Von der Herausforderung und Notwendigkeit, Feminist*in zu sein. Hallo, ich bin Feministin. Ich bin zwar nicht politisch aktiv, aber als voll berufstätige Mutter in leitender Position komme ich gar nicht darum herum, mich mit der Gleichberechtigung von Frau und Mann auseinanderzusetzen.
Als ich ein Mädchen war, habe ich mir keine Gedanken um mögliche Unterschiede zu Jungen gemacht. Da war ich einfach ich: neugierig, laut und lustig. Ich bin mit zwei Brüdern und einer Schwester aufgewachsen und würde mal behaupten, dass wir relativ gleichberechtigt erzogen wurden. In meiner Familie gibt es seit Generationen starke weibliche Vorbilder, und alle Frauen, die ich in meiner Kindheit kannte, haben gearbeitet, auch meine Mutter. Meine Kindheit verbrachte habe ich in der ehemaligen DDR, da war das einfach so. Ganz normal. Kurzum, ich hatte das große Glück, zu einer selbstbewussten jungen Frau heranzuwachsen, der die ganze Welt offenstand.

Feminismus

Richtung der Frauenbewegung, die, von den Bedürfnissen der Frau ausgehend, eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Normen (z. B. der traditionellen Rollenverteilung) und der patriarchalischen Kultur anstrebt
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Danke, Feminismus

Ich war davon überzeugt, dass der Feminismus eine wichtige und notwendige Phase aus der Vergangenheit sei, damit Frauen Hosen tragen, wählen gehen, eine eigene Meinung vertreten und eigene Entscheidungen treffen dürfen. Für mich war es nicht mehr notwendig, besonders feministisch zu sein. Danke, Feminismus! Du hast mir den Weg bereitet, sodass ich in einer gleichberechtigten Zeit leben darf.
So bin ich nach dem Abi völlig naiv in die Welt hinaus gestolpert und habe erst einmal eine Reihe von vermeintlich freien Entscheidungen getroffen, die unglaublich viel mit der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu tun haben, zu Ungunsten der Frau, ohne dass ich es überhaupt gemerkt habe:
  1. Ich habe geheiratet.
  2. Ich bin Mutter geworden.
  3. Ich habe Pädagogik studiert.
Damit habe ich mit Bravour meine Geschlechterrolle ausgefüllt; und noch während all dies in meinem Leben geschah, entwickelte ich ein Gespür für die Notwendigkeit eines aktiven Feminismus. Im Studium habe ich mich dann mit feministischen Themen beschäftigt, wie Mutterschaft in Ost- und Westdeutschland, Geschlechterstereotype, Frauen in Führungspositionen, Mädchen in technischen Berufen usw. Ich verabschiedete mich schnell von der Annahme, dass Frauen und Männer in Deutschland längst gleichberechtigt seien. Pustekuchen! Männer haben bessere Chancen im Beruf, bessere Netzwerke für ihre Karriere, sie verdienen mehr Geld, sie werden nicht schwanger und können im Stehen pinkeln. Mein Selbstbild von einer modernen Frau, die ihre Geschlechterrollenbilder überwunden hat und sich aktiv und frei entfalten kann, bekam erste kleine Risse. Aber auf mich selbst traf das doch nicht zu! Bei mir persönlich lief alles ganz gut: Krippenplatz und Mann mit Elternzeit waren vorhanden, das familiäre Netzwerk auch. Nach dem Studium war ich eine starke Frau Ende 20, in einer gleichberechtigten Partnerschaft und bereit für meine berufliche Karriere. Okay, ich hatte nur einen Pädagogik-Abschluss. Damit war ich in einer Branche qualifiziert, in der man nicht unbedingt eine steile Karriere hinlegen und viel Kohle verdienen kann, sondern eben nur die typischen „Frauenberufe“ abbekommt.
Bild von Erika Wittlieb auf Pixabay
Aber, hey, jede Frau kann alles schaffen, wenn sie nur will. Und ich wollte. Ich wollte so was von! Und alles auf einmal, alles perfekt: super Mutter, super Ehefrau, super Hausfrau, super Karrierefrau, super locker und entspannt, kreativ und stylisch. Ich wollte ein Vorbild sein. Das war nicht einfach, denn viele haben eine Meinung dazu, was eine Frau, insbesondere eine Mutter, darf und soll. Oft habe ich mir darauf ein Ei gepellt. Oft war ich heimlich verzweifelt, jahrelang sehr müde, und ich hatte ständig das Gefühl, nicht genug zu sein und nicht dazu zu gehören.

