
Wie Parental Burnout unsere Beziehung und unser Sexleben beeinflusst
22:30, die Kinder schlafen, das Chaos im Wohnzimmer ist in Grundzügen beseitigt und dann kommt er: der Blick. Mein Partner glotzt. Ich wusste genau, was jetzt kommen sollte. Nähe, Zärtlichkeit, vielleicht mehr. Aber ich bin leer. Ich habe gerade nichts mehr zu geben. Mein Körper ist müde, mein Geist erschöpft und mein Kopf voll. Und mir ist nach nicht anderem als Ruhe. Und meinem Bett. In seinen Augen sehe ich Hoffnung – dann Enttäuschung.
Und obwohl ich nichts falsch gemacht habe fühle ich mich schuldig. Ich liebe ihn. Auch ich will Nähe. Aber nicht jetzt.
Kennst du das Gefühl? Wenn der Alltag mit Kindern dich so erschöpft, dass an Intimität nicht mehr zu denken ist? Du bist nicht allein.
Dass Eltern oft gestresst sind, ist kein Geheimnis. Wenn Erschöpfung chronisch wird, spricht man von Parental Burnout – einem Zustand, der sich nicht nur körperlich und emotional auswirkt, sondern auch die Partnerschaft auf eine harte Probe stellt.
Laut einer Studie der Universität Louvain (Mikolajczak et al., 2018) leiden 12 bis 14 % der Eltern unter starkem parental Burnout. Die Folgen?
- Emotionale Erschöpfung: Das Gefühl, nichts mehr geben zu können.
- Distanzierung vom Partner: Man zieht sich zurück, hat weniger Energie für gemeinsame Unternehmungen.
- Geringere sexuelle Lust: Stress ist ein echter Lustkiller – besonders, wenn man ständig in der „Elternrolle“ feststeckt.
- Missverständnisse und Frust: Während der eine Nähe sucht, fühlt sich der andere überfordert oder unter Druck gesetzt. Das führt oft zu einem Teufelskreis: Stress weniger Nähe Frustration noch mehr Stress. Wie ist es möglich, diese Spirale wieder zu verlassen?
Viele Menschen denken, Lust ist entweder da oder nicht. In Wahrheit ist es ein komplexer Prozess.
Was bringt uns in Stimmung – und was hält uns zurück? Der renommierte Sexualwissenschaftler John Bancroft beschreibt Erregung als ein Zusammenspiel aus Beschleunigern und Bremsen. Während das „Gaspedal“ dafür sorgt, dass Lust entsteht, kann die „Bremse“ sie blockieren. Dinge wie Berührungen, erotische Gedanken, bestimmte Orte oder Situationen, aber auch emotionale Nähe, Entspannung und das Gefühl, begehrt zu werden, können Erregung fördern. Gleichzeitig gibt es Faktoren, die Lust hemmen: Stress, Müdigkeit, Selbstzweifel, ungelöste Konflikte oder Ängste – sei es vor Zurückweisung, einer ungewollten Schwangerschaft oder aufgrund negativer Erfahrungen.
Jeder Mensch hat seine ganz eigene Kombination aus Bremsen und Beschleunigern. Deshalb frage ich in der Beratung oft: Was hindert dich daran, Lust zu empfinden? Welche Faktoren wirken wie ein inneres Stoppschild? Und vor allem: Wann hast du dich zuletzt richtig begehrt gefühlt? Was hat sich in diesen Momenten anders angefühlt?
Gerade Eltern, die im Alltag zwischen Verpflichtungen, Erschöpfung und mentaler Dauerbelastung stecken, haben oft zu viele aktivierte Bremsen und zu wenige funktionierende Beschleuniger. Hier geht es nicht darum, sich zu verändern, sondern vielmehr darum, die richtigen Hebel zu finden – Bremsen zu lockern, Lust gezielt zu fördern und so mehr Leichtigkeit und Intimität zurückzugewinnen. Denn Lust ist nichts, das einfach zufällig kommt oder verschwindet. Sie ist etwas, das wir aktiv gestalten können.
Jeder Mensch erlebt Lust auf seine eigene Weise.
Die US-Sexualforscherin Emily Nagoski unterscheidet zwei grundlegende Lusttypen: Menschen mit spontaner Lust verspüren Verlangen nach Sex unabhängig von äußeren Umständen. Ihre Erregung entsteht von selbst, und Stress hemmt sie weniger. Menschen mit reaktiver Lust hingegen brauchen zunächst eine angenehme Atmosphäre oder körperliche Nähe, um in Stimmung zu kommen. Sie denken nicht von selbst an Sex, sondern reagieren erst auf Stimulation – Stress kann ihre Lust oft völlig blockieren.
Laut Nagoski erleben rund 30 Prozent eine vorwiegend reaktive Lust, 15 Prozent spontane Lust und etwa 5 Prozent gar keine. Der Rest bewegt sich dazwischen. Während Lust bei Männern zu 75 Prozent spontan entsteht, ist sie bei Frauen häufiger reaktiv.
In der Beratung frage ich deshalb oft: Wie läuft es bei dir ab? Kommst du einfach in Stimmung, oder brauchst du bestimmte Bedingungen? Allein diese Erkenntnis kann Druck nehmen – denn Lust ist individuell und niemals „falsch“ oder „richtig“.
Bevor Lust zurückkehren kann, lohnt es sich, die eigenen Lebensumstände ehrlich zu betrachten: Wer trägt welche Last? Wo gibt es Möglichkeiten, sich gegenseitig zu entlasten? Und wie kann man bewusst Zeit für Nähe schaffen? Viele Paare versuchen, Lust durch romantische Gesten oder erotische Impulse zu steigern. Doch wenn Stress und Überforderung überwiegen, braucht es zuerst Entlastung. Kleine Rituale im Alltag – Berührungen, Nähe ohne Erwartungsdruck – können mehr bewirken als ein geplanter „Lustmoment“.
Lust entsteht nicht nur im Schlafzimmer, sondern im Alltag: durch Wertschätzung, kleine Komplimente und den Blick, der zeigt, dass man sich nicht nur als Eltern, sondern als Partner sieht. Auch geplante Zeiten für Nähe können helfen – aber ohne Zwang. Statt „Dann haben wir Sex“ lieber „Dann nehmen wir uns bewusst Zeit füreinander und schauen, was sich gut anfühlt.“ Oft ist genau diese Leichtigkeit der Schlüssel zu mehr Lust.
Parental Burnout kann eine große Herausforderung für die Beziehung sein. Doch wenn wir verstehen, wie unsere eigene Lust funktioniert, wie Stress sie beeinflusst und welche kleinen Veränderungen helfen können, kommen wir raus aus dem Teufelskreis.
Das Wichtigste? Druck rausnehmen, Bremsen lockern, Beschleuniger bewusst einsetzen. Und manchmal beginnt das alles mit einer einzigen Berührung – ohne Erwartung, aber mit dem Wissen: Wir sind ein Team. Wir kommen da gemeinsam raus.

Heike hat acht Jahre Persönlichkeitsentwicklung hinter sich und 2023 ihre Ausbildung zur Sexualpädagogin und -beraterin abgeschlossen. Mit der Gründung von LiebeLebensLust möchte sie besonders Frauen mehr Körperbewusstein mitgeben, sich mit dem eigenen Geschlecht auseinanderzusetzen. Sie berät Einzelpersonen und Paare in Coachings und Workshops zum Thema Sexualität und allem was dazu gehört.
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