Jeden Tags auf’s Neue überrollt uns der Alltag. Wir wiederholen uns und wünschen uns eigentlich nichts sehnlicher als auszubrechen. Doch sind wir überhaupt dazu in der Lage? Ein tiefer Einblick in den Habitus des Menschen zeigt, dass wir es gar nicht schaffen, auch wenn wir wollten…

Aufstehen, Frühstücken, Kinder anziehen, Schule, Kindergarten, Büro, zurück in den Kindergarten, Schule, nach Hause, Spielen, Aufräumen, Wäsche machen, Essen zubereiten, Kinder ins Bett, Sofa. Und wieder vorne. Alles schneller, immer mehr. Willkommen im Alltag! Ein Tag wie alle Tage. Abgesehen von Wochenenden und Ferien. Da darf das Rad, das sich immer dreht, auch kurz gestoppt werden. Pausen werden eingelegt. Ausflüge stehen an oder es wird einfach nur zu Hause rumgelümmelt. Leider besteht die Woche nur aus zwei Wochenendtagen. Die restlichen fünf Tage laufen in der Regel immer gleich ab. Lediglich die Launen der involvierten Personen oder das Essen ändern sich hin und wieder. Unser Alltag wird immer schneller und voller. 

Angefangen beim Schlaf. So hat die Schlafdauer beim Menschen seit dem 19. Jahrhundert im Schnitt um ganze 2 Stunden und seit den 70iger um 30 Minuten abgenommen. Die Geschwindigkeit hingegen nimmt in allem stetig zu. So hat der britische Psychologe Richard Wiseman in zahlreichen Städten der Erde untersucht, in welchem Tempo Passanten sich fortbewegen. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Geschwindigkeit innerhalb eines Jahrzehnts um rund zehn Prozent zugenommen hat. So versucht der Mensch zwar in vielen Punkten Zeit zu sparen, sei es um schneller von A nach B zu kommen oder auf Fast bzw. Convenient Food umzusteigen. Allerdings nutzt er die Zeit dann nicht für sich selbst, sondern füllt sie mit anderen Dingen. Ein Paradoxon, wenn man bedenkt, dass wir eigentlich versuchen unsere Alltagsprozesse stetig zu optimieren und zu verbessern, im Gegensatz dazu unsere Handlungsoptionen aber immer größer werden. Wir bürden uns immer mehr auf.
So überträgt sich das allgemeine Verhalten auch auf unseren persönlichen Alltag. Dem Versuch, längst möglich zu schlafen, entkommen wir nur durch Hektik am Morgen. Ich möchte den Kindern mehr Schlaf gönnen, der Preis dafür ist, dass sie alles im Eiltempo erledigen müssen.

Vom Frühstück bis hin zum Anziehen. Ständig entkommt mir ein: „Los, jetzt aber, wir sind spät dran!“ Die Alternative wäre, sie abends früher schlafen zu legen. Aber mit Spielen, Essen und Bettfertig machen bleibt einfach nicht genug Zeit. Zumal wir frühestens um halb 5 nachmittags unsere Wohnungstür zusammen aufschließen. Warum? Weil unser großer zum einen eine Ganztagsschule besucht, sprich, sich von 8 bis 16 Uhr in der Schule aufhält. Zum anderen bin ich beruflich wieder mehr eingebunden und stehe den Kindern erst nachmittags zur Verfügung. Daher haben wir uns auch gegen zusätzliche Programmpunkte entschieden, die in unserem Freundeskreis äußerst beliebt sind. Denn durch die Schule hat sich unser Rhythmus wesentlich verändert. Es bleibt leider weniger Zeit für nicht alltägliche Dinge, zumal in den eigenen 4 Wänden noch so etwas wie Haushalt auf mich wartet. Kleinigkeiten, wie aufräumen erledige ich gern mal sobald die Kinder im Bett liegen. Wäsche, Einkaufen & Co stehen zwischendurch auf dem Plan – schließlich möchte ich die ruhigen Momente auf meinem heiligen Sofa nicht missen.
Denn auch, wenn man die Zeit mit den Kindern genießen möchte und sollte, bleiben wir realistisch, brauchen wir in unserem Trott ebenso Auszeiten. Und wenn das – für mich – bedeutet auf der Couch sitzen und stricken. Ja, trotz meiner jungen 38 Jahre ist das eines meiner liebsten Hobbies geworden. Es entspannt mich einfach, meinen Kopf kann ich dabei mittlerweile so gut wie ausschalten und die schnellen Ergebnisse verschaffen mir, wenn auch nur kleine, Erfolgserlebnisse. Somit ist das meine Art und Weise aus dem Alltagstrott auszubrechen, obwohl es andererseits ein großer Bestandteil dessen ist. Ich freue mich aber jeden Tag auf’s Neue darauf die Nadeln endlich in die Hand nehmen zu können. Und so dreht sich das Rad fünf Tage die Woche gleich. Insofern keine Störfaktoren dazwischenkommen. So arbeiten wir von Tag für Tag erneut auf’s Wochenende hin und Woche für Woche den Urlauben entgegen und wünschen uns täglich aus dem Alltagstrott raus.

