Anja Estrada Pox Milchwiese im Interview

Ist doch logisch, dass Muttermilch das Beste für Babies ist!

Anja Estrada Pox Milchwiese im Interview

Camilla und ich haben ein gemeinsames Lieblingswort: Tausendsassa. So einer ist z.B. Anja Estrada Pox (44). Studiert hat sie Pharmazie. Sie liebt ihr und das Handwerk, aber ebenso liegt ihr Marketing und Vertrieb. Und die Ideen scheinen der Dreifachmama, Apothekerin und Stillberaterin nie auszugehen. Durch einen Dawanda-Shop und viele Nachfragen aus ländlichen Gegenden kam sie auf die Idee, Milchpumpen über Nacht überall dahin zu versenden, wo sie dringend gebraucht werden…

Liebe Anja, du hast drei Kinder, was war die weit verbreitete Stillmeinung bei der Geburt deines ersten Kindes? 

Unser großes Kind wird in diesem Jahr schon 18! Ich selber war bei Pauls Geburt 26 Jahre jung und nicht gut informiert oder vorbereitet. Im Krankenhaus, in dem ich entbunden habe, gab es niemanden, der mich richtig angeleitet hat. Auch in meiner Familie war Stillen kein präsentes Thema. Die Mütter, die ich in den verschiedenen Gruppen (Babymassage, PEKIP…) kennenlernte, stillten teilweise, aber dass wir uns darüber ausgetauscht haben, daran kann ich mich nicht erinnern. 

Wie lange hast du gestillt und warum?

Mit jedem unserer drei Kinder verbindet mich eine andere Stillgeschichte, und es wurde von Kind zu Kind besser! Paul und Lina trennen 11 Jahre, viel Zeit sich Gedanken über das Stillen zu machen.

Ich denke es lag vor allen an meiner „Uninformiertheit“, dass ich unseren ersten Sohn nur 3,5 Monate gestillt habe und daran, dass ich niemanden hatte, der mich an die Hand genommen hat. Hinzu kommt: Ich hatte keine Idee, wo ich mir Informationen hätte holen sollen. Das war 1999 und Google noch ein Fremdwort. Unser Johann, heute 13 Jahre, kam mit einer schweren Nierenerkrankung zu Welt, das Stillen klappte von Anfang an super. Auch die Zeit im Krankenhaus (Johann wurde mit 3 Wochen operiert) haben wir super überstanden (in Bezug auf das Stillen). Ich war deutlich entspannter als beim ersten Kind. Und ich hatte den festen Willen, das es diesmal klappt. So haben wir über 7 Monate gestillt, bis Johann unbedingt festes Essen wollte und ich jobmäßig sehr eingebunden war. Unser Bonuskind Lina (7 Jahre) habe ich 13 Monate gestillt, das war einfach traumhaft. Mit 2 Kindern und einem Geschäft, war das Stillen die perfekte Lösung. Immer dabei, immer richtig temperiert, nichts musste ausgewaschen oder desinfiziert werden, großartig. Ich hatte das Selbstbewusstsein immer und überall in allen Lebenslagen zu stillen. Die Zeit habe ich sehr genossen, weil es natürlich auch Kuschelzeit für Lina und mich im Alltagstrubel war… 

Woran glaubst du lag es jeweils, dass du so unterschiedlich gestillt hast? 

Beim ersten Kind hatte ich extreme Probleme, hätte ich das Wissen von heute gehabt, wäre es sicher ganz anders gekommen. Ich kann nur jeder Mutter, die Stillen möchte und besonders Erstgebärenden, raten sich schon in der Schwangerschaft zu informieren. Wir Frauen bilden schon ab der 16 SSW Kollostrum, frühes und häufiges Anlegen nach der Geburt kann helfen den Milcheinschuss ab dem 3.Tag milder zu gestalten.

