
„Och nö, echt jetzt?“ Da auch meine erste Geburt schon durch einen Blasensprung eingeleitet worden war, befürchtete ich dieses Mal nicht, dass es jetzt doch passiert sei und ich mir tatsächlich in die Hosen.. Ihr wisst schon. Aber es war erst halb sechs Uhr morgens, ich war müde, hatte gefühlt mal wieder kaum geschlafen und wollte mich gerade das siebte Mal in dieser Nacht dickbäuchig auf die Toilette schleppen.
Es war Samstag, der 14. Januar 2017, zehn Tage vor dem errechneten Geburtstermin meines zweiten Sohnes und ich war ob der Tatsache, dass mir nun scheinbar zehn Tage schöne Schwangerschaft „geklaut“ würden, merklich verstimmt. Die zweite Schwangerschaft war alles andere als ein Spaziergang und mein Körper wollte auch dieses Mal nicht so richtig mitmachen. Schon im vierten Monat waren die Rückenschmerzen so stark, dass ich teilweise nicht aufstehen, geschweige denn gehen konnte, was mit Beginn des fünften Monats in einem Beschäftigungsverbot endete. Das machte zwar die Schmerzen nicht besser, aber so konnte ich immerhin den Tag damit verbringen, eine einigermaßen erträgliche Position für mich zu finden, wenn mein erster Sohn erst mal in der Kita war.


Anfang Dezember, also etwa anderthalb Monate vor dem errechneten Termin, ging es mir plötzlich (endlich, endlich!) etwas besser. Nach etlichen Besuchen beim Chiropraktiker, der Massage, dem Osteopathen usw. schien ich eine Therapieform gefunden zu haben, die mir tatsächlich meine langersehnte Linderung verschaffte: die Schmerztherapie nach Liebscher/Bracht. Drei Sitzungen führten dazu, dass ich endlich wieder einigermaßen aufrecht gehen und wenigstens zeitweise die Schmerzen vergessen konnte. Ich fuhr nochmal in einen kleinen Wellnessurlaub mit zwei Freundinnen, kugelte mich durch Weihnachten, Silvester und meinen 36. Geburtstag und wollte die letzten Tage damit zubringen, mich auszuruhen, zu spazieren und die – vielleicht letzte? – Schwangerschaft noch einmal richtig zu genießen. Kein Wunder also, dass ich nicht so richtig d’accord war, als es dann plötzlich früher als geplant loszugehen schien.
Ich weckte meinen Mann, der schlagartig senkrecht im Bett saß, und sagte ihm, dass wir uns langsam fertig machen und ins Krankenhaus begeben müssten. Natürlich hatte ich noch keine Kliniktasche gepackt, ich war ja felsenfest davon ausgegangen, noch genügend Zeit dafür zu haben. Während ich also packte, rannte mein Mann nervös von Zimmer zu Zimmer und war offensichtlich aufgeregter als ich selbst. Ich war die Ruhe in Person und sah gar nicht ein, mich jetzt auf die letzten Meter noch stressen zu lassen.
Ob nun durch unsere Geräusche oder aus Intuition, noch während ich packte wachte mein damals 28 Monate alter Sohn auf und kam aus seinem Zimmer. Ich legte mich mit ihm in unser Bett und hoffte, dass er wieder einschlafen würde. Normalerweise klappte das ganz gut, wenn er fest an uns gekuschelt unter den großen Decken verschwand. Scheinbar übertrug sich die Aufregung aber auf ihn und an Schlaf war gar nicht zu denken. Ich verharrte noch eine Weile, während mein Mann wild Sachen in die Kliniktasche warf und ergab mich dann meinem Schicksal. Ich stand also auf und zog mich an. Mein Mann rief dann erst im Kreißsaal an, um sich zu vergewissern, dass Platz für uns sei und danach seine Mama, die gleich zu uns rüber kam und den Großen in Empfang nahm. Ich schlich ins Gästezimmer, um meiner Freundin, die gerade zu Besuch war, Bescheid zu geben. Mein geflüstertes „Es geht jetzt los.“ quittierte sie mit einem schlaftrunkenen „Was geht los?“, nur um kurz darauf hellwach zu sein und uns alles Gute zu wünschen.
Als wir ins Auto stiegen, fielen große Flocken vom Himmel. Ich liebe das Gefühl von Schnee, die weißen Tupfen vor grauem Winterhimmel, die die Welt wie in Watte einhüllen und alle Geräusche sanft dämpfen. Ich bat meinen Mann, über die Elbchaussee zu fahren, weil das von uns aus der schönere Weg ins Krankenhaus Altona ist. Ich wollte an der eisigen Elbe entlang fahren, an einem Samstag um diese Uhrzeit beinah allein auf der Straße, wollte den Weg bewusst genießen. Kam aber für ihn nicht in die Tüte, „Bist du verrückt? Nix da! Wir fahren den kürzesten und schnellsten Weg!“ Also stiegen wir ein und nahmen die breite Straße mit den grellen Laternen.
Wir hielten vor dem Kreißsaal-Gebäude und fuhren mit dem Fahrstuhl nach oben. Zwar war von irgendwelchen Wehen noch keinerlei Spur, ich durfte aber trotzdem schon im Kreißsaal Platz nehmen und wurde an ein CTG angeschlossen. Mein Mann fuhr das Auto weg und besorgte uns Proviant und – vor allem mir – Kaffee.


Da saßen wir nun und während gegen elf Uhr langsam die Wehen einsetzten, unterhielten wir uns und konnten kaum fassen, dass wir wahrscheinlich schon bald zu viert sein würden. Während der immer stärker werdenden Wehen ging ich zum Fenster, beobachtete das Schneetreiben draußen und klammerte mich an den Fenstergriff. „Pferdeatmung, Lippen nicht zusammen pressen, sondern locker die Luft entweichen lassen“. Ich erinnerte mich an die Ratschläge der Hebamme aus dem Geburtsvorbereitungskurs in meiner ersten Schwangerschaft – einen zweiten hatten wir nicht besucht. Mit jeder Wehe kamen auch mehr Erinnerungen zurück „Ach ja, so war das, verdammt, tut das weh!“
Gegen 14 Uhr gab es einen Hebammenwechsel. Meine neue Hebamme Anna wurde mir vorgestellt, als ich mitten in einer Wehe war. Meine Antwort, dass das ja alles sehr schön sei, aber doch bitte wohl einen Moment warten könnte, quittierte sie mit einem herrlichen Konter und so war direkt klar, dass wir uns gut verstehen würden.
Die Minuten vergingen und irgendwann willigte ich ein, etwas gegen die Schmerzen zu unternehmen. Sie legte mir also einen Zugang für einen Schmerztropf, den ich allerdings wenige Minuten später schon wieder entfernen ließ. Mit dem Versprechen, mein Kind nicht auf der Toilette zu bekommen, durfte ich noch einmal zur Toilette. Währenddessen ließ sie im Raum nebenan Badewasser für mich ein, denn das schien mir eine gute Idee zu sein und das wollte ich unbedingt mitnehmen, schon allein, weil wir zuhause damals noch keine Badewanne hatten.
Danach ging alles sehr schnell. Ich schaffte es gerade noch zurück zum Bett, als die Presswehen einsetzten. Ich weiß nicht mehr, wie spät es da war oder wie lange es dauerte, erinnere aber, dass einige Wehen lang nichts mehr passierte und ich das Gefühl hatte, es würde mich gleich zerreißen.
Während mein Mann an meinem Kopfende stand und sich von mir die Hand zerdrücken ließ, riet Anna mir, eine neue Position einzunehmen und den Vierfüßlerstand auszuprobieren (I know, das hätte ich auch nicht gedacht!). Tatsächlich schien sich dadurch was zu verändern und endlich, endlich schaffte es mein Sohn auf die Welt. Mit tief dunkelblauer Stirn, sonst aber völlig unversehrt und quietschfidel schossen etwa zehn Stunden nach meinem Blasensprung gegen 16 Uhr knapp 3.600g Menschlein ins Leben.
An das Nähen im Anschluss kann ich mich kaum noch erinnern (Außer: Aua!), aber wir hatten viel Zeit im Kreißsaal, um uns in Ruhe kennenzulernen. Nach einer Weile wurde ich dann auf die Wöchnerinnenstation gebracht und teilte mir in der ersten Nacht das Zimmer noch mit einer weiteren frischgebackenen Mama, bevor ich es ab der zweiten Nacht für mich und mein kleines Kerlchen allein hatte.
Am nächsten Tag stand das Kennenlernen mit der Familie und meiner Freundin an, die noch blieb, bis ich ein paar Tage später nach Hause kam. Diese erste Zeit im Krankenhaus ist etwas blurry, diese Wattebauschtage so besonders. Ich hatte das Gefühl, die Winterwelt hätte angehalten und würde sich hinter meinem Fenster nicht einfach weiterdrehen. Das Kennenlernen hätte besser nicht sein können, der Große (und plötzlich nahezu riesig erscheinende) freute sich ganz ehrfürchtig und mit strahlenden Augen über seinen kleinen Bruder. Auf dem Rückweg stellte er sogar erschrocken fest, dass sie „seinen kleinen Bruder im Krankenhaus vergessen“ hätten.

Ein paar Tage später verließen wir das Krankenhaus und fuhren nach Hause. Die nächsten Wochen lebten wir in der Wattebauschhülle, ich genoss mein Wochenbett und die Zeit als Familie von Vieren. Als das Baby fünf Wochen alt wurde, fand die bis dahin ruhig vor sich hin plätschernde Zeit plötzlich ein jähes Ende. Mein friedliches, kleines und genügsames Baby fing wie aus dem Nichts das Weinen an und hörte die nächsten Monate (okay, anderthalb Jahre) nicht wieder auf. Mehr dazu gibt es auf hier auf MUMMY MAG oder auf meinem Blog judetta.de
Das alles ist jetzt über zweieinhalb Jahre her und aus dem Rabauken in meinem Bauch, der schon bei seiner Geburt mit dem Kopf durch die „Wand“ wollte, ist ein neugieriger, lustiger, liebenswerter und über die Maße willensstarker kleiner Mensch geworden. Wenn ihr wissen wollt, wie sich die Dinge bei uns inzwischen entwickelt haben, dann lest einfach hier weiter. Und wer noch mehr Bilder von dem (gar nicht mehr so) kleinen Kerl sehen möchte, wird auf meinem Instagram-Kanal unter #minibéb fündig.
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