Michaela ist eine starke, großherzige und mutige Frau. Wie stark, das erzählt sie uns mit der Geschichte der Geburt ihrer Tochter Emma, die ganz anders verlief, als Michaela es sich bis dahin ausgemalt hatte: 

Die Geschichte zur Geburt unserer Tochter unmittelbar an ihrem dritten Geburtstag zu schreiben, passt irgendwie. Denn es ist eine Geschichte über Verspätungen. Übers Warten. Und übers Aushalten.

Ich habe es geliebt, schwanger zu sein. Ich hatte unerträgliche Rückenschmerzen, mein Kreislauf war permanent im Keller, mein Brustkorb dehnte sich minütlich und trotzdem konnte ich mein Glück kaum fassen.

25.10. 2016
Ich war riesig.
Es war 23 Uhr.

Ingo Zamperoni hatte uns gerade mit „möge die Nacht mit euch sein“ in den späten Abend entlassen und Marius, mein Mann, war in der Küche, um sich noch einen Tee zu machen. Ich saß im Bett, als es plötzlich in meinem Bauch merkwürdig rumpelte und knackte. Kurz darauf hing ich im Bad und wechselte meine Klamotten, die Fruchtblase war geplatzt. Etwas benommen erklärte ich Marius, dass das mit dem Tee wohl eher nichts wird und wir uns auf den Weg ins Krankenhaus machen sollten. Wegen B-Streptokokken sollte ich zeitnah ein Antibiotikum bekommen, das war der einzige Grund. Wehen hatte ich da noch keine.

Gegen 24 Uhr

waren wir also im Krankenhaus, checkten ein, ich wechselte nochmals meine Hosen und schlüpfte in sexy Krankenhausunterwäsche, wurde untersucht und mit einem mütterlichen Blick ins Bett geschickt. „Alles ruhig, schlafen sie etwas und morgen früh sehen wir weiter.“ „Alles ruhig“ entsprach nicht gerade meiner Verfassung. Ich ahnte, dass ich mich jetzt nicht einfach in dieses Krankenhausbett legen und schlafen würde. Marius hingegen hatte damit keine Probleme.

Während er also ein paar Stunden schlief, bekam ich sehr schnell sehr viele Wehen. Irgendwann zwischen 2 und 3 Uhr war er wieder wach und wir riefen die Hebamme. Etwas verblüfft verkündete sie, dass mein Muttermund bereits 5 cm geöffnet sei, brachte mir ein warmes Körnerkissen gegen die starken Schmerzen im Rücken und ein Öl, dessen Geruch gegen meine aufkommende Übelkeit helfen sollte. Ich sag mal so. Beides landete relativ schnell in der Geburtsbadewanne und ich versank wie in Trance auf einem Rollhocker, atmete, schwieg und verlor mich immer mehr in dem, was da scheinbar gerade passierte. Ich bekam ein Schmerzmittel, dass mich leider noch mehr entrücken ließ und kurz vor 6 wechselten wir in den Kreissaal. Beduselt lag ich dort plötzlich, zuvor war liegen undenkbar. Die Schmerzen wurden schlimmer und ich fragte nach einer PDA.

Ab 7 wurde

es ruhig. Von da an weiß ich nicht mehr viel. Hebammenwechsel. Warten. Der Versuch, das Kind in die richtige Position zu bringen. Warten. Mehr Ärzte. Warten. Und gegen 14 Uhr die erste Überlegung in Richtung Kaiserschnitt. Mein Körper war bereit und arbeitete weiter daran, dieses Kind zur Welt zu bringen, aber mein Baby steckte fest und bewegte sich keinen Millimeter in die richtige Richtung. Und mir war alles irgendwie egal. Durch die Schmerzmittel und meine Erschöpfung war ich selbst nicht mehr wirklich Teil dieser Geburt.

Um mich herum versammelte sich eine Gruppe an Frauen, die ihr Bestes taten, mich zu beruhigen und mich auf mein Baby vorzubereiten. Aber ich war nicht da. Nicht richtig. Ich dümpelte irgendwo in einem Schleier aus Schmerzmitteln, nickte, lächelte und spürte, wie mir Tränen über die Wangen liefen.

Genau 15:03

lag ich nackt und betäubt im OP und hörte das Schreien meiner Tochter, dicht gefolgt von einem einvernehmlichen „Boar!“, bezogen auf ihre Größe. Danach wurde ich ohnmächtig.

Ich stand unter Schock. Das wars? Da ist sie jetzt? Aber? Wie? Ich war so erschöpft und so überfordert, dass ich noch heute dankbar für unser Familienzimmer bin. Marius kümmerte sich großartig. Die Hebammen waren super. Ich aber war verwundet und unfähig zu verstehen, was da gerade passiert ist. Ich hatte das Gefühl, versagt zu haben. Gerade ist etwas wirklich Großes und Wichtiges passiert, und ich habe es verpasst.

