The day that…
Emmi was born
Juliane und ich teilen nicht nur einige Arbeitserfahrungen, sondern auch einen gewissen Pragmatismus und eine heitere Grundhaltung gegenüber dem Leben. Ich habe sie als Freundin und Kollegin immer geschätzt, aber in ihr nie eine Mutter gesehen. Was soll ich sagen, Juliane wurde schwanger und man sah bis zum Schluß nicht, dass diese Frau, die da wild gestikulierend Reden schwang – die Frau ist Produkt Managerin – bald ein Kind gebären sollte. Die Geburtsgeschichte ist entsprechend außergewöhnlich. Ich staunte Bauklötze, als sie mir auf WhatsApp abriß, was passiert war….
Als Juliane mir dann neulich ihre letzte Zugfahrt mit Emmi beschrieb – Mutter springt mit wehendem Haar in der Zug. Dabei platzt ein Knopf ihres Mantels ab, die Reifen vom Kinderwagen blockieren weil zu viel im unteren Fach verstaut und Mutter versucht hektisch zu ermitteln, ob sie im richtigen Teil des Zuges bin (Düsseldorf oder Köln?!?). Im Kinderabteil – natürlich ohne Reservierung – steht ein Streber Vater mit dauerhaft installiertem Bluetooth Headset am Ohr, der bei Eintritt in das Abteil eine Vorstellungsrunde erzwingt. So brausen wir also mit Edgar (1,), Dora (4) und Milo (10 Monate) los. Eddie Bär und sein Vater haben schon 8 Zähne (oder wie meint er das, wenn er von ‘wir’ redet?) – aber immerhin schlafen sie jetzt 6 Stunden am Stück…, habe ich diese Wahnsinnsfrau kurzerhand gebeten, ihre Geburtsgeschichte für uns – und für euch – aufzuschreiben. Und für mehr Humor und Gelassenheit im Mummy-Alltag!
“Eins vorweg: über die Geburtsgeschichte unserer Tochter wurden wirklich viele Sprüche geklopft. Einige habe ich müde belächelt, über andere schallend gelacht. Aber zutreffend war vor allem einer: Erstens – es kommt alles anders. Und zweitens als man denkt.
Ich habe mich während der gesamten Schwangerschaft mit Literatur und Co. relativ zurückgehalten. Auch mit Vorbereitungskursen, Ausstattung und Shoppen. Ok, das mit dem Shoppen war gelogen. Ich war schlichtweg zu faul, Bücher zu wälzen und ein ganzes Wochenende im Schneidersitz auf dem Boden Atmen zu üben. Vielmehr habe ich Freundinnen ausgequetscht. Auch in Sachen Geburt. Von einer lieben Freundin hatte ich eine Beleghebamme empfohlen bekommen, die auch noch einen Platz für mich hatte und die mir sehr die Panik vor der Geburt nahm. Sie sagte Sätze wie: „Ach, das wird total schön. Wir machen eine richtig schöne Geburt. Du brauchst überhaupt keine Angst haben.“ So dachte ich also, ich sei bestens vorbereitet. Die Hebamme kennt mich, coacht mich da durch. Das wird schon – wenn auch nicht unbedingt schön…
Ja. Und dann kam der Mutterschutz. Ich bin unternehmungslustig. Andere würden sagen, vergnügungssüchtig. Also gönnte ich mir vier Wochen vor Entbindungstermin eine Art Abschlussreise. Vorher ließ ich noch brav die Ärztin checken, ob ein Trip durch Deutschland eine gute Idee sei. Die gab grünes Licht. Ich brauste also mit dem Zug von Berlin nach Frankfurt, wollte meine dort lebenden Freundinnen und deren Kinder besuchen. Danach sollte es mit meinem Mann weiter nach Bochum auf eine Hochzeit gehen. Doch soweit kam es leider nicht. Ach was sage ich da, zum Glück!
