Wir leben ein durchstrukturiertes Leben. Alles nach Plan. Aufstehen mit dem Wecker. Geregelte Arbeitszeit. Alles ist irgendwie sicher. Bis wir schwanger werden. Mit der Schwangerschaft und der Geburt lernen wir eine der großen letzten Naturgewalten in unserem technisierten, durchgeplanten Leben kennen.

Mich jedenfalls hat es unglaublich geflasht, es hat mir Angst gemacht und mir oft auch das Gefühl gegeben, ich sei ausgeliefert. Wie gerne hätte ich manchmal Sicherheit gehabt und genau gewusst, was auf mich zukommt. Aber – vielleicht hat alles seinen Sinn und vielleicht ist es manchmal genau das Richtige, das Schicksal auf sich zukommen zu lassen.

Eines der meistgelesenen Interviews auf meinem Blog ist das Interview mit Simona. Sie hat erfahren, dass ihr Wunschkind Freie Trisomie 21 hat, als er bereits sechs Monate alt war.

Wieso berühren uns solche Geschichten so stark? Ich für meinen Teil finde es großartig, wie offen Simona damit umgeht und wie sie im Netz über ihren Blog versucht Vorurteile zu nehmen. Vielleicht berühren uns Geschichte wie Simonas aber auch, weil sie in Zukunft immer seltener werden könnten.

Während beider Schwangerschaften haben wir keinerlei pränatale Untersuchungen machen lassen. Einige Monate nach Krötes Geburt wurden wir dann auf seine schräge Lidachse aufmerksam gemacht. Dies kann viel bedeuten oder nichts, aber nach einigem hin und her haben wir in einem Genlabor einen Chromosomentest machen lassen.

Simona

Was, wenn man das schon vor der Geburt wüsste…

Mit dem molekulargenetischen Bluttest, der schon in der frühen Schwangerschaft durchgeführt werden kann, kann eine Trisomie 21 relativ sicher festgestellt werden. Dieser vorgeburtliche Test kann schon jetzt für etwa 200 Euro gemacht werden. Auf Antrag werden die Kosten von Krankenkassen zum Teil übernommen. Jetzt wird diskutiert, ob er als grundsätzliche Leistung von den Krankenkassen bezahlt werden soll.

In einem Positionspapier aller Fraktionen außer der AfD sprechen sich zehn Abgeordnete dafür aus, dass der Bundestag in einer ethischen Debatte darüber beraten soll. Das ist nun für 11. April vorgesehen.

Das Papier der Abgeordneten greift einen Punkt auf, der aus meiner Sicht in der ganzen Diskussion essentiell ist: Müssen wir vielleicht nicht darüber reden, ob ein vorgeburtlicher Bluttest Kassenleistung sein darf sondern stattdessen grundsätzlich einmal die Frage angehen, wohin uns solche Tests eigentlich führen sollen? Schließlich ist eine Trisomie 21 keine Krankheit, sondern lediglich eine genetische Variation. So wie braune Haare, unser Geschlecht, Sommersprossen, und so weiter.

“Fast alle Schwangeren, die ein Kind mit Down-Syndrom erwarten, entscheiden sich für einen Abbruch der Schwangerschaft. (…) Eine Debatte darüber, was denn eigentlich der „Nutzen“ solcher Tests ist, der eine Finanzierung über die gesetzlichen Krankenkassen nötig macht, ist bislang nicht erfolgt. Auch wird die Perspektive von Menschen mit Down-Syndrom zu wenig einbezogen.”

Aus dem Papier der Abgeordneten

Sicherheit, die es nicht gibt

Mareice Kaiser schreibt auf ihrem großartigen Blog Kaiserinnenreich:

“Das Perfide daran ist: Was genau ein Leben mit diesem Kind bedeutet, kann niemand während der Schwangerschaft sagen. Nicht die besten Tests. Ein Kind mit Down Syndrom kann gesund zur Welt kommen oder mit schwerem Herzfehler. Ein Kind mit Down Syndrom kann eine leichte Lernbehinderung haben oder schwer mehrfach behindert sein. Wie sich ein Kind entwickelt, kann man nicht vorhersagen. Ganz gleich, ob es mit oder ohne eine Behinderung zur Welt kommt.”

Mit anderen Worten: pränatale Tests gaukeln uns eine Sicherheit vor, die es nicht gibt. Selbst wenn der Test eine Trisomie 21 relativ (!) wahrscheinlich anzeigen kann – die seltenen Trisomien 13 und 18 lassen sich nicht sicher schätzen. Simona erzählte mir im Interview: Weniger als 1 Prozent aller angeborenen Erkrankungen und Behinderungen ist pränatal überhaupt feststellbar. Und davon abgesehen: Die Mehrzahl der Behinderungen werden im Laufe des Lebens erworben.

Im Positionspapier der zehn Abgeordneten wird geschildert, wie es in Dänemark zugeht, wo seit 2005 allen Schwangeren eine Risikoabschätzung auf Trisomie angeboten wird:

“Seitdem hat sich die Zahl der Kinder, die mit Down-Syndrom geboren werden, halbiert.”

Ist das das Ziel? Oder geht es um Kostenersparnis?

“Heute ist es das Down-Syndrom. Wird es morgen Tests zur Erkennung genetischer Veranlagungen für Krebserkrankungen geben, die dann einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen? Und wer entscheidet eigentlich, welches Leben lebenswert ist?”

Mareice Kaiser

Vorgeburtliche Bluttests: Wollen wir alles wissen?

Am 11. April sollten wir genau hinhören, wenn im Bundestag darüber gesprochen wird, was das für solche und ähnliche Tests zukünftig bedeutet und wie das Recht auf Information mit ethischen Fragen in Einklang gebracht werden kann. Wollen wir wirklich alles wissen, was technisch und medizinisch heute schon möglich ist? Wollen wir wirklich die letzte Naturgewalt im menschlichen Leben durchplanen.

Vermeintlich, zumindest.

Bildquellen

Wir sind Fan der Bildsprache von Esther Meinel-Zottl. Sie zeigt ihre zwei Zwillingsmädchen und ihr süßes Baby, das mit extra Chromosom ausgestattet ist, auf ihrem wunderschönen Instagram Channel @ourlifeinthealps . Schaut auch auf ihrer Website vorbei.

Das mittlere Bild zeigt Esther und ist von ihrer Freundin (ebenfalls eine sehr talentierte Fotografin) Andrea Jacob aufgenommen worden (Instagram: @andreajacobphoto; Web: www.andreajacobphoto.com/)

Feiert Pflegeeltern! Pflegefamilien sind eine einzigartige Chance, findet unsere Autorin Christine.

Schluss mit Klischees: Was ist, wenn das Baby einfach nicht zur Ruhe kommt? Über das Leben mit Schreibaby und was da wirklich hilft könnt ihr hier mehr lesen.