Aufgeben ist keine Option

Aber aufzugeben war keine Option. Bestimmt hätte ich auch weniger arbeiten und mehr für Haushalt, Kinder, Mann und mich da sein können. Klar, ich hätte mich in meine gesellschaftlich akzeptierte Frauenrolle begeben können. Stattdessen habe ich mich durchgebissen, meine Haare kurz geschnitten und meine Kinder oft nur am Abend gesehen, während der Mann sich um Fußballtraining, Einkauf und Haushalt gekümmert hat. Irgendwie haben wir phasenweise einfach die Rollen vertauscht. Er wurde zur fürsorglichen „Mutti“ und ich zum „Vati“, der nach der Arbeit sein Essen und seine Ruhe haben wollte. Dieser Tausch ging jedoch nicht zu 100 % auf, denn wir hatten ein Haus zu renovieren, und ich traute mir viele Sachen auf der Baustelle nicht zu, einfach weil ich sie nie gelernt hatte. Außerdem übernahm der Mann all die finanziellen Angelegenheiten, wie Bausparvertrag, Steuererklärung und Finanzierungsplan.
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Ich war jetzt schon an vielen anderen Stelle emanzipiert, das reicht ja dann auch irgendwann. Oder? Nach außen voll die emanzipierte Frau, aber wenn es anstrengend wird, dann doch irgendwie in klassischen Stereotypen verhaftet. Wie paradox ist denn das, bitteschön? Am besten rettet der Mann mich auch noch vor der Spinne im Bad, damit ich mich in Ruhe stylen und frisieren kann – schließlich muss eine Frau trotz aller Fähigkeiten immer noch vor allem gut aussehen und nicht gerade wie eine unrasierte und ungevögelte Emanze. Also wirklich! Die Frauenbewegung hat ja auch schon so viel erreicht, das ist doch dann irgendwann auch mal genug. Ein bisschen Feminismus ist ganz chic, wenn der Mann seiner Frau das gestattet. Oder wenn der Chef seinen Mitarbeiterinnen erlaubt, ein bisschen auf der Führungsebene mitzumischen, im Marketing oder Personalwesen zum Beispiel. Vielleicht ist eine echte Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ja gar nicht möglich?

Geht’s noch???

Mal ehrlich, wer kennt nicht die bissigen Kommentare und Vorurteile zu reinen Frauenbüros (Stichwort Zickenalarm)? Und immer wieder hören wir bei Diskussionen um die Frauenquote in Führungspositionen, dass der weibliche Führungsstil in der Wirtschaft nicht ausreichend ist. Natürlich nur hinter vorgehaltener Hand oder zwischen den Zeilen. In einem DAX-notierten Unternehmen muss man schließlich hart durchgreifen können, um sich am Markt zu behaupten. Vielleicht sind wir Menschen doch sozio-psycho-biologisch völlig unterschiedliche Wesen und sollten lieber nicht zu sehr daran rütteln, um das „kosmische Gleichgewicht“ oder „Gottes Plan“ nicht zu zerstören. Spätestens, wenn Frauen schwanger und Mütter werden, dann sorgen die ganzen Hormone und Gefühle schon dafür, dass sie wieder zu ihrer „natürlichen weiblichen Rolle“ zurückfinden. Vielleicht ist das ganze Gequatsche von der Gleichberechtigung nur eine historische Verirrung und eine moderne Phase? Und bestimmt geht das bald vorbei, dann ist alles wieder normal.
Bild von Miriam Verheyden auf Pixabay
Jetzt bin ich Ende 30, immer noch überzeugte Feministin und ziehe mein Ding durch. Aber ehrlich gesagt, ich finde es auch sehr anstrengend und unbequem, als Frau Feministin zu sein – alle diese Erwartungen von außen und der Druck, den man sich selbst macht. Puh, das musste jetzt mal raus! Unter uns: manchmal beneide ich die Frauen, die sich für eine dreijährige Elternzeit und anschließende Teilzeit entschieden haben; deren Haushalt, Vorgarten und Frisur immer tiptop sind; die sogar die Freunde ihrer Kinder mit Namen kennen und noch Zeit für Frühstück, Sport und tägliches Kochen haben. Ja, das ist auch eine Errungenschaft des Feminismus, dass Frauen sich selbstbestimmt entscheiden können, welchen Lebensweg sie einschlagen.

