Seit 1914 ist am 3. Sonntag im Januar der Welttag der Migranten und Flüchtlinge, der neben dem Weltflüchtlingstag am 20. Juni an deren Schicksal erinnert. Flüchtlingspolitik hat einen großen Stellenwert in der deutschen Politiklandschaft eingenommen und droht das Land in zwei Lager zu spalten. Darüber haben wir bereits geschrieben.

Wir sehen so vieles nicht. Vielleicht weil es so schwer zu ertragen ist.

Sabine

Dabei werden 85 Prozent der Flüchtlinge weltweit nicht in Deutschland oder der EU aufgenommen, sondern in Entwicklungsländern. Nur ein paar Zahlen, um das zu verdeutlichen: Ende des Jahres 2017 waren 68,5 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. 222.683 Asylanträge wurden 2017 in Deutschland gestellt, 2018 waren es nur noch 174.040. Die meisten Flüchtlinge also sehen wir nicht wirklich, bekommen nicht mit, was sie in ihren Heimatländern zur Flucht zwingt. Eines dieser Länder ist der Jemen.

An den meisten Tagen lasse ich die Nachrichtenmeldungen auf mich herabprasseln. Ich nehme sie fast beiläufig zur Kenntnis, während ich abends die Küche vom Abendessen wieder in einen zivilisierten Zustand bringe. Ich weiß gar nicht, ob irgendjemand das überhaupt schaffen kann, emotional alle Neuigkeiten wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Also täglich.

Ganz ehrlich: Ich arbeite in der Politik. Aber ich schaffe das nicht. Es gibt Tage, an denen höre ich keine Nachrichten. Nicht aus Zeitnot. Sondern weil ich es an manchen Tagen schwer ertrage, so viel Negatives zu sehen. Es macht mich müde und ich fühle mich klein und hilflos. Aber ich darf nicht länger wegsehen. Im Jemen spielt sich eine der größten humanitären Katastrophen unserer Zeit ab.

Jemen ist die Hölle auf Erden für Kinder

Der Jemen gehört zu den ärmsten Ländern des Nahen Ostens. Dort tobt seit Jahren ein harter Krieg, der das Land quasi aufgelöst hat. Alles ist im Chaos versunken. Terrorgruppierungen breiten sich aus. Luftschlag um Luftschlag trifft die Bevölkerung. Es fehlt der Zivilbevölkerung an allen Ecken und Enden. Am schlimmsten ist der nagende Hunger.

„Jemen ist heute eine Hölle auf Erden für Millionen Kinder“, sagte UNICEF Regionaldirektor Geert Cappelaere unlängst. Das Hilfswerk informierte auch darüber, dass alle zehn Minuten ein Kind an einer eigentlich vermeidbaren Krankheit im Jemen stirbt.

Alle zehn Minuten.

Ich schaue auf meine zwei Jungs. Geimpft, bumperlgesund, rotbackig und lachend.

Sie haben Glück gehabt in eine andere Welt geboren worden zu sein. Eine Welt, in der sie sich keine Gedanken darüber machen müssen, ob es abends etwas zu essen geben wird. Kinder sind ihrem Schicksal ausgeliefert. Deshalb berührt mich das Leben von Menschen, denen es schlechter geht so. Ganz besonders mit Blick auf die Wehrlosesten unter ihnen.

Seltsamerweise war die Situation im Jemen für mich trotzdem lange nicht präsent. Ich wusste nicht, dass dieses Land zerfällt, wusste nicht, dass fast 18 Millionen Menschen im Jemen nicht mehr ausreichend zu essen haben.

Wieso ist das so lange an uns vorbei gegangen?

In einem Interview für Zeit-Online erklärt Mahmoud Qaiyah, der für die Friedrich-Ebert-Stiftung im Jemen arbeitet:

Der Jemen-Krieg hat keinerlei Folgen für den Westen. Und die Weltgemeinschaft interessiert sich vor allem dann für Konflikte, wenn dadurch eigene Interessen berührt werden. In Syrien wurden über Jahre Menschen getötet und vertrieben. Doch erst als die Flüchtlinge plötzlich zu Tausenden in Europa ankamen, begann man sich dort für den Krieg in Syrien zu interessieren.

 

Mahmoud Qaiyah

Die 2 Millionen Menschen sind im Jemen vor den Kämpfen in andere Regionen des Landes geflohen und leben unter verzweifelten Bedingungen. 190.000 Flüchtlinge haben sich in die Nachbarländer in Sicherheit gebracht. Das ist weit weg von uns. Es tangiert uns bislang nicht direkt. Erst durch den offenen Mord am saudischen Regimekritiker Jamal Khashoggi im Istanbuler Konsulat geriet Jemen plötzlich in die Schlagzeilen.

Während ich für diesen Beitrag recherchiere, ist bei uns Adventszeit. Neben mir steht ein Teller mit Lebkuchen, mein Kaffee dampft. Zu lesen, wie es den Kindern Jemens geht, jagt mir eine Gänsehaut des Grauens über die Haut. Seit 2015 sollen rund 85.000 Kinder unter fünf Jahren an den Folgen extremen Hungers gestorben sein. Sie sehen nicht aus wie Kinder. Wie Gespenster, die Haut dünn über dem zarten Knochengerüst gespannt. Die Augen groß und voller Unverständnis. Meine Lebkuchen bleiben mir angesichts dessen im Hals stecken. Mir stehen Tränen in den Augen.

