Geburts-Story Von Camilla 2The day that Helene was born" / Es war der schlimmste und schönste Tag in meinem Leben

Spätestens nach meinem Beitrag letzte Woche haben wir gemerkt, dass es sehr viel Gesprächsbedarf rund um das Thema Geburt gibt. Kein Wunder, schließlich ist das ein großes emotionales Thema, vor dem viele Frauen Angst haben oder zumindest versuchen, es so gut wie es geht zu verdrängen. Und jede, ja wirklich jede Geburt läuft unterschiedlich ab – sehr häufig mit sogenannten „Komplikationen“ und viele Geburten enden mit einem Kaiserschnitt. Es gibt Frauen, für die ist eine Geburt traumatisch und Frauen, die finden die Geburt nur halb so schlimm. Es gibt lange und kurze Geburten, es gibt unzählige Möglichkeiten wie eine Geburt ablaufen kann. Und selbst wenn zwei Frauen ein und dieselbe Geburt erleben könnten, würden sicherlich beide die Geburt komplett unterschiedlich bewerten. Warum? Ganz einfach, jede Frau ist anders, jede hat eine andere Schmerzgrenze, ein anderes Empfinden und so werden Dinge ganz unterschiedlich wahrgenommen. 

Wir haben lange überlegt wie wir mit dem Thema umgehen sollen, wie wir es präsent machen, ohne dabei Meinungen vorgeben zu wollen oder gar abzuschrecken. Denn so schrecklich eine Geburt auch sein kann, so schön kann es halt auch sein. Also haben wir uns überlegt mit der größten Offenheit an das Thema heranzugehen und die Geburts-storys unserer Kids aufzuschreiben. Was wir uns erhoffen? Ganz klar, wir wollen Mut machen, wir wollen zeigen, dass es bei uns allen komplett unterschiedlich abgelaufen ist. wir wollen deutlich machen, dass auch Komplikationen dazugehören, am Ende aber einfach die schönste Erfahrung der Welt auf einen wartet. Außerdem wünschen wir uns, dass vielleicht einige von Euch unserem Beispiel folgen und würden uns sehr über einige Gastbeiträge freuen! Denn mit viel Offenheit und Ehrlichkeit kann man sicherlich vielen Frauen die Angst nehmen und gleichzeitig vielleicht auch über Risiken informieren, über die man zuvor gar nicht informiert war! Doch fangen wir am besten einfach mal – mit dem Tag, an dem Helene zur Welt kam…

camilla kurz vor der Entbindung im Krankenhaus

„Der eigentliche Geburtstermin war der 1. Juli 2013 und ich war längst bereit, dass das kleine Supergirl endlich zur Welt kommt. Doch falsch gedacht – ich musste noch weitere 10 Tage warten, denn sie schien sich ganz wohl zu fühlen. Ich musste regelmäßig ins Krankenhaus fahren und wurde ans CTG angeschlossen, als Deadline für die Einleitung der Geburt wurde der 10. Juli angesetzt. Und als hätte sie es geahnt, gingen meine Wehen pünktlich am Abend vorher los. Alles noch ganz entspannt und wie ein starker Regelschmerz, sodass ich mich erst mal Schlafen legte. Morgens um fünf Uhr kamen die Wehen schon alle 5 Minuten – ab da war nicht mehr an Schlaf zu denken. Also lief ich weitere vier Stunden in der Wohnung umher, bis wir uns entschlossen ins Krankenhaus zu fahren. Dort angekommen entschuldigte ich mich fast hundert mal, dass wir schon da waren – irgendwie fühlte ich mich leicht hysterisch. In meiner Vorstellung sah das alles irgendwie anders aus. Beeinflusst durch viele Filme, in denen das Thema Geburt und Wehen der Dramaturgie wegen kurz, heftig und schmerzvoll dargestellt wurde, fühlte es sich nicht richtig an schon im Krankenhaus zu sein, wenn ich noch Laufen und die Wehen recht gut wegatmen konnte. Die Hebamme (in der ersten Woche im Job!) erlöste mich immerhin mit den Worten „Das ist schon richtig, dass Sie jetzt hier sind!“… 
Die nächsten drei Stunden lief alles super, die Wehen wurden immer stärker und ich wurde immer stiller, konzentriert auf die Schmerzen. Gegen kurz nach 12 Uhr warf ich all meine guten Vorsätze, die Geburt komplett ohne Schmerzmittel und PDA zu überstehen über den Haufen und verlangte danach. Da ich in der Schwangerschaft fast 25 Kilo zugenommen und extreme Wassereinlagerungen hatte, brauchte es knapp 20 Versuche und und zwei Hebammen, eine Schwester und eine Ärztin mir einen Zugang zu legen. Doch die Schmerzmittel wirkten nicht. Als ich dann irgendwann mal einen Blick auf meine Hand warf merkte ich, dass sie keinen Zugang gefunden hatte und die gesamte Flüssigkeit samt schmerzstillendem Medikament einfach in mein Gewebe tropfte. Die Hand war also auf nahezu doppelte Größe angeschwollen und die Schmerzen wurden langsam (zumindest dachte ich so in diesem Moment) nicht mehr aushaltbar. Zum Glück wusste ich nicht, welche Schmerzen da noch auf mich zukommen würden…