Bei Johann und Lina hatte ich, außer in Stressphasen, keine großartigen Probleme. Stress ist und bleibt einfach ein großer Faktor für Stillprobleme wie Milchstau und daraus möglich resultierenden Brustentzündungen. Ich habe bei mir festgestellt, je mehr ich meinem Körper und meinem Kind vertraut habe, desto besser lief es. Stillen hat viel mit Intuition zu tun. Man kann die Trinkmenge nicht in Maß und Zahl festhalten. Viele meiner Mütter aus der Stillberatung haben häufig Sorge, dass das Kind an der Brust nicht satt wird. Ich kenne das noch von meinem ersten Kind. Stillen nach Bedarf kann die Lösung sein….

Woher kommt es, dass heute, im Gegensatz zu den 80er Stillen wieder so gepriesen wird?

Es ist eher verwunderlich, dass wir uns erst jetzt zurückbesinnen. Stillen ist doch das natürlichste der Welt und wir Menschen ernähren unsere Kinder doch schon immer so. Ich persönlich freue mich über die Neue Richtung beim Thema Stillen, wobei sich 2005 nach Studien kein nennenswerter Anstieg im Vergleich mit 1986 geborenen Kinder verzeichnen ließ (+8%). Familie ist wieder stark im Kommen. Viele unserer Freunde haben, so wie wir, 3 Kinder. Ich kann mich an meine Kindheit erinnern, meine Freunde waren Einzelkinder oder hatten noch ein Geschwisterkind zu Hause. Und Stillen ist für manche sicher ein Synonym für gesunde und natürliche Ernährung, sowie Fürsorge. Ich denke auch, dass viele Menschen die Welt, in der wir alle leben, kritisch betrachten. Ich habe das Gefühl die Biosupermärkte schießen wie Pilze aus dem Boden. Bio ist salonfähig und Stillen ist überzeichnet betrachtet auch regional und saisonal… Die Wissenschaft hat viele neue Erkenntnisse im Bereich der Muttermilch Forschung erlangt, ebenso die Darmforschung. Stillen und Darmentwicklung sind eng miteinander verflochten. Viele dieser Erkenntnisse sickern in Familien durch und sorgen so für ein „Pro Stillen Haltung“. Früher wurden die Kinder noch in den Kliniken über Nacht im Kinderzimmer verwahrt heute gibt es das 24 Stunden Rooming-In. Flaschenfütterung wurde einfach als „State of the Art“ propagiert…. Viele Kliniken arbeiten heute nach den WHO (Weltgesundheitsorganisation) Richtlinien und lassen sich als babyfreundlich zertifizieren. Es scheint eine neue Richtung eingeschlagen zu werden.

Was hast du als Dreifachmama und Stillberaterin alles in Bezug auf Stillen erlebt?

Ich persönlich merke bei meiner Arbeit mit Familien, dass viele Stillprobleme vermeidbar sind. Die meisten Geburten finden in Kliniken statt, dort ist der Personalmangel unübersehbar. Allerorts fehlen Hebammen. Ein guter Start sofort nach der Geburt, prägt die weitere Stillzeit immens. Wenn eine Frau nicht stillen möchte, aus welchen Gründen auch immer, müssen wir das respektieren. Aber jede Mutter die stillen möchte, sollte die Unterstützung bekommen, die sie benötigt. Die häufigsten Stillprobleme die ich sehe, sind wunde Brustwarzen, Milchstau und Brustentzündungen. Zumeist im frühen Wochenbett und hervorgerufen durch eine falsche Stilltechnik. Eine gute Anleitung, und dafür braucht es Zeit und Geduld, kann hier eine Menge bewirken. Es gibt eine, wenn auch alte Studie, wonach in den ersten Tagen nach der Geburt 90% aller Kinder gestillt werden, nach 2 Monaten sind es noch 70% nach 6 Monaten nur noch 40-50%. Schlechte Erfahrungen, wie Schmerzen beim Stillen, tragen zu dieser hohen Absprungrate sicher bei. Wir sollten hier in Deutschland nicht am Personal in der Gesundheitspflege und an der Betreuung unserer Kinder sparen. Wir haben keine Bodenschätze, auf die wir uns finanziell verlassen können, wir haben nur die Menschen und ihr Know How, um unser Land vorwärts zu bringen. Geben wir allen einen optimalen Start.