Denn: in der zweiten Nacht hatte ich, nach einem Tag im Freibad und einem lustigen Abend mit meinen Girls, auf der Gästecouch meiner Kindergartenfreundin Kati und ihres Mannes um 4 Uhr früh einen Blasensprung. Die Couch hat es überlebt – keine Sorge. Es war der Morgen des Brexit. Und bei mir stand nun ein ganz anderer Exit an. Vier Wochen zu früh!
Meine Freunde wuchsen über sich hinaus. Kati ließ sich nicht davon abbringen, mit mir in den Kreißsaal zu fahren. Ihr Sohn sollte beim Vater bleiben. Der buchte seinen Flug zu einem Junggesellenabschied um. Ich wollte noch protestieren, aber irgendwie sah ich mich auch nicht alleine ins Krankenhaus fahren. Wir kennen uns seit über 30 Jahren und haben schon einiges er- und überlebt. Gemeinsam im Kreißsaal im Frankfurter Bürgerhospital – das ist sicherlich das Highlight. Ihr Sohn war genau sechs Monate zuvor dort zur Welt gekommen.
In der Klinik kam ich schnell dran und wurde untersucht. Nach einer kurzen Diskussion , ob ich noch mit dem Zug nach Berlin zurückfahren sollte (ja, es haben mir in der Tat einige Hebammen dazu geraten. Persönlich, nicht medizinisch), entschloss ich mich nach einem Telefonat mit meinem Mann und einem beherzten Anruf meiner Mutter („Du fährst NIRGENDWO hin“) also dazu, unser Kind in Frankfurt zu bekommen. Soviel zum Thema Beleghebamme – und wochenlang gepackter Kliniktasche. Ich betrat das Krankenhaus mit einem Jutebeutel. Inhalt: Wechselschlüpper (als ob man die brauchen würde, hahaha) und eine Zahnbürste. Ich trug ein Bade-/Strandkleid aka Zelt und Flip Flops. Nix Playlist, nix Traubenzucker, nix Massageball.
Meinen Mann rief ich übrigens erst an, nachdem ich bereits untersucht worden war. Er ist Redakteur und musste wegen des Brexit seit 4 Uhr arbeiten. Ich wollte ihn nicht unnötig stressen als noch gar nicht klar war, was nun los war. Um 10 Uhr stieg er in den Flieger und war um 12 Uhr endlich im Krankenhaus. Freitagmittag, wir bezogen ein Zimmer. Ja. Und dann hieß es warten. Warten. Warten. Ich latschte brav alle zwei Stunden zum CTG. An mir vorbei schoben frisch erschlankte Damen ihre süßen Babys und ich konnte es irgendwie kaum noch erwarten.
Mir blieb eine Einleitung zum Glück erspart. Nachts kamen die Wehen. Erst war es Aua, dann doll Aua, dann tat es höllisch weh. Dann litt ich nur noch. Delirium. Mein Mann brachte mir Wasser und versuchte mir so gut es ging beizustehen. Ich dachte ich sterbe.
Es war ein Sommergewitter-Tag – wie ich lernte sehr geburtenreich. Also lag ich am Samstagmorgen um 9 Uhr, nach einer schlaflosen Nacht, statt in einem Kreißsaal auf einer Pritsche und litt. In meiner Erinnerung waren es Stunden über Stunden, mein Mann behauptet es waren gerade mal 90 Minuten. Irgendwann tauchte eine Hebamme auf. Sie untersuchte mich. Ich stieg knallhart in die Schmerzmittel-Verhandlung ein. „Wir müssen über eine PDA reden. JETZT!“ sie: „Geht nicht, der Anästhesist hat keine Zeit.“ Ich: „Ok.“ Ächz. Stöhn. Heul. Moral am Boden. Kein Bock mehr. Scheiße. Dann kam sie wieder: „Der Anästhesist quetscht Sie noch dazwischen.“ Juhu!