Ich hatte mich kurz zuvor mit der französischen Kindererziehung beschäftigt und wusste, dass sich französische Frauen grundsätzlich eine PDA legen lassen. Also wieder über Board mit meinen Vorsätzen, ich wollte eine PDA. Ich hatte mich in der Schwangerschaft intensiv damit auseinandergesetzt und wahnsinnige Angst vor der langen Kanüle, die einem in den Rücken geschoben wird. In den Wehen liegend war mir das, ehrlich gesagt, völlig egal. Ich dachte nur „Warum tue ich mir das an? Die Französinnen machen es wahrscheinlich richtig.“. Also gab es für mich keinen Grund mehr die PDA nicht mehr zu wollen. Mein Freund wurde kreidebleich als er die lange Kanüle sah – mir war es egal, schließlich saß der Arzt hinter mir und ich war viel zu konzentriert auf die Schmerzen, als dass ich hätte mir Gedanken über die Nadel machen können…

Leider gab es auch hier wieder einen Haken: die PDA ging bei mir irgendwie daneben. Wie auch die vorherigen Schmerzmittel  landete die Flüssigkeit irgendwo, nur nicht dort, wo sie den Schmerz hätte mindern können. also ergab ich mich meinem Schicksal – anscheinend sollte ich alles mit voller Intensität erleben. Und im Grunde lief auch alles recht gut. Innerhalb von 6 Stunden öffnete sich der Muttermund um 10 cm, die Wehen schritten rasant voran und wir wechselten rüber in den Kreißsaal. Mittlerweile war Schichtwechsel und ich hatte eine neue Hebamme – allerdings auch erst im zweiten Jahr im Job. Dazu auch noch eine ganz junge Praktikantin, die mit mir ihre erste Geburt erlebte (Das arme Mädchen hatte am nächsten Tag sicherlich eine blaue Hand…). Noch war ich in recht guter Verfassung – die Wehen kamen etwa alle 2-3 Minuten und ich machte jede auch nur erdenkliche Positionsänderung mit, um zu schauen in welcher Haltung es am besten aushaltbar war. Bis zu den Presswehen hielt ich es noch einigermaßen im Stehen aus – ich dachte ich arbeite am besten mit der Erdanziehung. Doch als ich wirklich alle 1,5 Minuten Wehen hatte, konnte ich das Gefühl nur noch auf der Liege überstehen. Mir wurde vorher immer erzählt, dass die Pausen länger sind als die Wehen und man Zeit hätte sich zwischendrin zu erholen. Das ist wirklich völliger Bullshit – das muss ich hier in aller Deutlichkeit sagen. Ich hatte 1 Minuten lang die Wehe, dann eine halbe Minute lang Pause. Das reicht gerade mal um durchzuatmen. In den Pausen wiederholte mein Freund folgende zwei Sätze wie ein Mantra: „Du machst das super!“ und „Du schaffst das!“, während der Wehe lies er sich gemeinsam mit der Praktikantin von mir die Hand zerquetschen und anschreien. Es ist schon erstaunlich zu welchen tiefen Ur-Geräuschen man fähig ist. In meiner Erinnerung bleibt immer noch der Gedanke, dass ich mich angehört haben muss wie eine röhrende Elchkuh. Trotz der schnell aufeinander folgenden Wehen sagte die Hebamme mir, dass ich versuchen sollte nicht zu pressen und nach knapp einer Stunde platze auch endlich die Fruchtblase. Mir wurde vorweg immer erzählt, dass  das Fruchtwasser klar sein würde. Ich war also in meiner kurzen Wehenpause sehr verwundert, dass das Fruchtwasser grünlich war. Aber um sich wirklich Gedanken zu machen oder danach zufragen war wirklich keine Zeit, schließlich folgte direkt die nächste Wehe… 