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Man sagt ja, dass Muttermilch magische Kräfte hat. Babys werden darin gebadet, sie soll in die Nase getröpfelt gegen Schnupfen und auf trockene Stellen aufgetragen sogar wie eine Creme wirken. Wie erklärst du dir das?

Muttermilch ist ein lebendes Körpersekret. Es wird in der Brust der Mutter unter Einwirkung vieler verschiedener Hormone produziert und enthält wahre Wunderstoffe. Eine Vielzahl von Immunabwehrstoffen sind darin enthalten. Makrophagen, sog. Fresszellen, können Mirkroorganismen unschädlich machen. Wertvolle Fettsäuren und Cholesterol sind für den Aufbau von Körperzellen enthalten, und das Beste ist: Muttermilch passt sich den Gegebenheiten an. Wenn Kinder krank sind, enthält die Muttermilch wieder mehr Immunabwehrstoffe. Im Kollostrum (Vormilch) sind viele Salze enthalten, damit das Kind schnell das Mekonium (Kindspech) ausscheiden kann, also ein natürliches Abführmittel. Humanes Laktalbumin, ein besonderes Eiweiß in der Muttermilch, bindet freies Billirubin, um Neugeborenen-Gelbsucht vorzubeugen… Die ganze Magie von Muttermilch ist biochemisch gut erklärbar. 

Was sind die häufigsten gestellten Fragen von frischgebackenen Müttern?

Wird mein Kind satt?
Hört die Müdigkeit jemals auf? 

Was sind die größten Fehler, die gemacht werden?

Was für den einen Fehler sind, scheint dem anderen genau das Richtige. Egal ob ein Kind gestillt wird, oder mit der Flasche und Formula Nahrung ernährt wird, wir sollten unsere Kinder bedingungslos lieben und uns klarmachen, dass Tiefphasen zum Leben einfach dazu gehören. Es ist noch keiner kaputt gekuschelt worden….

Was sind die Ursachen für Milchstau? Und wie kann man vorbeugen/akut Abhilfe schaffen?

Stress, mechanische Barrieren und eine falsche Anlegetechniken sind die häufigsten Ursachen. Ich stecke die Mütter immer gerne mit dem Baby, beide so nackt wie möglich, ins Bett. Maximaler Körperkontakt schüttet Oxytocin aus. Das beruhigt und ist gut beim Stillen. Am besten so oft wie möglich anlegen und die verhärtete Stelle sanft ausmassieren. Dazu kann man noch in den Stillpausen kühlen und vor dem Stillen wieder wärmen. In manchen Fällen ist es ratsam, mit einer Milchpumpe zu arbeiten. 

Was bzw. wie trägt die Milchpumpe zur Vereinbarkeit von Job/Schule und Familie bei?

Wir haben immer wieder ganz junge Mütter, die nehmen die Milchpumpe mit in die Schule und Pumpen dort Muttermilch ab. Andere Mütter müssen/wollen wieder früh an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, oder sind selbstständig und wollen ihr Kind mit Muttermilch versorgen. So kann die Anwendung einer Milchpumpe dazu beitragen, dass das Kind die wertvolle Muttermilch bekommt. Wichtig ist nur, dass das Angebot durch die Nachfrage geregelt wird. So muss ebenso wie beim Stillen häufig kurz, am besten mit einem Doppelpumpset (ca. 20% mehr Prolaktionausschüttung, wichtiges Hormon für die Milchbildung) gepumpt werden, damit die Milchproduktion aufrecht erhalten bleibt. Kinder die noch recht klein und längere Zeit von der Mutter getrennt sind, holen sich häufig die Kuschelzeit dann wieder, wenn die Mutter da ist (nachts!). 

Wird Stillen zunehmend schwerer für viele Frauen – gerade weil einige wieder in den Job zurück müssen/wollen. Wie siehst du die Entwicklung: Setzen sich die Frauen selbst unter Druck oder passiert das durch die ganzen Still-Debatten von außen?

