Heute, am 5. Mai ist Hebammentag.
Denke ich an meine Hebammen, dann denke ich an ihre Hände. Hände mit kurzen Fingernägeln, lackiert habe ich sie nie gesehen. Leicht gerötet von der Seife und duftend. Weich und zart sehen diese Hände aus. Hände, die sanft streicheln. Die aber auch fest und sicher greifen können, wenn es nötig ist. Nie, auch nicht ein einziges Mal, war es ein seltsames Gefühl für mich, meine beiden frisch geborenen, fragilen Söhne in den Händen meiner Hebammen zu sehen. So sicher und geborgen lagen die Babys darin. Ein unausgesprochenes Vertrauen war zwischen uns.

Die Geburtshilfe in Deutschland in der Krise

Ich kenne viele Frauen, die so oder so ähnlich von der Nähe zu ihren Hebammen schwärmen. Die die Geburts- und Wochenbetthelferinnen gar nicht ziehen lassen wollen und die der Abschied nach den gemeinsamen Wochen schmerzt. Noch viel schmerzhafter aber muss es wohl sein, so eine Erfahrung nie machen zu dürfen. Tatsächlich steht es schlecht um die Geburtshilfe in Deutschland. Die Zahl der Krankenhäuser mit Geburtshilfe ist von 2011 bis 2016 um etwa 90 auf 690 Kliniken zurückgegangen. Der Deutsche Hebammenverband warnt auf seiner Seite:

“Eine stetige und persönlich zugewandte Betreuung von Frauen während der Geburt ist in Deutschland mittlerweile eher ein Glücksfall als die Regel. Hebammen in Deutschland betreuen inzwischen dauerhaft mehr als doppelt so viele Gebärende wie Hebammen in anderen europäischen Ländern. Teils betreut eine einzelne Hebamme fünf oder mehr Gebärende gleichzeitig.“

Auch die Wochenbettbetreuung ist nicht mehr garantiert. Erst nach den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft nach einer Hebamme suchen? Ich kenne niemanden mehr, der das wagt. Meine Hebammen jedenfalls sind schon jetzt wieder vollkommen ausgebucht. Kleine Erklärung am Rande: Ich hatte sogar drei wundervolle, großartige Hebammen an meiner Seite. Dank denkbar ungünstiger Geburtstermine (Sommerferien und Silvester) habe ich nämlich auch die Urlaubsvertretungen meiner originären Geburtshelferinnen kennen lernen dürfen.

Hilfe aus der Politik? Naja…

Liest man diese düsteren Zeilen, so fragt sich vielleicht jemand von euch: Moment mal – gab es da nicht etwas, um Hebammen zu helfen? War da nicht irgendwas in der Politik in Gange? Seit 2014 steigen die Haftpflichtbeiträge für freiberufliche Hebammen extrem. Der Beitrag liegt inzwischen bei über 8.000 Euro im Jahr. Zum Vergleich: 2010 lag er noch bei 3.689 Euro im Jahr. 2015 wurde dann ein Sicherstellungszuschlag eingeführt, um die Hebammen zu entlasten. Allerdings werden die Kosten nur anteilig übernommen und verspätet ausbezahlt. Vor diesem Hintergrund haben sich viele Hebammen dazu entschieden, aus der Geburtshilfe auszusteigen und stattdessen zum Beispiel Kurse zu geben.

Ganz aktuell wurde daneben das Terminservice- und Versorgungsgesetz beschlossen. Ziel waren eine bessere Versorgung und eine schnellere Terminvergabe bei Arztterminen, aber auch bei der Suche nach einer Hebamme. In der Praxis sollte das dann so aussehen, dass Kontaktdaten und Tätigkeitsfelder von freiberuflichen Hebammen bei den Krankenkassen veröffentlicht werden sollen. Das Problem ist nur: Wenn es zu wenig Hebammen gibt, hilft auch eine Servicestelle mit Kontaktdaten nicht. Stattdessen hätte eine bundeseinheitliche Terminservicestelle Sinn gemacht, bei der nur freie Termine angezeigt worden wären.