Stellen wir uns vor, es wäre anders. Wir hätten mehr Zeit, der Alltag wäre Vergangenheit. Hält es der Mensch auf Dauer aus nichts zu tun? Forschungsergebnisse um den Psychologen Timothy Wilson von der Universität Virginia wiesen nach, dass diese Situation einem Horrorszenario entspricht. Im Zuge eines Experiments wurde Probanden aller Altersklassen einzeln in einen Raum gesetzt und aufgefordert 6 bis 15 Minuten lang still zu sitzen und ihren Gedanken nachzugehen. Resultat: Die Mehrheit reagierte mit deutlichen Anzeichen von Unwohlsein. In einem weiteren Versuch hatten die Testpersonen sogar die Möglichkeit, sich selbst in einer 15-minütigen Ruhephase einen leichten Elektroschock zu verpassen. Sage und schreibe zwei Drittel aller Männer und ein Viertel aller getesteten Frauen versetzten sich lieber mindestens einen Schlag als einfach still zu sitzen. Wie kann das sein, warum können wir Pausen und Ruhezeiten nicht annehmen?
Nach Ansicht eines bekannten Soziologen sei es ein Problem der „westlichen Gesellschaft“. Immer weniger Menschen glauben an ein Leben nach dem Tod oder an Wiedergeburt, in dem sie Dinge vielleicht anders oder besser machen könnten und haben das Gefühl, sie müssen in den Jahren, die ihnen bleiben alles erledigen und schaffen. 

 

Wir sehen Pausen als verlorene Zeit. Insofern rennen wir weiter, erledigen, was das Zeug hält und übernehmen uns. Nicht umsonst sind Burnout, Herzinfarkt & Co ständige Begleiter unseres Alltags. Die gute Nachricht: Die Problematik wurde erkannt. Stück für Stück stellen wir sowohl im privaten als auch im beruflichen um. Vom Fast zum Slow Food, von festen zu flexibleren Arbeitszeiten hin zu Sabbaticals und Auszeiten statt hohen Gehältern. Das Bedürfnis nach Erholung und Natur steigt und wird in langsamen Schritten wieder angenommen. Raus aus dem Alltag lautet die Devise. In unserem Fall heißt das: Eine Aufräumrunde einfach mal sein lassen und die Zeit im Chaos trotzdem zusammen genießen. Auch wenn der nächste Berg Wäsche dennoch wartet, die Welt geht nicht unter, wenn man einen Programmpunkt weniger umsetzt. Und so arbeiten wir uns Stück für Stück wieder in Richtung Entschleunigung vor und lassen den Alltag einfach Alltag sein. Ganz ohne schaffen wir es ja doch nicht.

 

Na, Lust bekommen zu entschleunigen? Welche Möglichkeiten es gibt, lest ihr hier:

Hier lest ihr 5 Tipps, wie ihr euch im Mama-Alltag ein wenig entspannen könnt:

Und wenn’s mal ein bisschen mehr sein soll: Judy erzählt uns hier wie’s geht: