MUMMY MAG Pubertät

Die gefürchtete Pubertät

MUMMY MAG Pubertät Aussicht

Zu Recht sollte die Pubertät gefürchtet werden, denn diese Entwicklungsphase ist besonders herausfordernd. Sie hebt sich von allem vorher Dagewesenen ab. Die körperlichen Veränderungen sind gravierend. Die einen wachsen scheinbar über Nacht in die Länge, zu großen, dünnen, schlaksigen Körpern, die sich überall nur noch stoßen. Andere haben plötzlich einen Streuselkuchen im Gesicht oder Haare an allen möglichen Körperstellen. Mädchen bekommen weibliche Rundungen. Dabei sind es entweder zu viele oder zu wenig. Jungen haben über Monate mit ihrem Stimmbruch zu tun und, gerade wenn sie etwas besonders Bedeutsames sagen wollen, dann versagt ihnen die Stimme. Es ist immer dramatisch!

Hormone, Hormone

Die Pubertät wird ausgelöst durch verschiedene Hormone, die der Körper freisetzt. Und es sind viele Hormone: Östrogen und Testosteron sind ganz vorne mit dabei. Jede Frau mit einem halbwegs geregelten Zyklus weiß, wovon ich spreche, wenn ich sage, dass Hormone die Wahrnehmung, die Empfindungen und irgendwie auch das Verhalten total beeinflussen können. Von außen betrachtet, sind Kleinigkeiten plötzlich das größte Drama, alle Gefühle sind so intensiv, das es dafür sogar eigene sprachliche Bilder gibt: „Achterbahn der Gefühle“ oder „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“. Ihr wisst, was ich meine.

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Bild von Christine Foetzki

Explosionsartig schießt etwa eine Extraladung Adrenalin durch die Blutbahn – wie soll man da noch eine diplomatische Diskussion mit seinem Vater führen? Insbesondere, wenn es um so lebenswichtige Entscheidungen wie Computerspiele ab 18 oder Ausgehen bis Mitternacht geht.

Oder erst diese Liebe … Der Zustand jugendlicher Verliebtheit ist mit einer Krankheit zu vergleichen. Ein Hormoncocktail durchströmt den Körper, für Biochemiker eine wahre Freude für Verliebte eine echte Qual: entweder sie zerplatzen vor Glück, oder sie leiden zutiefst an Liebeskummer.

Achtung, Baustelle!

Doch damit nicht genug, die armen Teenager müssen auch noch eine komplette Renovierung ihres Gehirns über sich ergehen lassen. Ein großer Teil der bisherigen Synapsen – den Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen – zerfällt einfach. Dadurch wird im Gehirn viel neue Speicherkapazität freigeschaltet. Die Nervenzellen verbinden sich wieder, neue Synapsen bilden sich aus. Jugendliche können in dieser Phase unglaublich viele neue Sachen in unglaublich kurzer Zeit lernen. Das ist nur vergleichbar mit der Entwicklung eines Neugeborenen im ersten Lebensjahr.

Leider gibt es für Kinder in der Pubertät keine Warnhinweise: Achtung, Baustelle! Durch Bauarbeiten am Gehirn kann es zu kurzfristigen Denkausfällen kommen. Viele Eltern gehen davon aus, dass ihre Kinder noch ganz normal sind, so wie immer. Sie wundern oder ärgern sich dann, wenn sie plötzlich scheinbar alles verlernt haben, für logische Argumente keinerlei Verständnis mehr aufbringen und alles universell Gültige plötzlich infrage stellen: die natürliche elterliche Autorität, die Notwendigkeit des regelmäßigen Schulbesuchs, die Gefahren illegaler Drogen, den bisherigen Glauben, die gesellschaftlichen Werte und Normen, die politische Weltordnung.

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Bild von Christine Foetzki

Von Jugendlichen kann eine große Energie, Leidenschaft und Begeisterungsfähigkeit ausgehen. Sie sind in der Pubertät kreativ, experimentierfreudig und risikobereit – auch ein kleines bisschen größenwahnsinnig. Unter anderen Umständen würde man sie vielleicht eher für ein paar Wochen in ein kleines Sanatorium an die Ostsee schicken, bis das alles vorbei ist.

Und, was willst du mal werden?

Stattdessen erwarten Eltern und Lehrer von den Jugendlichen schulische Höchstleistungen. Denn schließlich geht es um nicht weniger als die berufliche Zukunft, die man sich total versaut, wenn man nicht jeden Tag fleißig und konzentriert arbeitet. Das ist allerdings gar nicht so einfach, mit dem ständig schwankenden Hormonspiegel und der Baustelle im Kopf. Schon gar nicht, wenn man noch keinen blassen Schimmer davon hat, wie denn diese berufliche Zukunft genau aussehen soll. Nur ganz wenige Pubertierende wissen schon konkret, was sie einmal werden wollen. Die meisten wissen nicht einmal genau, wer sie eigentlich sind. Eine eigenständige, bestenfalls selbstsichere Persönlichkeit zu entwickeln, ist die große Aufgabe der Jugendlichen. Diese wird sie für ihr gesamtes Erwachsenenleben prägen.