Jede Frau muss den sich richtigen Weg finden. Ja, stillen und arbeiten mit sehr kleinen Kindern ist eine sehr große Herausforderung. Hier muss man gutes Stressmanagement einführen. Das klingt jetzt sehr technisch. Ich möchte darauf hinaus, dass jede Situation abgewägt werden muss. Wie handele ich, um gut aus der aktuellen Situation gut herauszukommen. Bin ich entspannter, wenn ich noch eine Stunde länger arbeite und gehe entspannt nach Hause, weil ich etwas weggeschafft habe, oder fühle ich mich besser, wenn ich morgen frisch ans Werk gehe und dafür eine Stunde länger kuscheln kann. Viele Dinge muss man auch einfach weg organisieren; Kinder, Arbeit, Haushalt das ist sehr viel…Hemden, die man nicht bügeln muss, sind eine tolle Erfindung. Vieleicht kann eine gute Freundin Essen kochen, oder sich nach Hause liefern lassen. Wenn möglich sollten wir das Wochenbett mehr zelebrieren und vor allen Dingen uns als Frauen gegenseitig unterstützen!

Vorteile Handpumpe/Elektropumpe?

Handpumpen sind klein und handlich und eignen sich für gelegentliches Pumpen. Die elektrischen Intervallmilchpumpen sind saugstark und für den professionellen Einsatz gedacht. Sie eignen sich für sehr häufiges bis ausschließliches Pumpen. 

Ich habe neulich ein StartUp besucht und wollte deren Bio Premilch auf dem Blog vorstellen. Sie meinten zu mir, das Premilch Produkte nicht gesampelt werden dürften, weil die Bundesregierung pro Stillen agiert. Wie kommt’s? 

Das Ziel des WHO-Kodexes ist es, die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten auf Kosten des Stillens zu verhindern und eine sichere Ernährung von Säuglingen mit Muttermilchersatzprodukten zu fördern, wenn diese gebraucht werden. Hier müssen wir nicht nur auf uns schauen, sondern in Länder, deren Bewohner es nicht so gut geht wie uns. Dort ist es immens wichtig, dass Kinder gestillt werden. Nicht alle Menschen haben Zugang zu sauberem Trinkwasser, was für die Zubereitung von Formula Nahrung unerlässlich ist. Auch müssen Flaschen und Sauger vernünftig gereinigt werden, ohne sauberes Wasser ein schweres Unterfangen. Warum soll einen Familie, die eh schon am oder unter dem Existenzminimum lebt, Geld für etwas ausgeben, was in deutlich besserer Qualität von der Mutter individuell für das Kind produziert wird? Muttermilch ist weltweit bei jeder Mutter annährend gleich in der Zusammensetzung. Sie passt sich den Lebenslagen an, ist immer in der richtigen Temperatur verfügbar und hygienisch einwandfrei. Da große Konzerne in diesen Ländern gerne ihre Muttermilchersatzprodukte verkaufen, soll der WHO-Kodex diese Menschen schützen, ein hochwertiges Produkt (Muttermilch) gegen ein minderwertiges (Formula + verschmutztes Wasser) einzutauschen. Zudem hat auch jede Frau durch das Stillen einen gesundheitlichen Benefit (Brustkrebsrate gesenkt…). Auch das ist für Länder mit einer nicht optimalen Krankenversorgung ein großer Vorteil.

Danke Anja, dass du deine Erfahrungen mit uns teilst!
Auf www.milchwiese.de könnt ihr euch kurzfristig Milchpumpen ausleihen, die deutschlandweit versendet werden.

Mit Janine haben wir eine waschechte Moderedakteurin und Buchautorin („Der Mama Styleguide„) im Team. Sie schreibt aber nicht nur, sondern ist auch Stylistin und ja, auch sie ist Mutter. Und weil sie so viele Themengebiete abdecken kann, macht sie das auch bei uns! Übrigens hat sie pünktlich zu Weihnachten 2016 ihren zweiten Sohn bekommen und wird uns zukünftig das ein oder andere Mal Einblicke in die ganz normale Alltagscrazyness einer 2-fach-Mummy gewähren.

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