Wir hatten hier ja schon einige Geburtsgeschichten der besonderen Art. Eine natürliche Geburt aus Beckenendlage, eine natürliche Zwillingsgeburt, Präeklampsie und andere Überraschungen – und natürlich ist jede Geburt an sich, etwas einmaliges! Dieser Bericht hier schießt allerdings den Vogel ab. Er vereint so viele Höhepunkte in sich, dass man gar nicht weiß, was man zuerst feiern soll… Selbstbestimmung, Hebammen, Hausgeburt, anwesende Geschwisterkinder – oder doch das neue Jahr?

Raclette oder doch was vom Grill? Das war eigentlich die größte Frage, die uns am Silvestertag umtrieb. Wir einigten uns aufs Grillen und während ich so gegen 19 Uhr da saß und die Fächerkartoffeln einzeln mit Gewürzen spikte, spürte ich die ersten Male ein kräftiges Ziehen im Bauch. OK, das müssen ganz klar die Vorwehen sein. Denn obwohl der ET schon 3 Tage in der Vergangenheit lag, war ich mir ganz sicher, dieses Kind wird genau wie sein Papa, die große Schwester und einige weitere Familienmitglieder auf der Seite meines Mannes, am 5. des Monats zur Welt kommen! Zudem kam meine erste Tochter Livia vor 21 Monaten auch mit ET+12 zur Welt und da es noch am selben Tag bei der ärztlichen Untersuchung keine Anzeichen auf einen baldigen Geburtsbeginn gab, stellte ich mich auch hier auf eine längere Wartezeit ein.

In weiser Voraussicht informierte ich aber dennoch meine Hebamme Christiane Hammerl, die mich direkt in die Badewanne schickte um zu sehen, wie sich diese ersten Wehen wohl entwickeln würden.

Kind und Kartoffeln wurden also von meinem Mann weiter versorgt und ich machte es mir in der Wanne bei Kerzenschein und mit geburtstauglicher Musik von Nina Lee und Boy gemütlich. Ich lud noch einen Wehenzähler auf ́s iPhone und siehe da, das ging recht schnell in einen regelmäßigen 5-minuten Rhythmus über. Ich sprach mit meinem Baby, dass es natürlich kommen kann wann immer es möchte, ich aber auch nichts dagegen hätte, wenn es nicht gerade die Silvesternacht wäre. Die Wehen waren weiterhin regelmäßig, aber noch sehr gut auszuhalten und zu veratmen. Ich legte mich von der Wanne auf’s Sofa, las meiner kleinen-großen Tochter noch ein Buch vor, das aber immer wieder mit dem Veratmen der Wehen unterbrochen werden musste. „Mama weint?“ fragte mich die fast Zweijährige ganz interessiert, woraufhin ich ihr erklärte, dass das Baby bald kommt und Mama dadurch immer wieder Schmerzen hat.

Damit war dieses Thema für sie auch erledigt und so lange ich ihr weiterhin aus dem Buch vorlesen würde, war das auch vollkommen in Ordnung für sie.

Etwas später wurde Livia von meinem Mann zu Bett gebracht und ich sprach mich erneut mit Christiane ab. Die ordnete erst einmal an, den Pool, den wir für unsere Hausgeburt organisiert hatten, aufzubauen und alles, was für die Geburt benötigt würde, bereitzustellen. OH, wie jetzt? So langsam wurde mir also auch klar, dass es dann wohl tatsächlich heute noch los gehen könnte. An Silvester!?

Auf keinen Fall wollte ich meine Hebamme hier in der Silvesternacht bei mir sitzen haben, während sich die Geburt womöglich noch Stunden hinziehen und sie diese Zeit auch mit ihrer Familie und ihren Freunden verbringen könnte. Die Wehen waren noch lange nicht „geburtstauglich“, das war mir durch die Geburt meiner ersten Tochter klar, also vereinbarten Christiane und ich, dass wir hier alles vorbereiten und ich sie informieren würde, sobald ich ein ungutes Gefühl hätte, weitere Unterstützung bräuchte oder die Wehen noch stärker würden.