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Bild von Christine Foetzki

Ziel: Erwachsen werden

Es geht darum, zu autonomen und mündigen Erwachsenen heranzureifen. Dieser Prozess dauert gern mal einige Jahre an. Jugendliche wollen sich in dieser Zeit ausprobieren. Sie wollen schon ganz viel selbst entscheiden und vieles tun, was ihnen aufgrund ihres Alters oft noch versagt ist (Jugendschutzgesetz). Denn oft können sie die Konsequenzen ihrer Handlungen noch gar nicht ganz erfassen, geschweige den eigenverantwortlich ausbaden. Es ist gut und wichtig, dass junge Menschen diese Probezeit haben, dass Eltern und die Gesellschaft für sie da sind, wenn sie Fehler machen. Sie müssen doch erst einmal trainieren, wie das so geht, erwachsen zu sein.

Freiheiten sind wirklich wichtig, damit jugendliche Kinder sich ausprobieren können. Sie werden sich die Freiräume so oder so erschließen. Es wird Lebensbereiche der Teenager geben, zu denen ihre Eltern keinen Zugang haben, z. B. Peergroup, Musikgeschmack oder digitale Medien. Mütter und Väter müssen sich von dem Gedanken verabschieden, ihre Kinder weiterhin vor allem beschützen zu können. Sie haben keine Kontrolle mehr über den Alltag ihrer Jugendlichen. Selbst wenn sie es versuchen, werden die Kinder sich unbemerkt ihre Nischen suchen – das nennt man Autonomiebestreben und ist ein notwendiger Entwicklungsschritt.

Beziehung vor Erziehung

Auch der erzieherische Einfluss der Eltern wird ab der Pubertät rapide schwächer. Die Regeln der Eltern werden kritisch hinterfragt, angekündigte Konsequenzen werden provokant eingefordert und alles, aber auch alles kann in Grund und Boden diskutiert werden. Jugendliche sind sehr sensibel in der Wahrnehmung von Fehlern und Schwachpunkten ihrer Eltern. Wenn es ihnen zum Vorteil reicht, nutzen sie dieses Wissen. Spätestens ab dann gilt der Spruch: Das wirklich schwierige an der Erziehung ist ja, sich selbst an die ganzen Regeln zu halten.

Seien wir ehrlich: Was Eltern ihren Kindern bis zur Pubertät nicht beigebracht haben, das brauchen sie dann auch nicht mehr zu versuchen. Oder anders gesagt: Alles, was Eltern ihre Kinder lehren können, ist längst geschehen und fest verankert, lange bevor die gefürchtete Pubertät beginnt. Ihr könnt euch also entspannen, euer Job als Eltern ist fast geschafft! Diese letzte große Entwicklungsstufe ist vor allem für eure Kinder wirklich sehr anstrengend. Habt Respekt davor, was sie alles an körperlicher und psychosozialer Veränderung durchmachen müssen.

MUMMY MAG Pubertät Aussicht
Bild von Christine Foetzki

Sie können eure Unterstützung und eure Beziehung echt gut gebrauchen. Mehr als jeder Regelkatalog und all diese Handyverbote, Taschengeldkürzungen und Hausarreste, seid ihr selbst es, eure Präsenz ist das, was zählt. Für eure jugendlichen Kinder seid ihr das Sicherheitsnetz und der doppelte Boden. Ihr werdet nicht verhindern, dass eure Teenies auf dem Hochseil balancieren. Ihr könnt sie auch nicht wirklich davon abhalten, dass sie dort verrückte Saltos versuchen, aber ihr fangt sie auf, wenn sie runterfallen.

Ihr gebt ein paar Tipps und berichtet vielleicht von euren eigenen Erfahrungen, aber den Weg über das Seil könnt ihr ihnen nicht abnehmen. Ihr könnt sie euch auch nicht mehr vor den Bauch schnallen. Den Weg des Lebens müssen sie schon selbst gehen.

Titelbild von Christine Foetzki


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Christine ist Mutter von zwei Teenager-Söhnen und Diplom-Pädagogin. Sie arbeitet als Familienhelferin im Raum Braunschweig/Salzgitter und begleitet benachteiligte Kinder, unterstützt herausfordernde Jugendliche und sucht neue Perspektiven für abgehängte Familien. Ihre Leidenschaft gilt dem Gärtnern, ihrem Hund Nero und noch vielem mehr.

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