Der Junge mit der Haarspange
und die ewige Gender-Frage
Als wir neulich morgens mal wieder viel zu spät in der Kita antanzten, waren zwei Mädchen bereits auf dem Flur zugange – mit Ballett. Philo war ganz angetan. “Das ist für Mädchen,” sagte die eine zu Philo, “da kannst du nicht mitmachen…” Ich hab ihr dann erklärt, dass in meiner Ballettgruppe früher auch Jungs am Start waren und die das richtig toll gemacht haben. Da hat sie Bauklötze gestaunt, während ich die Kita mit Fragezeichen im Kopf verließ…
Woher nehmen manche Kids dieses Selbstverständnis für Geschlechterspezifizierungen? Die Eltern der Kleinen werden ihr ja wohl kaum einbleuen, dass nur Mädchen tanzen? – das hoffe ich jedenfalls. Und wirklich im Ballett war bisher keine der beiden Tanzmäuse. Fest steht: Angeboren ist das nicht. Eher anerzogen. In unserer Gesellschaft sind klare Vorstellungen darüber verankert, welches Verhalten als männlich und welches als weiblich einzuordnen ist. Ich höre Philos Oma sagen, “das ist jetzt aber mal ein schöner Jungshaarschnitt,” und ich krieg nen Föhn! Wenn es also “hausgemacht” sein sollte, wie wichtig ist es dann, dass Kinder mit klaren Geschlechterrollen aufwachsen? Bergen geschlechtsspezifische Verhaltensweisen eher Vor- oder Nachteile für die Minis? Und wie kann man diesen Genderklischees entgehen, wenn man möchte?
Ich hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, mich mit einer Mädchen-Mama auszutauschen. Madeleines Verständnis nach “können Frauen alles schaffen” und so ist es auch völlig logisch, dass Izzy anziehen darf, was sie will und spielen darf, womit sie will. Einen Tag steht sie auf die pinke Glitzer-Melone, am nächsten Tag ist es das blaue Basketball-Trikot, viel lieber Hosen als Röcke, und bitte keine Haarspangen mehr. Eisenbahn und Reiterhof wechseln sich beim spielen ab, aber mit Puppen spielte sie lange gar nicht, sondern erst seitdem sie dreieinhalb ist und in der Kita immer mehr Kinder Geschwister bekommen. Was in Izzys Kita auch ganz selbstverständlich ist: es gibt eine große Kleiderstange mit Kostümen und jeder darf anziehen was er will. Die Jungs tragen am meisten die Braut-und Prinzessinnenkleider, die Mädchen die Feuerwehrhelme. Verkehrte Welt, nee, nur bei dem der hierbei an “verkehrt” denkt, denn jedes Kind sollte sich kreativ entfalten können und dazu gehören Farben, Kostüme und Rollenspiele doch so sehr dazu. Bei Madeleines letzter Grillparty hat sie die Kinderschar am Boden sitzend, sich allesamt die Nägel pink lackierend vorgefunden und es dann schließlich nur verboten, weil der halbe Lack am Boden klebte.”
Oh tat das gut zu hören. Gerade gestern hat sich Philo wieder versucht, mit einem Buntstift die Nägel anzumalen. Und wo mein Lippenstift steckt und was man damit macht, weiß er sowieso ganz genau. Ich jedenfalls freue mich immer selbst wie ein Kind, wenn Philo (3 Jahre) mich im Kleidchen begrüßt, sich beim Nachdenken die Blonden Löckchen mit dem Finger eindreht und Sachen sagt wie “Ich bin eine Gewinnerin.”
Das Lexikon der Kindergartenpädagogik weiß:
Schon früh sind Kinder in der Lage, geschlechtsspezifische Unterschiede wahrzunehmen und nach männlich und weiblich zu kategorisieren. Hubrig (2010) liefert hierzu eine Übersicht, zu welchen kognitiven Leistungen Kinder in unterschiedlichen Altersstufen fähig sind. So können sie ab etwa dem dritten Lebensmonat Stimmen und ab dem neunten Monat Gesichter von Frauen und Männern unterscheiden und diese zuordnen (Hubrig 2010, S. 43). Mit Beginn des zweiten Lebensjahrs treffen Kindern eine generelle Unterscheidung zwischen männlich und weiblich und können Verhaltensweisen auf ein Geschlecht zurückführen.