Jetzt denkt vielleicht der oder die eine andere unter euch: „Wirklich tragisch, aber: Was geht uns das an?“

Ja – zu uns kommen keine Flüchtlinge aus dem Jemen, für die wir Verantwortung übernehmen können. Und trotzdem sind der Hunger und das Leid im Jemen auch eine deutsche Sache. Jahrelang hat der Bundestag immer wieder Waffenlieferungen an Saudi-Arabien zugestimmt. Obwohl klar war, dass Saudi-Arabien Panzer und Gewehre gegen die eigene Bevölkerung und auch im Jemen Konflikt einsetzt. Der Jemen mag weit weg von uns liegen.

Unsere Waffen sind aber dort.

 

Was ist da überhaupt los, im Jemen?

Der Konflikt im Jemen ist kompliziert und verworren. Ich habe mich bemüht, ihn zu verstehen. Auf der einen Seite steht der ehemalige, international anerkannte Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi. Er wird unterstützt von Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Auf der anderen Seite die Huthi-Rebellen, die gerne den zuvor 34 Jahre amtierenden Staatspräsidenten Ali Abdullah Salih wieder als Oberhaupt sähen. Dieser war im Rahmen des Arabischen Frühlings 2011 zunächst zurück getreten.

Aus saudischer Perspektive agieren die Huthis als schiitische Vasallen des regionalen „Erzrivalen“ Iran. Seit 2011 fühlt sich das sunnitisch-wahhabitische Saudi-Arabien verstärkt von proiranischen Staaten und Gruppierungen umzingelt (Quelle: https://www.bpb.de/).

Das große Dilemma: Einerseits haben die Huthis die wichtigsten Institutionen eingenommen und besetzen die Hauptstadt Sanaa, verfügen aber über keine Legitimität, da sie von Saudi-Arabien und der „internationalen Gemeinschaft“ nicht anerkannt werden. Andererseits ist Präsident Hadi entmachtet im Exil, gilt aber nach wie vor offiziell als legitimiert. Mit Bombenschlägen und Belagerung will die Koalition die Huthi-Rebellen zur Aufgabe zwingen. Saudi-Arabien wird dabei von den USA und Großbritannien aktiv unterstützt.

Im Dezember 2018 wurde eine Waffenruhe in der wichtigen Hafenstadt Hudaida ausgehandelt. Es besteht Hoffnung, dass die Bevölkerung so wieder besser mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden kann. Bis aber wirklich Frieden im Jemen herrscht, liegt noch ein langer und steiniger Weg vor den Vermittler*innen. Denn noch sind die Fronten verhärtet. Außerdem gibt es diverse Splittergruppen und extremistische Gruppierungen, die die im Raum stehenden Lösungen nicht anerkennen wollen.

Immerhin neue Waffenlieferungen sind momentan auf Eis gelegt: Bundeskanzlerin Merkel hatte nach dem Mord an Jamal Khashoggi durchgesetzt, dass keine neuen Genehmigungen für Waffenexporte nach Saudi-Arabien erteilt werden und bereits genehmigte Rüstungslieferungen Deutschland derzeit nicht verlassen dürfen. Der Lieferstopp wurde Ende Oktober 2018 erlassen und gilt nach derzeitigem Stand bis März 2019. (Nachtrag: Dieser Absatz wurde am 21. Januar nachträglich hinzugefügt)

Was können wir tun!

Ich bin nur eine einzelne Kritikerin. Was kann ich schon bewegen, denke ich zunächst. Zu groß, zu schwer wiegen diese Nachrichten wieder einmal. Aber ein bisschen was können wir eben doch tun:

Möglichkeit 1

Appelliert an eure Wahlkreisabgeordneten im Bundestag. Fragt sie, wie sie zu Waffenlieferungen an Saudi-Arabien stehen und ob sie sich für eine stärkere Vermittlerrolle einsetzen. Wer eure zuständigen Abgeordneten sind, findet ihr hier heraus: https://www.abgeordnetenwatch.de/

Möglichkeit 2

Wer noch mehr tun möchte, der kann auch für die Menschen im Jemen spenden, zum Beispiel der UN Refugee Agency.

Weitere wichtige Themen:

#coolmomsdontjudge
Was wir zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sagen haben

Leider gibt es immer noch viel zu viele Unternehmen, die dringend Nachhilfe oder unternehmerische Vorbilder brauchen, um faire Arbeitsbedingungen für alle zu schaffen. Es geht auch anders: Unternehmen, die aufhören Kinder-Haben mit Leistungsabfall gleich zu setzen und Eltern für ihre Arbeit genauso respektieren, wie die Kollegen, die ohne Nachwuchs sind. Lest hier die Zusammenfassung zur Diskussion rund um Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Wo ist Papa?
Eine Geschichte abseits der Bilderbuchfamilie!

Mirna Funk lebt seit zwei Jahren mit ihrer Tochter Etta, alleinerziehend und alleinverdienend. Worte sind Mirnas Werkzeug. Und auch wenn sie diese meist leise klackernd eintippt, wird die Autorin (Debütroman“Winternähe“) laut, wenn es um Ungerechtigkeiten und Schieflagen geht, die sie selbst oder ihre Tochter betreffen. Dann brüllt sie diese in die Welt hinaus und trommelt ihr Netzwerk zusammen…