Herzgeschichte – Teil 3
Eine Herzklappentransplantation hört sich so einfach an: aufschneiden, austauschen, zunähen, fertig. Aber so einfach war es leider nicht, und das wusste mein 16-jähriger Sohn ja auch ganz genau, als wir uns an einem Mittwoch im Mai auf den Weg in die Medizinische Hochschule (MHH) machten. Er war angespannt und hatte natürlich auch Angst. Würde er Schmerzen haben? Wie lange müsste er im Krankenhaus bleiben? Bekäme er von der Operation etwas mit?
Für ihn musste ich selbst stark bleiben. Ich konnte ihm diesen schweren Weg nicht abnehmen, auch wenn ich das, ohne zu zögern, sofort getan hätte. Aber ich konnte ihn begleiten und bei ihm bleiben. Das tat ich auch. Meine Angst bekam ein paar stille Momente von mir, mehr Zeit hatte ich einfach nicht übrig. Ich wechselte wieder in den Überlebensmodus, und wir haben die Sache durchgezogen.
Vor der Herz-Operation
Anästhesist und Chirurg führten am Tag vor der OP die Aufklärungsgespräche mit meinem Sohn und mir zusammen. Sie haben sich viel Zeit genommen, alle Fragen ausführlich beantwortet und viele Ängste genommen. Das haben sie großartig gemacht, die Rahmenbedingungen waren entsprechend erschwert: Wir saßen uns ja alle mit Mund-Nase-Schutz und Abstand gegenüber.
Es ist verdammt schwer, jemanden einzuschätzen und ihm sein Vertrauen zu schenken, ohne sein Gesicht und seine Mimik beim Reden zu sehen. Aber das haben sie komplett mit ihren Augen, ihrem souveränen Auftreten und den beruhigenden Worten geschafft. Danke!
Im Vergleich zu anderen Krankheiten, selbst im Vergleich zu anderen Herzfehlern, hat es mein Junge gut getroffen. Er hatte das große Glück, dass er ohne vorherige OP erwachsen werden konnte, also im Sinne von körperlich ausgewachsen. Seine OP verspricht 100 % Heilungschancen und ist aus Sicht der Chirurgen und Kardiologen ein Routineeingriff mit geringem Risiko.
Der schrecklichste Tag meines Lebens
Das wusste ich alles, dennoch wurde der Tag der Operation für mich der schrecklichste Tag meines Lebens. Zu wissen, dass meinem Kind gerade der Brustkorb aufgesägt und der Herzschlag angehalten wird, waren kaum vorstellbare Gedanken, die mir aber die ganze Zeit pochend präsent waren. Mit jedem Atemzug bangte ich um das Leben meines Kindes.
Während mein Sohn im OP war, warteten mein Mann und ich im Hotelzimmer, irgendwas frühstücken, irgendwas im Fernsehen gucken, irgendwo spazieren gehen, warten, atmen, aushalten. Nach sechs langen Stunden kam der Anruf vom Chefarzt. Die erlösenden Worte: Es ist alles gut verlaufen. Ich habe vor Freude geweint.
Weitere zwei Stunden später konnte ich ihn auf der Intensivstation besuchen. Wegen der Corona-Beschränkungen durfte immer nur ein Elternteil zu Besuch kommen. Mein Mann konnte unser Kind also leider erst am darauf folgenden Tag sehen, aber er blieb die ganze Zeit vor Ort. So wie ich für unser Kind da war, so war er für mich da. Niemand sollte so etwas ganz allein durchstehen müssen.
Die Tage danach
Bis zum nächsten Morgen blieb unser Sohn noch in Narkose und wurde somit auch beatmet. Das frisch operierte Herz sollte sich erst ein bisschen erholen. Da lag er also wieder auf der Intensivstation, wie schon einmal wenige Tage nach seiner Geburt. Überall waren wieder Schläuche, Zugänge, Elektroden, Kabel, Monitore, Perfusoren. Aber diesmal füllte er mit seinen 178 cm Länge das Krankenbett komplett aus. Ein junger Mann an der Schwelle zum Erwachsenen und doch mein kleines Baby.