Der Gang zum Kreißsaal fühlte sich an wie ein Marathon. Tatsächlich schlürfte ich fünf Meter ins Nachbarzimmer. Die PDA wirkte schnell – ich war kurz davor, dem Herrn im Kittel zum Abschied einen ordentlichen Schmatzer zu verpassen. Ich war wieder die Alte. Machte Scherze. Döste. Quatschte die Leute voll. Ich erinnerte mich sogar an die nette Hebamme vom Vortag und erkundigte mich, ob sie nachmittags wieder da wäre. War sie.
Während des Schichtwechsels dachte ich kurz, das Kind käme. Der Schichtwechsel und eine gründliche Übergabe sind den Hebammen heilig. Also saß eine Hebammen-Studentin an meiner Seite und kontrollierte regelmäßig, ob es ernst wird. Kurzer Blick in die Gefahrenzone: „Also, da ist noch kein Kopf zu sehen.“ Wie beruhigend. Um 14.15 Uhrbetrat die Hebamme vom Vortag den Kreißsaal. Ich glaube, sie freute sich, dass ich explizit nach ihr gefragt hatte. Wir hatten sofort einen Draht zueinander und sie machte einen spitzen Job. Und so kam an diesem Samstag um 15.30 Uhr unsere Tochter Emmi zur Welt. 2790 Gramm schwer, 48 Zentimeter lang. Alles dran. Alles gut.
Auf die Uhrzeit ist mein Fußball begeisterter Mann übrigens besonders stolzJ
Die Geburt – so aufregend die Umstände waren – verlief problemlos. Wir hatten zu keiner Zeit das Gefühl, dass irgendwas nicht in Ordnung wäre. Eine unfassbare Erfahrung, unfassbare Schmerzen, unfassbare Freude. Und – ein unfassbares Glück, dass alles so gut lief. Erst im Nachhinein ist mir so richtig bewusst geworden, wie glücklich man sich schätzen kann und wie dankbar man sein sollte für eine problemlose Geburt.
So war ich im Anschluss auch fit genug, um mit meiner Tochter im Wägelchen auf die Wochenbettstation zurückzulaufen. Und dort wartete meine Mutter. Wir fielen uns hollywoodreif in die Arme. Es fehlten nur noch schnulzige Musik und weinende Komparsen. Sie war spontan aus Hamburg angereist. Mein Vater hielt zuhause die Stellung. Emmi Pauline – so hießen die Mütter meiner Eltern. Beide leider zu früh gestorben. Meine Eltern wussten von unserer Namenswahl nichts und wir konnten es nun meiner Mutter persönlich sagen. Zwei Stunden nach der Geburt. Das war wirklich der schönste und aufregendste Nachmittag meines Lebens.
Nach einigen Tagen im Krankenhaus ging es für uns mit dem Zug nach Berlin.
Nachtrag: Ich war wirklich keine Streber-Schwangere. Die Wickelkommode und ein Babybett zogen erst kurz vor meiner Reise nach Frankfurt bei uns ein. Ich hatte wenig Klamotten für das Baby (in der Mini-Größe gar keine!), keine Windeln, keine weiteren Utensilien. Unsere Familien und Freunde haben – während wir noch in Frankfurt im Krankenhaus waren – alles eingekauft und hergerichtet. Haben sogar den Kinderwagen von Berlin nach Frankfurt transportiert. Mini-Babysachen haben wir noch in Frankfurt geliehen bekommen. Und das war schlussendlich gut für uns, denn so haben wir fast nur Sachen angeschafft, die wir auch wirklich gebraucht haben. Und wenn ein Kind geboren wird, wachsen Familie und Freunde über sich hinaus. Jeder hilft, ohne zu zögern!
Was ich allerdings empfehle: Die Unterlagen, die man für die Anmeldung des Kindes braucht, sollte man früh raussuchen, und den Mutterpass muss man immer dabei haben. Vor allem auf Reisen.”
Danke liebe Juliane, dass wir Deine Geschichte bei uns veröffentlichen dürfen!
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Papi/opi
Eine spannende Geschichte für Jules Vater, der schon bei ihrer Geburt dabei. Freudig rief er aus, weil er es eher als die Mutter sah: es ist ein Mädchen!