Ich lächelte so gut ich konnte, kuschelte und stillte. Stand bald auf und wackelte durchs Zimmer. Ich verbrachte die Nächte in einer Art Schockstarre. Emma war kerngesund, schwer und rosig,
aber sie brauchte Nähe. Immer. Also schlief ich mit ihr im Arm, hielt sie weit über meine Erschöpfung hinaus. Eine liebe Hebamme brachte uns ein Tragetuch, band das Kind an seinen Papa und schickte ihn in den Fluren spazieren. Das war die erste Stunde Schlaf, die ich bewusst nach der Geburt hatte.  

Krankenhauslicht, Krankenhausroutinen, Krankenhausessen, Krankenhausgeruch. Irgendwann wollte ich da nur noch weg. Nach Hause! In der Hoffnung, dort endlich in unserem neuen Leben anzukommen. 6 Tage und 5 schlaflose Nächte später war es so weit. Ich sah Berlin, all die Straßen und unseren Kiez und erinnerte mich langsam wieder an mein Leben. Zu Hause angekommen bekamen wir sehr schnell Besuch von meiner Hebamme Hannah, der ich als Erste von dem erzählte, was da in den letzten Tagen passiert war.

Ich weinte. Viel. Sie nahm mich in den Arm und spiegelte die Situation. Ich musste von ihr hören, was das für eine schwierige Geburt war, um es mir selbst erklären zu können. Ich musste von ihr hören, wie kräftezehrend diese Situation war, um mir selbst zu erlauben, das so zu benennen.

Ich brauchte Hannah, die mir all das sagte und gleichzeitig lächelt, mir Wundcreme für meine Nippel mitbrachte, und mir versicherte, wie toll wir das alles gerade machen. Wir haben ein gesundes, glücklich glucksendes Kind, das trank und wuchs und dem es an nichts fehlt. Und das dank uns. „Alles ist gut. Ihr macht das super.“

Hannah war es auch, die mir vorschlug, den Moment der Geburt nachzustellen, um nachzuholen, was ich verpasst habe. Mir war der Gedanke daran unangenehm, aber ich hatte keine Wahl. So konnte es nicht weitergehen. Wir waren jetzt schon ein paar Tage zu Hause, aber ich fühlte mich immer noch fremd in meinem eigenen Körper. Ich vermisste meinen Babybauch. Wo war meine Schwangerschaft hin? Ich war todtraurig darüber, dass das zu Ende war und verstand nicht, dass ich dafür etwas Neues bekommen habe. Für mich ging es bis dahin im Inneren nur um Verlust.

Bis zu diesem Abend.

Ich war zu Hause. In meinem eigenen Bett. Am sichersten Ort der Welt. Ich zog mich aus und Marius brachte mir meine nackte Tochter. Ich nahm sie zu mir, fühlte zum ersten Mal bewusst ihre weiche Haut an meiner. Da waren wir nun. Nackt, Haut an Haut und zum ersten Mal allein. Mir wurde bewusst, dass ich sie noch nie nackt gesehen habe. Also tat ich das jetzt. Ich sah sie an. Jeden Finger, jeden Zeh, sah ihre Nase und ihre Augen, die direkt in meine schauten. Und da habe ich es verstanden. Sie war es. Sie, die ich mir all die Zeit gewünscht habe. Auf die wir so lange gewartet haben. Sie war es, die da in meinem Bauch gewachsen ist. Ich erinnerte mich plötzlich und ich weinte. Ich weinte all die Tränen, die ich schon vor Tagen im Krankenhaus weinen wollte, aber nicht konnte. Vor Glück. Vor Erleichterung. Vor Liebe.

Marius kam zu uns. Wir hielten uns im Arm und erst da merkte ich, dass mir nichts genommen wurde, sondern dass ich gerade ein riesiges Geschenk bekam. Von mir an mich selbst.
Es gibt keine perfekten Neugeborenen-Bilder von uns unmittelbar nach der Geburt. Keine erschöpfte aber vor Glück strahlende Mama, die zusammen mit dem stolzen Papa ihr Kind in die Kamera hält. Diesen Moment gab es für uns erst über eine Woche später.

Liebe Michaela – wow! Liebsten Dank für deine ehrlichen Worte, deinen Mut und dein Vertrauen, deine Geschichte mit uns und hier auf MUMMY MAG zu teilen. Wir wünschen dir und deiner kleinen Familie von ganzem Herzen alles Gute!

Angaben zum Copyright:

Bilder Header: Rainer Maiores via Pixabay
Bild schwangere Frau: Free-Photos via Pixabay
Bild Familie: Pexels via Pixabay
Bild Babygesicht: Tawny van Breda via Pixabay

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