Ich erinnere mich noch genau wie ich staunte, als Philo mir, kaum dass er sprach, zu jedem Kitakind das passende Geschlecht nennen konnte.
Sie selbst sind sich ihrer Geschlechtszugehörigkeit noch nicht bewusst und gebrauchen im Alltag Mann und Frau als Kategorien wie beispielsweise Tier und Spielzeug (ebd., S. 44).Der Prozess der sich bildenden Geschlechtsidentität wird darüber hinaus von der Umwelt maßgeblich beeinflusst. So erleben Kinder aufgrund ihrer Geschlechts bereits von Geburt an unterschiedliche Verhaltensweisen ihnen gegenüber, die sie wiederum in Interaktionen mit ihrer Umwelt verstärken oder abschwächen und die sie zu einer frühen, wenn auch unbewussten und nicht steuerbaren “Selbstkategorisierung” (Blank-Mathieu 1996, S. 14) veranlassen. Die Reaktionen des Kindes auf die Angebote der Eltern werden überwiegend durch Reize hervorgerufen, die das Interesse des Kindes tangieren oder unberührt lassen. Dennoch beeinflusst auch das Kind durch sein Verhalten den geschlechtsabhängigen Umgang seiner Eltern mit ihm, welcher je nach Ausmaß und aktiver Teilnahme des Kindes zu einer ersten Aneignung von Geschlechtsidentität führt.
Unsere Vorstellung der Geschlechterrollen ist also das Produkt einer gesellschaftlichen Entwicklung. Aha. Das Gute: Wir können darauf Einfluß nehmen. Wir Bezugspersonen machen die Kinder zu dem, was sie sind. Plus natürlich alle anderen Bezugspersonen wie Großeltern, Erzieher oder andere Kinder in der Kita. Und jetzt hinterfragen wir uns mal alle schön selbst: Sagen wir eher zu Mädchen, dass sie hübsch aussehen? Loben wir Jungs eher für ihre Stärke? Ertappt. Warum nicht mal umgekehrt? Erst recht, wenn der kleine Mann stolz wie Oskar (können das dann eigentlich nur Jungs sein?!) im Prinzessinnenkleid daher kommt. Oder wochenlang einen heiß geliebten Elsa-Ballon durch die Gegend trägt. Und mit feministischer Freude stecke ich Philo eine Haarspange in die langen Löckchen, mit der er sich dann vor dem Spiegel bewundert. Denn ganz ehrlich, Haarspangen sind letztendlich doch dazu da, die Haare aus den Augen zu halten, oder?
P.S. Die Gender, deutsch “Geschlechter”-Forschung beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Geschlecht zu Kultur und Gesellschaft. Dabei wird beobachtet, welche Auswirkungen das Geschlecht auf menschliche Gemeinschaften hat, als auch das Geschlecht wiederum von der Gesellschaft geformt wird. Einer der ersten Studiengänge für Gender Studies wurde zum Wintersemester 1997/98 übrigens an der Humboldt Uni zu Berlin eingerichtet. Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien als Aufbaustudiengang und Frauen- und Geschlechterstudien als Magisternebenfach. Sicherlich interessant – für jedermann!
Janine ist Mama von Philo (3) und Quinn (5 Monate), Mitbegründerin des MUMMY MAG Paper, außerdem Autorin des Mama Styleguide , was sich beides – im Gegensatz zu so mancher Modeerscheinung – ganz vorzüglich mit dem Mama-Sein vereinen lässt. Und weil ihr neben der Mode noch viele andere Themen über den Weg sausen, die sie humoristisch garnieren kann, tut sie das auch hier!
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