Benachteiligt in allen Bereichen

Tatsache ist jedoch, dass viele Frauen länger als gewünscht zuhause bleiben, weil sie keine passende Kinderbetreuung finden. Oder keinen Arbeitgeber, der junge Mütter einstellt. Oder weil die Arbeitszeiten nicht mit dem Familienleben vereinbar sind und das Gehalt der Frau eben deutlich geringer als das des Mannes ausfällt. Und die zu erwartenden Rentenanteile fallen so auch gleich deutlich schlechter aus. Feminismus ist ein unglaublich großes Thema. Es umfasst so viele (alle) gesellschaftliche Bereiche, einfach weil die Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen auf allen Ebenen enorm tief verwurzelt ist.
  • Warum sitzen nicht viel mehr Frauen in Führungsetagen?
  • Warum arbeiten so wenige Mütter in Vollzeit?
  • Warum wählen immer noch so viele Frauen die schlecht bezahlten sozialen und pflegerischen Berufe?
  • Warum erleben immer noch so viele Frauen häusliche Gewalt?
  • Und warum rutschen so viel mehr Frauen in die Armutsfalle als Männer?
Das alles hat damit zu tun, dass Menschen in unserem Land nur deshalb diskriminiert werden, weil sie weiblich sind. Es ist einhundert Jahre her, dass Frauen das Wahlrecht bekamen. Wir haben seit zwölf Jahren eine Bundeskanzlerin und eine Reihe Ministerinnen. Es gibt keinen Beruf auf der Welt, den nicht auch eine Frau ergreifen könnte (einzige Ausnahme: Papst – außer natürlich die Päpstin). Frauen dürfen frei reisen, Auto fahren, Bankkonten eröffnen, Kredite bekommen, Arbeits- und Mietverträge allein unterschreiben. All das haben Frauen in unserer Gesellschaft in den letzten hundert Jahren nach und nach erstritten. Viele Vorurteile und Rollenklischees wurden bereits abgelegt.
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Auf dem Rücken der Frauen

Dennoch werden Frauen in unserer Gesellschaft nach wie vor diskriminiert, weil sie Frauen sind. Und Männer werden bevorzugt, weil sie Männer sind. Dafür habe ich kein Verständnis. Ich finde das ungerecht. Unglaublich. Inakzeptabel. Denn das traditionelle Modell funktioniert nur durch die Unterdrückung der Frau. Unterdrückung ist so ein hässliches Wort, so krass. „Das ist doch gar nicht so schlimm, die Frauen wollen das doch auch“ – klare Verhältnisse, mütterliche Instinkte, einen sauberen Haushalt und ein hübsches Aussehen. Sicher? Frauen wollen dann bestimmt auch sexistische Sprüche, Vergewaltigungen und Prügel. Zurück zu den patriarchalen Verhältnissen, zu ihrem Nachteil, auf ihre Kosten? Sicher nicht! Warum sollten sie – warum sollten wir Frauen das wollen? Feminismus lässt sich nicht aufhalten oder umkehren. Wir lassen uns doch auch nicht mehr unsere Entscheidungsfreiheit, unser Wahlrecht und unsere Hosen aberkennen! Wir geben doch nicht auf halbem Wege auf! Feminist*in zu sein ist eine tägliche Herausforderung. Man muss sich täglich neu entscheiden, Feminist*in zu sein, im Großen wie im Kleinen. Solange es keine wirkliche Gleichberechtigung gibt, braucht es aktive Feminist*innen. Es braucht viele neue Vorbilder, gegenseitigen Support unter Frauen und politische Unterstützung, wie z.B. durch gesetzlich vorgegebene Frauenquoten.

Wir haben das Recht

Setzen wir uns ein, für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit! Glauben wir daran, dass auch Frauen alles können – sogar Mathe und renovieren und eine Spinnenphobie überwinden! Prangern wir die starren Geschlechterstereotype an, und hinterfragen die Klischees! Suchen wir uns die netten Männer aus, die den Haushalt schmeißen und die Kinder erziehen, ganz selbstverständlich! Fühlen wir uns als Frauen gut und stark und frei! Erringen wir unser Recht auf Sicherheit und Unversehrtheit, für alle Frauen. Werden wir großartige Vorbilder für unsere Kinder!
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