Mein Mann fing also an, alles bereit zu stellen. Zum Glück hatte ich alles Geburtsrelevante schon in transparente Kisten verpackt, die er mir nur noch an die passenden Stellen rücken musste. Ich dirigierte also fleißig von meinem Sofa aus und veratmete hier und da eine Wehe im Liegen, während er ganz schön ins Schwitzen kam. Kisten schleppen, Pool aufbauen, Schlauch anschließen, Geburtstee kochen, Kerzen entzünden – ja, er war echt gut gefordert. Die größte Herausforderung war allerdings, den Pool bei uns im 5. Stock mit ausreichend Wasser zu füllen. So ein Pool benötigt ja ein paar Liter und so wie das hier tröpfchenweise aus dem Schlauch kleckerte konnte man nur hoffen, dass das hier noch viele Stunden dauern würde… Unsere Küche ähnelte also schnell der einer Großfamilie: alle verfügbaren Töpfe standen auf dem Herd und sorgten zusammen mit dem Wasserkocher für die passende Wassertemperatur.

In den Wehenpausen wählte ich aus meinen „GoMamaCards“ immer wieder eine neue Affirmation, zu der ich die kommende Wehe veratmete. Diese Karten beinhalten auf jeder Seite eine positive Bestärkung oder ein Mantra, die mir schon im Vorfeld halfen mich mental auf ein positives Geburtserlebnis vorzubereiten und mir jetzt immer wieder die Kraft gaben, auf mich zu vertrauen und bei mir und meinem Baby zu bleiben.

Gegen 23:00 Uhr wurde mein Wohlbefinden dann irgendwie anders. Ich kam weiterhin gut zurecht, musste aber ständig zur Toilette, konnte die Wehen teilweise nicht mehr im Liegen veratmen und sah mich stattdessen gestützt an der Heizung in unserem Bad, vor dem Sessel auf dem Boden und beckenkreisend im Flur. Ich entschuldigte mich schon am Telefon bei Christiane, dass ich sie ausgerechnet jetzt rufen würde und ich auch wirklich Bedenken hätte, dass dies falscher Alarm wäre. Christiane hingegen war total entspannt. Für sie war sofort klar, dass sie nun kommt, um mich zu untersuchen und falls die Geburt wirklich noch gar nicht absehbar sei und es mir gut ginge, könnte sie schließlich immer noch gehen. Abgemacht, mit diesem Deal konnte auch ich gut leben.

Kaum aufgelegt ging es so richtig los. Da waren plötzlich Schmerzen, die mich echt umhauten. Ich fing an zu tönen, wurde immer lauter und war immer öfter richtig weggetreten und während der Wehen nicht mehr ansprechbar. Ich konnte mich kaum noch auf meine Atmung konzentrieren und sagte nur noch Mantraartig zu mir selbst „Mach dich weit, mach deinem Baby Platz, mach dich ganz weit“. Es war kaum auszuhalten und ich war so froh, dass Christiane jeden Moment hier sein würde. Um 23:30 Uhr sah ich sie nur aus dem Augenwinkel in ihrem schicken Silvester-Kaviar-Gauche-Outfit und dem überdimensionalen Hausgeburts-Rucksack die Tür rein kommen. Sie wechselte in ihre geburtstaugliche Kleidung und sprach mich ganz liebevoll und beruhigend an, was ich aber im Tönen und der Konzentration kaum mitbekam.

Die Untersuchung durch Christiane zeigte, dass es hier ordentlich voran ging: Muttermund bis auf Saum vollständig geöffnet! DAS war echt eine Ansage! Lange kann es nicht mehr dauern. Christiane hingegen kam nun richtig ins Schwitzen, musste sie doch jetzt auf die Schnelle noch eine zweite Hebamme für die Geburt organisieren und da war klar, dass das im Silvestergeböller so kurz vor Mitternacht vielleicht nicht ganz der optimalste Zeitpunkt sei. Und da kam Sissi Rasche ins Spiel, die kurz zuvor noch im Flieger aus Südafrika saß und eigentlich bei einer ausgelassenen Party in meiner Nähe ins neue Jahr feiern wollte.

 

Der schlafenden Tochter war die Lautstärke aus meinem Tönen und dem immer lauter werdenden Silvesterknallen irgendwann auch zu viel, sie musste durch meinen Mann beruhigt und bestenfalls zum Weiterschlafen gebracht werden. Also war Christiane auch noch für den Pool zuständig und der war zu diesem Zeitpunkt weder ausreichend gefüllt, noch richtig warm. Wann immer ich in den kurzen Wehenpausen meine Augen öffnete, sah ich Christiane also an mir vorbei flitzen: hier einen Wassertopf in den Pool, da den Ofen für das Anwärmen der Handtücher vorbereiten und wieder eine Wasserladung ins Becken. Vor unserer Fensterfront wurde das Feuerwerk inzwischen immer spektakulärer, Mitternacht war also nicht mehr weit.