Ich habe meine drei Hebammen Melanie Bredow, Christiane Hammerl und Sissi Rasche gefragt, was sich aus ihrer Sicht am stärksten geändert hat und was ihnen ihre Arbeit erschwert.

 

“Ich muss viel mehr Papierkram erledigen. Die Akte ist dreimal so dick wie vor zwölf Jahren. Außerdem stecke ich viel Zeit in Betreuungsabsagen – der Hebammenmangel ist spürbar. Auch die Abrechnung setzt mich unter Druck. Hatten wir früher drei Jahre Zeit, müssen wir heute bis Juni alles vom Vorjahr abrechnen. Das sind so viele Dinge, die mir die Zeit für meine eigentliche Aufgabe rauben.”

Melanie Bredow

Unsere Hebammen haben keinen alltäglichen Job. Sie machen ihre Sache aus Leidenschaft und mit voller Begeisterung. Christiane sagte mir:

“Ich bin mir darüber sehr bewusst, in welchen besonderen Momenten ich dabei sein darf.”

Und trotzdem ist der Spagat zwischen einer Rufbereitschaft an 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und dem Familienleben oft eine extreme Belastung.

“Meine Familie und ich müssen Abstriche machen, was die Ruhe und Verlässlichkeit im Privatleben angeht. Das ist der Preis für die 1:1-Betreuung. Immer mal wieder ein schlechtes Gewissen meinen Kindern und auch meinem Mann gegenüber. Deswegen ist mindestens an deren Geburtstagen und Weihnachten Pause. Und an einigen Wochen in den Sommerferien.”

Melanie Bredow

Ich finde, auch das muss gesehen werden, wenn wir über die Situation der Geburtshilfe in Deutschland sprechen. Mich wundert es vor dem Hintergrund nicht, wenn Sissi mir trotz aller Liebe zu ihrem Job gesteht:

“Ich zweifle gerade ein bisschen, Hebamme zu sein.”

 

Da läuft doch gewaltig etwas schief. Frauen, die für ihren Job brennen. Die mit höchster Professionalität und so unschätzbarem Einfühlungsvermögen für uns da sind, und die aber von der Politik im Stich gelassen werden. Ich kann es gut nachvollziehen, wenn Hebammen irgendwann einfach nicht mehr wollen und können.

“Im Durchschnitt können schon jetzt in jedem Kreißsaal 1,6 Planstellen nicht mehr besetzt werden. Ebenso arbeiten lediglich 20% der angestellten Hebammen in Vollzeit.”

Hebammenverband

Werdet aktiv: Heute am Hebammentag erst recht

Wir können das nicht hinnehmen. Es geht auch anders! Der Hebammenverband fordert etwa dringend ein Geburtshilfe-Stärkungsgesetz. Dadurch sollen neue Hebammenstellen geschaffen werden und ein besserer Betreuungsschlüssel, am besten eine 1:1-Betreuung, wie in anderen Ländern auch, eingerichtet werden. Der Betreuungsschlüssel an Krankenhäusern sollte außerdem veröffentlicht werden, damit die Frauen eine Vergleichsmöglichkeit haben. Ziel eines solchen Gesetzesvorschlags ist die individuelle und sichere Betreuung jeder Frau und ihrer Familie.

Habt ihr auch Schwierigkeiten gehabt, eine Hebamme zu finden? Wie viele Frauen hat eure Hebamme parallel unter der Geburt betreut? Mit der Kampagne “Lieber Jens” will Initiatorin Katharina Perreira durch individuelle Erfahrungsberichte, Erlebnisse und Geschichten auf die “unhaltbaren Zustände in Deutschland” aufmerksam machen. Online auf der Seite https://www.lieberjens.de/ könnt ihr eine Botschaft hinterlassen. Die Aktivist*innen aus Berlin schicken diese Botschaften dann per Post oder übergeben sie dem Gesundheitsminister bei passender Gelegenheit. Der Hebammentag heute wäre doch ein guter Anlass, um aktiv zu werden und unseren Hebammen unsere Dankbarkeit zu zeigen. Vielleicht erreichen wir so unser Ziel: Aufmerksamkeit, Wachrütteln und vielleicht auch dann endlich ein Gesetz, welches die Zukunft des Hebammenberufs in Deutschland gewährleistet.

 

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