Um das ganze mal ein wenig abzukürzen: Der tiefe, dunkle Ton, der mich an eine röhrende Elchkuh erinnerte, ging einfach über in fast hysterisches Schreien und Weinen über. Warum? Helene kam nicht voran. Sie lag zwar seit Beginn der Geburt schon ideal, passte aber einfach nicht durch den Geburtskanal. In der Wehe drückte sie mit ihrem Köpfchen zwar immer ein wenig nach unten, in der Pause rutsche sie aber sofort wieder nach oben. Und der Schmerz war einfach unerträglich. Um mich waren Hebamme und Ärzte versammelt, steckten abwechselnd den Arm in mich hinein und tasteten Helene während der Wehe ab. Sie waren der Meinung es bis zum Ultimo auf natürlichem Weg (=spontane Geburt) zu versuchen – und während ich schon soweit war, einen Kaiserschnitt einzufordern, motivierte mein Freund mich weiter. An diesem Punkt hatte ich das Gefühl, dass keiner mehr für mich kämpfen würde und verfluchte mich, dass ich mich nicht rechtzeitig um eine Beleghebamme gekümmert hatte, die mich gekannt hätte und gewusst hätte, dass ich auch in dieser Extremsituation eine bewusste Entscheidung treffen würde. Also schrie und weinte ich noch knapp zwei Stunden weiter, bis sich alle einige waren, dass man nicht viel länger warten könnte und nun den OP fertig machen würde. Mir wurde Wehen hemmendes Mittel über einen neuen Zugang gegeben, dass die Spitzen der Wehen nehmen sollte – doch bei meiner ganzen Geschichte wird es niemanden wundern, wenn ich jetzt schreibe: es hat nicht gewirkt. Anscheinend der rote Faden von Helenes Geburt, denn es lief wirklich nichts so, wie es sollte. Dann folgten die  schlimmsten Minuten von allen, denn es dauerte geschlagene 45 Minuten bis der OP gesäubert und für mich bereit war, die Ärzte anwesend und ich die erlösende Spinalanästhesie bekam, die mich von den schrecklichsten Schmerzen der Welt erlöste. Was für viele Frauen wahrscheinlich der blanke Horror war, war für mich die ersehnte Erlösung. Ich lag zitternd auf dem OP-Tisch, mein Freund hielt meine Hand und wir konnten zuhören, wie man mich in 5 Minuten Aufschnitt, an mir rüttelte und schließlich ein gurgelnder Schrei unserer Tochter kam. Sie wurde uns gezeigt und dann direkt schnell von dem Kinderarzt untersucht. Der erlösende, gurgelnde Schrei war für uns das schönste Geräusch auf der Welt.

Whats App Nachricht zur Geburt an Freunde und Verwandte

Als wir sie sahen, waren wir beide ein wenig geschockt. Wir hatten das hübscheste kleine Baby auf der Welt erwartet. Nicht weil sie direkt so hübsch sein würde – wir wussten, dass Neugeborene nicht wirklich hübsch anzusehen sind. Aber wir dachten, weil sie ja unsere Tochter ist, würde sie für uns einfach das schönste Wesen auf der Welt sein. Und dann kam da dieser kleine Gollum raus, die eine plattgedrückte Nase wie ein Boxer hatte und total verquollen war. Nicht rosig, nicht zart, einfach nur wie ein kleiner, ziemlich hässlicher Mini-Mensch. Darauf waren wir nicht vorbereitet. Ich zitterte am ganzen Körper, war unendlich erschöpft, lag noch mit offenem Bauch auf dem OP-Tisch und sollte zu großen Emotionen bereit sein? Nein, das war ich nicht. Ich fragte meinen Freund ob sie so sei, wie er sie sich vorgestellt hatte. Er antwortete „Na ja, sie ist gesund!“, weil auch er nicht wusste was er sagen sollte. Und weil meine OP ja noch nicht beendet war, wurde ich in den nächsten 30 Minuten zugenäht, während Danilo seine Tochter in dem Armen hielt und kennenlernen durfte!