Das sah mein Baby wohl auch als würdigen Geburtsmoment und so setzte um 23:58 Uhr die erste Presswehe ein. Der Pool war endlich soweit und mit Christianes Hilfe schaffte ich es in einer Wehenpause auch noch, ins angenehm warme Wasser zu steigen. Um Mitternacht war das Farbenspiel, der Lärm und die Helligkeit vor unserem Fenster so stark, dass ich mich wegdrehen musste, um bei mir und dem Baby zu bleiben. Nach der zweiten Presswehe fühlte ich in meine Scheide – einen Tipp, den mir meine Hebamme schon bei der ersten Geburt gab – und das war wieder so ein unglaublicher Motivationsschub. Das Köpfchen war ganz deutlich zu spüren und es war klar, dass mein Baby bald bei mir sein wird. Bei der nächsten Presswehe gab es einen lauten „Plop“ – die Fruchtblase platze.

Sissi war derweil auch eingetroffen und setzte sich mit Handykamera bepackt zu uns, um diesen magischen Moment festzuhalten. Meinen Mann wollten wir nun auch zu uns rufen und da bei der großen Tochter in keinster Weise an Schlaf zu denken war, war sie auch bei der Geburt dabei.

Ich presste, tönte und schrie was das Zeug hielt und bin im Nachgang doch ganz dankbar, dass meine Lautstärke durch das Feuerwerk übertönt wurde – auch wenn die Nachbarn im Vorhinein informiert wurden, dass wir eine Hausgeburt planen und es eines Tages etwas lauter werden könnte. Livia schaute auf dem Arm meines Mannes interessiert dem Geschehen zu und wurde dabei sprachlich von meinem Mann begleitet. Trotz der nicht übersehbaren Schmerzen bin ich mir ganz sicher, dass auch sie die positive und unterstützende Atmosphäre spürte und sie eine Geburt als ganz natürlichen Prozess wahrgenommen hat.

Mit der nächsten Presswehe stützte ich mich mit all meiner Kraft am Pool ab, schrie ein lautes und langes „Jaaaaaa“ und gebar den Kopf meines Kindes in die Hände von Christiane. Eine weitere Wehe später wurde der restliche Körper geboren und mir in meine Arme gelegt. Ich fing an zu Winseln und bitterlich zu weinen. Aus Erleichterung, aus einer riesen Portion Stolz und einer absolut nicht haltbaren Flut an Emotionen, die ich bei diesem kleinen, perfekten Bündel in meinem Arm verspürte.

Eine ganze Weile später schaute ich erst auf das Geschlecht, das wir bis dato noch gar nicht wussten: ein Mädchen.

Unsere zweite Tochter wurde am 1.1.18 um 00:19 Uhr in unserem Wohnzimmer bei spektakulärem Blick auf das Berliner Silvester-Feuerwerk geboren und wir gaben ihr den passenden Namen Nova, was „die Neue“ und „hell leuchtender Stern“ bedeutet. Die große Schwester kam angetapst um ihre kleine Schwester zu begrüßen, sie zu streicheln und zu küssen. Wir ließen die Nabelschnur auspulsieren, Nova fing an zu schreien und so kuschelten wir die ersten Minuten im Geburtspool. Erst dann ging es einen Meter weiter auf das Sofa, wo ich noch die Plazenta gebar und Nova zum ersten Mal von mir gestillt wurde.

Dort verbrachte ich dann auch die ersten Tage im Wochenbett, wo mich die Nachwehen noch ziemlich in Schach hielten. Schon bei meiner ersten Tochter spürte ich diese sehr intensiv, was bei meiner zweiten Tochter aber noch um einiges zugenommen hat. Ich greife nie schnell zu Medikamenten, aber hier kam ich an den Punkt, an dem ich es ohne Schmerzmittel irgendwann nicht mehr aushalten konnte. Zum Glück hat uns auch dabei Christiane genauso kompetent und wertschätzend begleitet. Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte und für die ich genauso unendlich dankbar bin, wie für diese selbstbestimmte und kraftvolle Geburt.

Im Nachhinein war mir auch klar, dass Nova sich natürlich den Ersten des Monats als Geburtstermin aussucht. Schließlich gibt es auf meiner Seite der Familie ganze drei direkte Verwandte von Nova, die auch am Ersten kamen – und eine davon bin ich.

In diesem Sinne: Happy New Nova! Und alles Liebe, Astrid, für dich und deine kleine Familie!

Fotos: Tanita Karkuth – Karkuth Photography und Privat