Ich blieb die ganze Besuchszeit neben seinem Bett sitzen und wachte bei ihm. Der Pfleger, der für ihn zuständig war, erklärte mir alles genau: Herztöne, Blutdruck, Puls, Sauerstoffsättigung, Lungenfunktion, Medikamente. Als sich die Körpertemperatur nach einer Weile nicht stabilisierte, brachte er sogar eine besonders leichte Decke, in die warme Luft geblasen wurde. Mein Kind war rundum bestens versorgt und in professionellen Händen. Danke!
Ich konnte sogar am späten Abend gegen 23 Uhr nochmal anrufen und mich vergewissern, dass es ihm weiterhin gut ging. Am nächsten Tag hatte er das Bewusstsein wieder erlangt, atmete selbstständig und konnte sogar schon etwas trinken und essen. Es durfte weiterhin nur jeweils ein Elternteil ihn besuchen, so wechselten wir uns in den darauffolgenden Tagen ab.
Jedes Mal, wenn ich ihn besuchte, hatte er bereits wieder einen Zugang, einen Schlauch oder ein Kabel weniger am Körper. Anfänglich war er sehr schwach, und ihm war schwindelig, doch mir jedem Tag wurde er stärker und mobiler. Die Pfleger und Schwestern fanden stets den passenden Ton und die richtigen Handgriffe, um ihn dabei zu unterstützen, wieder auf die Beine zu kommen. Was am Morgen noch völlig unmöglich schien, war am Nachmittag schon machbar. Wir freuten uns über jeden kleinen Schritt: sitzen, aufstehen, drei Schritte laufen, essen, selbstständig aufs Klo gehen, über den Flur ins Untersuchungszimmer laufen usw.
Mein Sohn wollte doch so schnell wie möglich raus aus dem Krankenhaus und weil er in guter allgemeiner Verfassung war, konnte er schon zehn Tage nach der Operation wieder nach Hause, wahnsinnig früh nach einem solchen Eingriff. Bei der Abschlussuntersuchung sah ich beim Ultraschall zum ersten Mal die neue Klappe und wie sie perfekt funktionierte. Da war kein Rückfluss mehr in die Herzkammer, kein Extraausschlag mehr im EKG, kein Rauschen mehr im Hintergrund. Stenose und Insuffizienz waren behoben, die Operation war erfolgreich verlaufen. Diese Nachricht macht mich so unendlich glücklich und dankbar.
Trotz all dieser schweren Stunden, all der schrecklichen Sorgen, die mich so viele Jahre begleitet haben, bin ich sehr dankbar für dieses Glück, das wir erfahren durften. Das Glück, in einer Zeit und in einem Land zu leben, in dem Ärzte und Pflegekräfte das Leben meines Kindes retten konnten, in dem medizinischer Fortschritt, Medikamente, Ausstattung und Personal tatsächlich verfügbar waren und in dem das Gesundheitssystem selbst in der Corona-Krise durch das beherzte und frühzeitige Eingreifen der Regierung standhielt. Mit ist bewusst, dass diese Erfahrung nicht alle Menschen gleichermaßen machen konnten, aber für unser Kind gilt sie absolut.
Nun geht es in kleinen Schritten weiter Richtung Normalität. Mein Sohn muss noch eine Reihe Medikamente zur Unterstützung der Herzleistung nehmen, die in den nächsten Wochen und Monaten nach und nach abgesetzt werden können. Das Aufstehen fällt ihm noch etwas schwer, da sein Brustkorb noch nicht wieder zusammengeheilt ist. Wir haben in der nächsten Zeit ein bis drei Arzttermine pro Woche, und seine Fitness ist lange noch nicht wiederhergestellt. Das dauert wohl auch einige Monate. Bis zu den Sommerferien Mitte Juli werden er und sein Bruder nicht am Präsenzunterricht in der Schule teilnehmen, denn eine Infizierung mit Covid-19 bleibt vorerst ein nicht unerhebliches Risiko für meinen Sohn.
Wir haben mindestens noch 12 Wochen in selbstgewählter häuslicher Isolation mit Homeoffice und Homeschooling vor uns. Die Kanutour in Schweden wurde aufs nächste Jahr verschoben, die Freizeit nach Südtirol war für den Bruder schon lange abgesagt. Den Sommer werden wir im eigenen Garten verbringen. Unser Jahresurlaub ist zur Hälfte aufgebraucht. Damit geht es uns wie vielen anderen Familien in Deutschland. Und doch ist es bei uns ganz anders.
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