Ich muss an dieser Stelle sagen, dass ich mir das ganze anders vorgestellt hatte, aber auch nicht tief unglücklich war. Ich habe alles einfach so genommen wie es war – schließlich konnte ich nichts davon ändern und darüber unglücklich sein ist einfach verschwendete Zeit. Das kann ich natürlich auch nur so schreiben, weil ich sehr pragmatisch sein kann und meine Energie lieber in positive Dinge stecke als Wünschen hinterherzuhängen. Und genau das kam mir kurz darauf auch sehr zugute, denn als ich endlich meine Tochter das erste Mal in den Armen hielt und sich endlich dieses Gefühl der puren Liebe in mir ausbreitete, kam schon der Arzt und teilte uns mit, dass unsere kleine Tochter, die wir von nun an nicht mehr aus den Armen geben wollten, eine Fruchtwasserinfektion hatte und auf der Neonatologie behandelt werden müsse. Das war es es also mit dem reservierten Familienzimmer, mit dem sanften Ankommen. Dahin die Vorstellung über das schlafende Kind zu wachen, ihren Atem und jede ihrer Bewegungen zu beobachten. So hatten wir uns das nicht vorgestellt. Das war einfach unfair und schrecklich. Eine halbe Stunde durfte ich sie im arm halten, dann wurde sie mir wieder weggenommen. Klar, sie wurde auf eine andere Station gebracht und behandelt, aber ich musste mich von ihr trennen. Das war zuviel für mich. Ich brach erst in Tränen aus, dann brach mein Kreislauf weg. Also begleitete Danilo unsere Tochter auf die Station, während die Ärzte mich an den Tropf hängten (komisch, jetzt konnten sie mir einen Zugang legen…) und mich mit Flüssigkeit und Medikamenten stabilisierten. Nach schier unendlich langen Stunden, holte mich mein Freund gemeinsam mit einer Schwester ab, und sie brachten mich zu Helene…

Was folgte? Sehr schwierige 5 Nächte und Tage im Krankenhaus, mit sehr, sehr vielen Tränen und Anstrengung. All das hatte ich mir so nicht vorgestellt, aber es war nun einmal so. Die Schwestern auf der Neonatologie waren wunderbar und haben uns trotz der Umstände den Start mit Helene sehr erleichtert. Mein Freund fuhr über Nacht nach Hause, damit wenigsten einer von uns etwas Schlaf bekam und ich hörte Helene über den Hof schreien, wenn sie Hunger hatte, sodass ich direkt die Milchpumpe anschließen konnte um endlich den ersehnten Milcheinschuss zu bekommen. Das Thema Stillen und Fläschchen ist eine Geschichte für sich, die ich ja bereits in einer ausführlichen Kolumne aufgeschrieben habe.“

Camilla & Helene

Alles in Allem kann ich rückblickend und auch für die Zukunft sagen, dass…

… wirklich einiges schief gelaufen ist. 

… ich wirklich Pech mit zwei sehr unerfahrenen Hebammen hatte, denn in späteren Gesprächen erfuhr ich, dass Dinge von erfahreneren Hebammen schneller erkannt und anders eingeschätzt worden wären.

… ein Kaiserschnitt gar nicht so schlimm ist. Meine Bindung ist nicht weniger und ich bin auch nicht tief traumatisiert. Der Heilungsprozess hat einfach ein bissl länger gedauert.

… ich auf jeden Fall noch ein Kind haben möchte und keine Angst davor habe.

… ich es gerne noch mal mit einer spontanen Geburt probiere, aber auch kein Problem damit habe, wenn es doch nochmal ein Kaiserschnitt wird. Schließlich weiß ich ja jetzt was auf mich zukommt!

… ich auch wieder ins gleiche Krankenhaus gehen würde, allerdings kümmere ich mich das nächste mal rechtzeitig um eine Beleghebamme.

… eine Geburt kein Zuckerschlecken ist, aber am Ende steht die schönste Erfahrung der Welt und die ist jede Wehe und Komplikation wert!

Ich habe gerade noch mal meinen Freund gefragt, was er an der gesamten Geburt am schlimmsten fand. Er konnte mir darauf keine wirkliche Antwort geben. Er fand es schwer, dass er mir nicht helfen konnte, aber wirklich schlimm fand er gar nichts. Und dass er diese Erfahrung auf keinen Fall missen möchte, denn es ist eine der tollsten in seinem ganzen Leben!