch sehr dankbar. Meine Therapeutin gab mir neulich ein Zitat, das ich letztes Jahr zu ihr sagte: „Ich war immer distanziert von meinem Leben, das merke ich heute, und es fühlt sich an, jetzt erstmals die Augen wirklich offen zu haben, für alles.“

Mir war es ja sehr wichtig, diesen Artikel nicht mit dem gehobenen Zeigefinger zu schreiben. Ich möchte nichts vorgeben, ich möchte erzählen und Anregungen geben. Und dennoch ganz kurz und nur zum Schluss, wollte ich hier zumindest einige Dinge zusammenfassen, die helfen und solche, die eben nicht helfen oder gar weh tun. Vielleicht hilft das dem einen oder anderen in einer schweren Zeit empathisch zu handeln.

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Dinge, die man sagen kann und solche, die weh tun

  • Bezieht die Situation nicht auf euch. Mit Sätzen wie „ja, ich habe auch das und das erlebt…“ wollt ihr zeigen, dass ihr den Schmerz versteht, aber das beziehen auf euch hilft in diesem Moment gar nicht.
  • Floskeln wie „es wird schon wieder; ihr habt ja einen gesunden Sohn; du bist ja noch jung und kannst noch Kinder bekommen; die Zeit heilt die Wunden…“ helfen ganz und gar nicht und können sehr weh tun.
  • „Melde dich, wenn du was brauchst“ ist einer der häufigsten Sätze, die man hört, aber leider auch überhaupt nicht hilfreich. Ich kann mich zu der Zeit kaum duschen oder was essen, wie soll ich wissen was ich brauche? Was ich brauche sind Menschen, die mir von sich aus Dinge abnehmen, Menschen, die proaktiv sind.
  • Sich nicht melden, weil man unsicher ist oder weil man nicht weiß, was man sagen soll, tut weh. Schreibt eine Nachricht, einen Brief und sagt, dass ihr so unsicher seid, aber an uns denkt.
  • Gut ist: Seid ehrlich, sagt ihr wisst nicht was ihr sagen sollt, es tut euch so leid, ihr könnt nur erahnen, wie schlimm es sein muss, und seid proaktiv. Einkaufen, kochen, Blumen schicken, das ältere Kind zum Ausflug mitnehmen, einen Brief schicken, zwischendrin eine Nachricht mit den Worten „Ich denke an dich“, das wirkt schon Wunder.

Fotos: Julie privat; Gif via Giphy

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